
Früher war alles besser: Da brauchte der Arzt gar keinen Facharzttitel. Er war nach dem Studium einfach „Praktischer Arzt“. Und als „Praktischer Arzt“ konnte er einfach einen Psychotherapietitel machen. Fertig. Irgendwann kam man auf die Idee, dass der Arzt, wenn er Psychotherapeut werden wollte, einen Facharzttitel als Grundausstattung brauchte.
Das bedeutet: Fünf Jahre Facharzt-Weiterbildung nach dem Studium sowie eine Weiterbildung zum Psychotherapeuten sind notwendig für den Zusatztitel „Psychotherapie“, der dann aber auch nur „fachgebunden“ gilt.
Psychiatrie hat oft nur wenig mit Psychotherapie zu tun
Ärzte haben zwar die Möglichkeit, Psychiater (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) zu werden, doch das hat mit der Psychotherapie, die viele Ärzte gerne ausüben möchten, oft wenig zu tun. Auch die Facharztweiterbildung für Psychiatrie dauert fünf Jahre. Und es ist verbunden mit Medikamentenverabreichung, mit etlichen Nacht- und Wochenenddiensten, mit Fragen zur Fixierung von Patienten und der Arbeit auf der „geschlossenen“ Station. Doch wer „nur“ Psychotherapeut werden möchte, der wird später anders arbeiten. Die Arbeit in der Psychiatrie ist nicht das, was Ärzte mit Psychotherapie-Weiterbildungswunsch wollen.
Psychologen beneiden die Ärzte auch um ihre Psychotherapie-Zusatzweiterbildung, weil sie für Ärzte recht leicht zu durchlaufen ist. Aufwand und die Kosten sind relativ gering, es wird relativ wenig Selbsterfahrung gefordert und die Theoriekurse verteilen sich meist auf wenige Wochenendkurse. Der Nachteil: Ärzte erhalten eine nur sehr schwache Ausbildung – viele fühlen sich danach oft nicht gut gerüstet für die Psychotherapie.
Qualität der Aus- und Weiterbildung ist abhängig vom Institut
Auch für engagierte Ärzte ist es möglich, eine gründliche Psychotherapie-Zusatzweiterbildung durchlaufen – ist das Weiterbildungsinstitut z.B. ein Institut, das der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) oder der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschsaft (DPG) angeschlossen ist, dann ist auch die Psychotherapie-Zusatzweiterbildung qualitativ hoch.
Ärzte, die diese Weiterbildung durchlaufen haben, fühlen sich wiederum nicht gut verstanden, wenn Psychologen glauben, auch diese Ärzte hätten ihren Psychotherapie-Titel leicht erlangt. Manche Ärzte erlangen ihn auch im Rahmen einer Psychoanalyse-Ausbildung bei der DPV – dann ist die Weiterbildung natürlich besonders ausführlich und ist vergleichbar mit der Ausbildung der Psychotherapie-Ausbildung von Psychologen.
Zu lange Wege
Natürlich steht einem noch der Facharzt für Psychosomatische Medizin offen, aber auch hier wieder: Es ist eine aufwendige, jahrelange Weiterbildung mit Diensten im Krankenhaus, was gerade für Mütter mit Kindern oft einfach „too much“ ist. Kaum hat man als Arzt dann seine Psychotherapiepraxis, wird man zu Notdiensten verpflichtet. „Ich möchte doch einfach nur Psychotherapie machen – hätte ich doch Psychologie studiert!“, sagt eine Ärztin-Kollegin. Ich denke das auch oft. Doch in jungen Jahren sieht vieles anders aus und viele Berufswünsche entstehen erst später.Warum kann man als Arzt nicht einfach direkt nach dem Studium – wie ein Psychologe auch – ausschließlich eine Psychotherapie-Weiterbildung bzw. -Ausbildung absolvieren?
Frühe Approbation hilft
Der große Vorteil für Ärzte ist jedoch: Sie sind direkt nach dem Studium „approbiert“, das heißt, sie dürfen direkt Patienten behandeln. Und: Sie erhalten heutzutage gleich nach dem Studium ein Assistenzarztgehalt, wobei nicht vergessen werden darf, dass die letzten beiden Semester des Medizinstudiums aus einem „Praktischen Jahr“ bestehen, also klinischer Arbeit, die sehr gering oder auch gar nicht bezahlt wird.
Psychologen arbeiten in der Psychotherapie-Ausbildung eineinhalb Jahre als „Psychotherapeut in Ausbildung“ (PiA). Sie arbeiten faktisch und praktisch in der Klinik wie ein fertig ausgebildeter Psychotherapeut, erhalten jedoch dafür kein oder nur ein geringes Gehalt. Diese Zeit bringt die Psychologen regelmäßig an ihre Grenzen. Fehlende Bezahlung heißt psychologisch auch fehlende Wertschätzung. Das ist ein unhaltbarer Zustand, gegen den die Psychologen gerade protestieren.
