„Ich bin ganz schrecklich einsam“, sagt die Frau im Krankenhaus. „Obwohl mich jeden Tag mein Mann und meine Kinder besuchen kommen. Manchmal meine ich, das macht es sogar noch schlimmer!“ Diese Frau fühlte sich von Kindes Beinen an einsam. Ob sie allein war oder in Gesellschaft – immer hatte sie das Gefühl, dass ihr etwas ganz schrecklich fehlt. Anders ihre Bettnachbarin. „Ich fühle mich nie einsam“, sagt die Alte fast vergnügt. „Aber es kommt Sie doch niemand besuchen!“, entgegnet ihr die Schwester. „Warum glaubst Du das? Du kommst doch jeden Tag hier zur Arbeit und an mein Bett“, lächelt sie. Und die Krankenschwester weiß, was sie meint. Ihr bedeutet die Alte so viel. Sie schenkt ihr Trost, von ihr lernt sie so viel. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Man kann lernen, Verbindungen herzustellen
Es gibt Menschen, die fühlen sich fast nie einsam, weil sie von Kindes Beinen an eine gute Verbindung zu sich selbst und anderen herstellen konnten. Sie hatten meistens liebevolle Eltern, die sich gut in sie einfühlen konnten – oder sie hatten zumindest eine gute Mutter, einen guten Vater, eine gute Oma. Menschen, die als Kinder „unsicher gebunden“ waren, leiden oft ihr Leben lang unter einer schlechten Verbindung zu ihren eigenen Gefühlen und zu anderen Menschen. Sie müssen sich mühsam auf den Weg machen und diese Verbindung suchen.
Was ist das Schlimmste?
Was ist das Schlimmste, das einem Menschen passieren kann? Holocaust-Schicksale? Vergewaltigungen? Mörderische Angriffe durch die eigene Mutter? Jahrelange Vojta-Therapie? Frühgeburt? Mobbing? Verlust des Kindes? Verlust des Partners? Wenn wir anfangen, Schmerz und Leid von außen messen zu wollen, wenn wir unser Leiden dem des anderen gegenüberstellen, dann fügen wir uns selbst weiteren Schmerz zu. Es kommt auf den inneren Schmerz an. Und dieser ist bei Menschen, die Schlimmes erlebt haben, oft vergleichbar.
Verbunden im Schmerz
„Wut schmeckt allen Menschen gleich“, heißt es – wie sich eine Panikattacke anfühlt, kann fast jeder, der schon mal eine Panikattacke hatte, nachvollziehen. Aus welchem Grund die Panikattacke gerade stattfindet, ist in jedem Fall ein anderer. Aber das Gefühl ist vergleichbar. Mit diesem Gedanken kann man sich einander annähern. Viele fühlen sich getröstet, wenn sie eine „Lobby“ oder eine Selbsthilfegruppe mit Gleichgesinnten und Menschen mit ähnlichen Schicksalen haben. Doch viele distanzieren sich dennoch voneinander, wenn sie sagen: „Mein Schmerz ist schlimmer, du kannst meinen nicht nachvollziehen!“ Dann stimmt es und stimmt gleichzeitig nicht. Wenn man es emotional schafft, anzuerkennen, dass jeder Mensch in seinem Schmerz eben „am schlimmsten dran ist“, dann kann man sich mit anderen Menschen verbundener zu fühlen. Der andere spürt, dass ich seinen und meinen eigenen Schmerz anerkennen kann.
Wege
Es gibt viele verschiedene Wege, diese Verbindungen zu finden – manche machen lange Reisen, leben im Kloster, widmen sich der Kunst, lernen Massage oder Yoga oder machen eine Psychoanalyse. Die Psychoanalyse ist eine wunderbare Möglichkeit, mitten im Lebensalltag zu lernen, Verbindungen herzustellen. Jahrelang sieht man seinen Psychoanalytiker mehrmals in der Woche und hat hier die Möglichkeit, sich emotional so weiterzuentwickeln, dass mehr Verbindung zu sich und anderen möglich wird.
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