
Eine Psychoanalyse-Ausbildung kann sehr anstrengend sein – der angehende Analytiker wird mitunter sehr verletzlich. Alte Kindheitserinnerungen und psychische Schmerzen treten wieder auf und die Beziehung zum eigenen Lehranalytiker ist intensiv. Manchmal möchte man da gar nicht wissen, wer die Couchgeschwister sind, denn da könnte man schon eifersüchtig werden.
Zudem sind die Strukturen in der Psychotherapielandschaft heute sehr kompliziert und es gibt 1000 Regeln, die zu dem Gefühl des Spießrutenlaufs führen: Woher bekomme ich meine Patienten? Welcher Patient, ist bereit, vier Stunden pro Woche zu kommen? Wird der Gutachter der Krankenkassen „Ja“ zur Analytischen Psychotherapie sagen? Ein Blick auf den Nebenmann/die Nebenfrau in der Ausbildung und derjenige/diejenige strahlt, weil er/sie gerade seinen ersten/zweiten/dritten Ausbildungsfall gefunden hat.(Text & Bild: © Dunja Voos)
Geldmangel und Finanzierungsneid
Eine weitere entscheidende Schwierigkeit ist die Finanzierung der Ausbildung. Manche können sie sich leicht leisten, andere müsssen mit großem Kraftaufwand das Geld zusammenbekommen. Wer erlebt mehr „Versorgung“ und wer erlebt überwiegend „Mangel“? Kandidaten, die es schwerer haben, schauen mit großem Neid auf die, denen die Ausbildungsfinanzierung leichter von der Hand geht.
Manche fürchten „Konkurrenz“. Das Vertrauen darin, dass man schon bekommen wird, was man braucht, muss oft erst wachsen.
Der Familiengründungsvergleich
Viele sind in einem Alter der Familiengründung: Wer ist (schon) verheiratet, wer hat (schon) Kinder, wer nicht? Beschäftigt mit den eigenen schwierigen Fragen des Lebens schaut man auch hier auf die Eheringe der Mit-Kandidaten/-Kandidatinnen. Wer hat schon eine eigene Praxis, wer nicht, wer schon einen Facharzt, wer nicht und wer von den Psychologen hat schon eine Approbation zur Psychotherapie? Es gibt hunderte Möglichkeiten, sich mit dem anderen zu vergleichen. Manchmal führt auch der Kampf um den Platz bei beliebten Supervisoren zu Neid: „Ich bin bei Frau …“, sagt Kandidatin X, während man selbst schon länger auf der Suche nach dem passenden Supervisor ist.
Oft hilft es, mit den anderen etwas zu unternehmen, sich gegenseitig zu unterstützen und kennenzulernen, denn dann merkt man auch: Niemand hat es leicht.
Sprachlos
Über viele entscheidende Dinge wird (verständlicherweise) nicht gesprochen, weil es sehr persönliche Themen sind, die noch nicht verdaut sind. Häufig tauchen „Geschwisterkonflikte“ auf. Beispielsweise wissen in größeren Instituten die Kandidaten oft nicht voneinander, wer bei welchem Lehranalytiker ist. Die Psychoanalyse-Ausbildung geht an den Kern der eigenen Persönlichkeit. Hat der andere etwas geschafft, woran man selbst gescheitert ist, schmerzt das bis auf’s Mark. Die Psychoanalyse-Ausbildung fühlt sich manchmal an wie ein „Hochleistungssport“, obwohl man ja gerade das „Loslassen“ und „Nicht-Kontrollieren“ erlernen möchte. Es fühlt sich vielleicht nochmal an wie das Studium oder die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule: Die Anforderungen sind hoch und man weiß nicht, wer es schafft und wer nicht.
Der Neid ist oft da besonders groß, wo die Umstände sehr schwierig sind. Ähnlich wie beim Thema „Kinderwunsch“ kann sich der Neid im Laufe der Jahre auflösen: Ist man selbst schwanger geworden, dann ist der Neid auf die anderen Schwangeren vorbei. Auch kann man lernen, mit den Lücken des Lebens zu leben, sodass der Neid einfach im Laufe des Älterwerdens nachlassen kann. (Auf die Jüngeren mit all ihren Chancen, ihrer Gesundheit und ihrer Zeit wollen wir jetzt mal nicht schauen …)
Milde kommt
Hat man selbst seine Schäfchen im Trockenen, wird man milder gestimmt. Neid ist etwas, was sich schwer thematisieren lässt, vor allem gibt es nur selten Gespräche zwischen dem Neider und dem Beneideten über den Neid. Manche ziehen sich zurück, andere nehmen kontraphobisch alle möglichen Ämter an, um das Gefühl zu haben, mehr selbst beeinflussen zu können und die anderen besser kennenzulernen. Wieder andere verspüren kaum Neid und sind in gutem, befriedigenden Kontakt mit den anderen Ausbildungskandidaten. Die Geschichten sind so unterschiedlich wie die Ausbildungskandidaten selbst.
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