Ich stehe in der Umkleidekabine vor dem Spiegel. Es muss ein gebogener Spiegel von schlechter Qualität in mieser Beleuchtung sein. Oder bin ich wirklich so unförmig? Viel mehr Speck, als ich dachte. „Muffin top“ heißt es, wenn die Speckrolle über den Hosenbund quillt. Wirklich so viele Dellen im Oberschenkel? Von „Körperschemastörung“ spricht man, wenn Magersüchtige sich viel zu dick finden. Wie nennt man es, wenn man denkt, man liefe im Körper einer 20-Jährigen herum und kommt dann in Unterwäsche an einem Spiegel vorbei?
Trauer zulassen
Ich stehe da und schau mich an. Viele denken gleich kämpferisch an Body-Shaping und BBP-Workout (Training für Bauch-Beine-Po). Der Körper als Gegner? Ist er nicht vielmehr ein trauriger Körper? Es sind die Spuren des Lebens, die am Körper sichtbar werden: Traurigkeit über das viele Sitzen, wo man doch so viel Bewegungslust spürte. Traurigkeit über die vielen schlaflosen Nächte, die man allein, mit Geldsorgen, beim kranken Kind oder in Beziehungsstress verbracht hat. Traurigkeit über die viele Schokolade, die man essen musste, weil der Kummer so groß war.
Trost spenden
Was der Körper braucht nach so einem Schreckenserlebnis, ist Trost durch heißen Kakao. Oder sollte es frische Rohkost sein? Mich friert bei dem Gedanken. Es zeigt sich, was der Körper auch noch braucht: Berührung, Wärme und gute Luft. In Saunalandschaften oder Massagepraxen lässt sich manchmal beobachten, wie erschöpft und gebeugt Menschen dort hinein gehen und wie anders sie aussehen, wenn sie herauskommen. Wie anders sich doch der Körper anfühlt nach einer warmen Dusche, nach Berührung, Schlaf oder ein paar tiefen Atemzügen. Oder auch nach einer guten Lektüre oder einer geistreichen Fernsehsendung. Der traurige Körper will nicht noch mehr Anforderungen, sondern er will gestreichelt und gut wahrgenommen werden. Dann beginnt er, zu atmen und sich zu verändern. In jedem Alter.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 23.6.2018
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