„Ist es normal, dass mein Psychotherapeut mit mir ins Kino gehen möchte? Dass er mir manchmal Geschenke macht?“, werde ich manchmal gefragt. Nein, das ist nicht normal. Die Düsseldorfer Psychologin Dr. phil. Marga Löwer-Hirsch zeigt in ihrem Buch „Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie“, dass so manche Fallgeschichte so oder ähnlich beginnt. Der Missbrauch in der Psychotherapie entspreche in vielerlei Hinsicht dem Inzest in der Familie, da die Patientinnen sich vom Therapeuten zeitweise so emotional abhängig fühlen wie ein Kind von den Eltern, so die Autorin.
Doppeldenk
Der Psychotherapeut kommt der Patientin näher und die Patientin hat das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Aber bald schon entsteht etwas, das Marga Löwer-Hirsch als „Doppeldenk“ bezeichnet: Auf einer Ebene spüren die Patienten, dass da etwas „nicht normal“ ist, auf der anderen Ebene reden sie sich mit scheinbar vernünftigen Argumenten gut zu. Insbesondere, wenn die Patientin von sexuellen Problemen oder Beziehungsschwierigkeiten berichtet, kann sie innerlich argumentieren, dass die (übergriffige) Beziehung zum Therapeuten sie heilen könnte nach dem Motto: „Wenn mir die Sexualität mit ihm gelingt, dann gelingt sie mir auch generell.“
Fallgeschichten
Marga Löwer-Hirsch erzählt die Fallgeschichten von 11 Patientinnen, die sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie erlebt haben. Auch ein Psychotherapeut, der Patientinnen sexuell missbraucht hat, kommt zu Wort. Die Betroffenen sind extrem verwirrt und werden teilweise suizidal. Viele Patientinnen haben zunächst das Gefühl: „Ich bin etwas ganz Besonderes.“ Selbst, wenn es Hinweise darauf gibt, dass der Psychotherapeut auch mit anderen Frauen bzw. Patientinnen sexuelle Beziehungen hat, versuchen viele Patientinnen, dies auszublenden.
Buch:
Marga Löwer-Hirsch:
Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie
Fallgeschichten und Psychodynamik
Psychosozial-Verlag, Gießen 2017
——
und:
Giulietta Tibone:
„Worüber klagen Patienten? Ein Erfahrungsbericht“
Vortrag beim Symposion „Ethik und Psychotherapie“, am 16. Mai 2006 in München
www.bvvp.de/bvvpbay/tibone
Dr. jur. Dipl.-Psych. Giulietta Tibone, München
„Behandlungstechnische Aspekte, die das hilfreiche Potential einer Psychoanalyse
beeinträchtigen – aus der Erfahrung der Vertrauensleute mit Patientenbeschwerden“
PDF
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