
„Ich habe eine riesige Trennungsangst!“, sagen manche und fürchten sich sehr vor Trennungen. Doch was sie damit meinen, ist die „unorganische“ Trennung. Eine Trennung, die zu früh oder plötzlich kommt, ist oft kaum aushaltbar: „Ich musste die Psychoanalyse plötzlich beenden, weil mir das Geld ausging.“ – „Mein Kind wurde mir entrissen, als es 9 Jahre alt war.“ – „Ich verlor meine Mutter mit 15.“ – „Opa starb viel zu früh.“ Das sind typische Aussagen von Menschen, die schwer aushaltbare Trennungen erlebt haben.
Wissen, wann es gut ist
Um zu wissen, wann es Zeit ist zu gehen oder wann „es gut“ ist, ist eine Grunderfahrung wichtig: dass Sattwerden. Als wir Säugling waren, haben uns unsere Mütter in bestimmter Weise gefüttert: Vielleicht haben sie uns überfüttert, vielleicht haben sie mit dem Füttern zu früh aufgehört und vielleicht haben sie uns „genau richtig“ gefüttert. Wer gesunde Erfahrungen gemacht hat und einen gesunden Körper hat, der weiß, wann er satt ist und kann aufhören zu essen. Er hat dann genug.
Kann ich noch bleiben?
Es gibt Menschen, die bleiben bei Treffen immer zu lang, andere gehen zu früh, wieder andere haben ein gutes Gespür dafür, wann es für den Gastgeber und für sie selbst „genau richtig“ ist. Ähnlich ist es auch mit Psychotherapie und Psychoanalyse: Manchmal wollen Patienten aus irgendwelchen Ängsten heraus die Therapie zu früh beenden. Sie haben z.B. die Vorstellung, die Trennung könnte so schmerzhaft sein, dass sie lieber „zu früh“ gehen als „zu spät“. Somit verpassen sie es, die Erfahrung zu machen, so lange zu bleiben, bis die Trennung „genau richtig“ ist.
Trennung ist schmerzhaft, aber oft „ok“
Viele weinen beim Abitur – es fällt ihnen nach einer guten Schulzeit schwer, die Schule zu verlassen. Die Oma, die mit 96 stirbt, wird schmerzlich vermisst. Das Kind, das nach 9 Monaten endlich zur Welt kommt, ruft auch Wehmut bei der Mutter hervor. Aber eigentlich ist die Mutter froh: „Jetzt will ich auch nur noch, dass es rauskommt – die Schwangerschaft ist am Ende sehr beschwerlich.“ Trennung ist nur hart, wenn das Kind zu früh kommt.
Wenn wir wissen, dass Trennung gut aushaltbar sind, wenn sie „organisch“ verlaufen, dann haben wir ein wichtiges Werkzeug in der Hand. Wir können vertrauensvoll abwarten, „bis es gut ist“, anstatt voreilig irgendwo wegzu laufen. Wir können uns dann bewusst sein, dass wir nicht Angst haben vor der Trennung zum richtigen Zeitpunkt, sondern vor der zu frühen, abrupten Trennung. Aber man kann das Leben nicht berechnen. Da ist das alte Ehepaar, das 60 Jahre lang zusammenlebte – stirbt ein Partner, bedeutet dies meistens einen ungeheuren Schmerz. Manchmal aber kommen auch hier die alten Menschen gut mit der Trennung zurecht: „Wir hatten so eine gute Zeit – er ist immer bei mir. Dafür bin ich dankbar.“
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