„Im heutigen Gesundheitssystem können wir uns Psychoanalysen nicht mehr leisten! Wo soll denn das hinführen? Drei- bis viermal pro Woche auf die Couch für 88 € – wie sollen die Kassen das denn finanzieren?“ Dieses Argument begegnet mir sehr oft. Ich arbeite als Psychoanalytikerin in Weiterbildung in meiner eigenen Praxis und halbtags in einer psychiatrischen Tagesklinik. In meine Praxis kommen Patienten 300 Stunden lang kassenfinanziert zur Psychoanalyse. Das macht ca. 300 * 88 € = 26.400 €, verteilt auf zwei bis drei Jahre. Die Patienten kommen fast täglich, können aber ihrem Berufs- und Familienleben ganz normal nachgehen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Achtwöchiger Tagesklinikaufenthalt so teuer wie ein Jahr Psychoanalyse
In der Tagesklinik bleiben die Patienten etwa 10 Wochen. Ein Aufenthalt kostet ca. 13.000 €. Da die Behandlungszeit für die Schwere der Erkrankung meistens zu kurz ist, kehren die Patienten oft zurück. Wenn man die „Patientenkarrieren“ liest, stößt man auf zahlreiche Klinikaufenthalte, die alle etwa denselben Betrag kosten. „Ich kenne viele, die auch mehrere Analysen machen.“ Das stimmt. Doch summa summarum kommt ja derselbe Betrag heraus mit dem Unterschied, dass die Menschen, die eine Psychoanalyse machen, oftmals weiterarbeiten können. Sie fühlen sich im Alltag gehalten.
Krankheitsschwere nicht unbedingt entscheidend
Das bedeutet nicht, dass Psychoanalyse-Patienten weniger „krank“ sind als Klinik-Patienten – im Gegenteil: Manche Borderline-Patienten sind „zu krank“ für eine Klinik. Sie können das Zusammensein mit anderen geschwächten Menschen in der Gruppe kaum ertragen. Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass es auch nach der Beendigung der Psychoanalyse bei einem Teil der Patienten weiterhin zur Besserung der Beschwerden kommt (z.B. Kantrowitz JL et al., 1990) und dass die Patienten weniger Krankenhausaufenthalte benötigen (z.B. Fonagy P., 2015).
- Tagessatz für eine Tagesklinik in einer Privatklinik (Dr. Scheib): 180 €. (Info: Dr. Scheib unterstützt mit einer Werbeanzeige – siehe rechts – dieses Blog).
- „Die Tagessätze dieser öffentlichen Krankenhäuser variieren erheblich (ca. 230 bis 330 € täglich). Der Tagessatz der psychiatrischen Klinik am Universitätsklinikum Freiburg beträgt beispielsweise 279 €.“ (https://www.klinik-friedenweiler.de/klinik/aufnahmevoraussetzungen/)
- Beispiel EOS-Klinik: „Die Tagessätze der EOS-Klinik entsprechen dem krankenhausindividuellen Basisentgeltwert der Alexianer Münster GmbH … und werden ab dem 01.01.2017 für jeden Tag der Behandlung wie folgt berechnet:
Vollstationär (Basispflegesatz 72,65 €, Abteilungspflegesatz 238,26 €)
Teilstationär (Basispflegesatz 49,78 €, Abteilungspflegesatz 177,19 €)“
Stabilität durch Psychoanalyse
Die Psychoanalyse bietet durch ihre Intensität den Patienten die Möglichkeit, den Analytiker als „innere Repräsentanz“ in sich aufzunehmen. Ähnlich wie bei Kindern ist es auch bei Patienten: Erst, wenn ein Kind die Mutter-Kind-Beziehung zufriedenstellend erlebt hat, wendet es sich anderen Kindern und Gruppen zu. Die Psychoanalyse, die „1:1-Therapie“, macht den Patienten sozusagen „gruppenfähig“. Viele Patienten in Kliniken beklagen das Gruppensetting und hätten gerne mehr Einzelgespräche. Sie spüren die gute Wirkung von Einzelgesprächen. Es gibt Therapeuten, die sagen: „Nur Gruppe! Das ist das Beste!“ Und es gibt Analytiker, die sagen: „Nur Psychoanalyse! Die enge Eins-zu-Eins-Beziehung ist das Beste!“ Jeder Mensch ist anders, jeder profitiert von einem anderen Vorgehen. Die Kliniken und Gruppentherapien lohnen sich und die Psychoanalyse lohnt sich auch. Finanziell macht es jedoch nur geringfügige Unterschiede.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
„Borderliner“ haben Angst vor anderen Menschen mit psychischen Störungen
Stockholmer Studie zur Psychoanalyse
Interessante Studien und Artikel:
Jacques P. Barber et al. (2003):
Change After Long-Term Psychoanalytic Psychotherapy
Journal of the Amerrican Psychoanalytic Association
Vol. 52, Issue 4, 2003
http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/00030651040520042001
Glen O. Gabbard, John G. Gunderson, Petere Fonagy (2002):
The Place of Psychoanalytic Treatments Within Psychiatry
Arch Gen Psychiatry. 2002;59(6):505-510. doi:10.1001/archpsyc.59.6.505
https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/article-abstract/206464
Seligman ME (1995):
The effectiveness of psychotherapy: The Consumer Reports study.
American Psychologist, 50(12), 965-974.
http://dx.doi.org/10.1037/0003-066X.50.12.965
http://psycnet.apa.org/record/1996-13324-001
Angela Mauss-Hanke über Psychoanalyse (12.1.2016):
„Dumme Vorurteile über Freud“
http://www.taz.de/!5262412/
Peter Fonagy (2015):
The effectiveness of psychodynamic psychotherapies: An update
World Psychiatry. 2015 Jun; 14(2): 137–150
Published online 2015 Jun 4. doi: 10.1002/wps.20235
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4471961/
„A large quasi-experimental study compared pre- and post-treatment health care costs for 890 patients treated with brief (Psychodynamic Therapy) PDT for a broad range of somatic and psychiatric disorders with those of a control group (N=192) who were referred but never treated, and found an average cost reduction per treated case of $12,628 over 3 follow-up years, with significant differences between groups for follow-up hospital costs (151).“
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Ein Jahr #Psychoanalyse ist nicht teurer als 10 Wochen psychiatrische Tagesklinik: https://t.co/Vd0sWOnQUu
— Dr. Dunja Voos (@dunjavoos) November 16, 2017
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