Es grollt die ganze Zeit. Mal mehr in der Ferne, mal ganz nah. Wo kann der Groll hin? „Nach dem, was ich erlebt habe, kann man das Leben nicht mehr schön finden“, sagt ein Holocaust-Überlebender. „Die Ärzte machten einen Fehler, daher bin ich von Geburt an behindert“, sagt die junge Frau. „Ich wurde jahrelang mit der Vojta-Therapie gequält und missbraucht“, erfährt man. Hier ist es erträglich. Doch das Zusammensein mit den „gesunden“ anderen weckt einen schmerzenden Neid. Er wird manchmal so groß, dass man nur noch auf eine einsame Insel will. (Text & Bild: © Dunja Voos)
„Ich hab‘ immer Recht!“
Das eigene Leid führt zu tiefen Überzeugungen. Die Vielfalt der anderen überfordert. „Was mir geholfen hat, muss doch auch anderen helfen!“, denkt man sich. Jedem will man seine Meinung aufdrücken – und hat der andere eine andere Meinung, kommt der Groll wieder. Kann er denn das Leid nicht sehen, dass durch seine Meinung entsteht? Man ist blind für die Vielfalt der Leiden und die Vielfalt der Haltungen und Hilfen.
Aufbau
Manchmal überrollt er einen, der Groll. Aber es geht vorüber. „Zerstören ist die Lösung“, denkt man schnell, wenn der Groll da ist. „Mich zerstören oder den anderen zerstören, oder beide, ganz egal.“ Doch kommen dann nicht die unruhigen Geister zurück? Zerstören ist nicht die Lösung. Der langsame Aufbau ist es. Ganz langsam. Es kostet unendlich viel Kraft. Stück für Stück. Der Groll lässt sich manchmal umwandeln in eine große Kraft. Man braucht ungeheure Disziplin. Mehr als andere. Selbstbeherrschung. Guten Willen, Vertrauen in sich selbst und andere. Unerschöpfliche Hoffnung. Erbarmen.
Sein lassen
Und immer wieder sieht man die anderen im selben Alter und der Vergleich tut weh. Immer wieder. Er nährt den Groll. Doch zurück zu sich selbst. Der Groll hat einen trainiert. Er ist emotionales Geistestraining. „Manchmal bin ich zu müde. Lass es doch sein“, denkt man sich. Manchmal versucht man es mit Zerstörung, manchmal mit Aufbau, manchmal mit Sein-Lassen. Jeden Tag kann man neu schauen, wie das geht: Das Leben mit dem Leid, das einem angetan wurde. Am meisten hilft es, möglichst unbeirrt und geduldig seine Ziele und Wunscherfüllungen weiter zu verfolgen. Jeder Wunsch, den man sich „trotzdem“ erfüllen konnte, lindert den Groll.
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