Hemmschuh fehlende Approbation
Psychologen sind direkt nach dem Psychologie-Studium noch nicht approbiert, das heißt, sie haben keine allgemeine Heilerlaubnis, was vielfältige Probleme mit sich bringt. Sie können nicht einfach irgendwo einen Praxisraum mieten und sich als Privat-Psychologe betätigen – allerdings können sie natürlich kreativ als „Berater“ oder „Coach“ arbeiten.
Doch in der Psychotherapie-Ausbildung bedeutet die noch fehlende Approbation in manchen Bundesländern und Instituten, dass die PsychologInnen während der Psychothearpie-Ausbildung in einer Lehrpraxis oder im Institut arbeiten müssen und sich nicht einfach einen beliebigen Raum mieten können, wie Ärzte es können.
Der Psychologe ist erst „approbiert“, nachdem er die Psychotherapie-Ausbildung abgeschlossen hat – diese dauert zwischen drei und fünf Jahren, in der Praxis oft sieben Jahre.
Als an manchen Unis der neue Studiengang „Psychotherapie“ angeboten wurde, dachte ich: Das könnte die perfekte Lösung sein. Doch der Name suggeriert etwas, was es nicht ist. Auch in der zukünftig geplanten „Direkt-Ausbildung“ (Ärzteblatt, Oktober 2016) muss man nämlich vorher Psychologie studiert haben und kann erst dann „Psychotherapie“ studieren (wie ein Masterstudiengang). Bei der geplanten Direktausbildung soll jedoch zumindest bezahlte Arbeit von Anfang an möglich werden.
Fakt ist: Wer wirklich Psychotherapeut werden will, hat es heute sehr schwer – unabhängig davon, ob er Arzt ist oder Psychologe. Vielleicht haben es die Ärzte aufgrund der sofortigen Approbation und der gefächerten Möglichkeiten auf den ersten Blick leichter. Gerade bei finanziellen Sorgen scheint der Arzt auf der sonnigeren Seite zu stehen. Doch auch Psychologen haben viele Vorteile, da sie seltener zu Diensten verpflichtet werden und ohne zeitaufwendige Facharztweiterbildung direkt Psychotherapeuten werden können.
Übrigens: Ich verdiene als promovierte Fachärztin für Arbeitsmedizin mit Zusatztitel Psychotherapie in der Klinik nicht mehr als junge Psychologen-KollegInnen, die teilweise ihre Psychotherapie-Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben.
Es wäre besser …
Man könnte den Neid der beiden Berufsgruppen aufeinander rasch auslöschen: indem Psychologen direkt nach dem Studium eine Erlaubnis zur Patientenbehandlung erhalten (allgemeine „Approbation“, oder auch vorläufige Approbation wie früher bei den „Ärzten im Praktikum“) und indem ihre PiA-Zeit angemessen entlohnt wird (also z.B. mit einem Gehalt, das einem Assistenzarztgehalt entspricht). Bei Ärzten sollte es endlich wieder möglich sein, direkt nach dem Studium ohne Facharzt eine Ausbildung zum Psychotherapeuten zu absolvieren. Es sollte auch für Ärzte möglich sein, „nur“ psychotherapeutisch an Kliniken zu arbeiten ohne Dienste, wobei ich hier insbesondere an Mütter denke.
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Ulrike Stritzel meint
Ich habe eine ganz andere Meinung als die hier im Text vertretene … vielleicht ist vieles früher anders gewesen? Aktuell ist dieser Artikel jedenfalls in meinen Augen nicht. Vieles lässt sich ja schnell gegenprüfen, beispielsweise dass in der medizinischen Weiterbildung mehr Selbsterfahrung/Supervision gefordert wird, eine umfassendere Kenntnis und Verantwortungsübernahme gefordert wird (insbes. bei „schweren“, oft medikationsbedürftigen Erkrankungen wie akuten Psychosen etc.) und auch dass die Zahl der durchgeführten und (erfolgreich) abgeschlossenen (!) Therapien höher ist (natürlich gibt es noch viele andere Unterschiede). Zudem trägt der Assistenzarzt bereit wesentlich mehr Verantwortung, sodass seine Arbeit härter gegengeprüft wird, während psychologische Psychotherapeuten in der Ausbildung aus meiner Erfahrung viel weniger kontrolliert werden und wenn sich kein Therapieerfolg einstellt niemand das Vorgehen hinterfragt – da letztenendes eben die Ärzte die Verantwortung tragen. Ich selbst habe zunächst Psychologie studiert und aus oben genannten Gründen anschließend doch noch Medizin aufgesattelt, um eben besser ausgebildet zu sein – in alle Richtungen.