
„Der Himmel ist blau.“ Ein Gedanke, der schon immer da war. Aber wir müssen ihn erst finden. Wir müssen auf die Welt kommen, gesunde Augen haben, den Himmel sehen können und Sprache entwickeln, damit wir irgendwann diesen Gedanken denken können. Gedanken liegen überall herum. Es ist besonders in Gruppen oft nur die Frage, wer den Gedanken zuerst findet, „aufgreift“ und ausspricht. Im Traum haben wir oft keine bewussten Gedanken. Die Bilder und Eindrücke fliegen nur so herum. Doch auf einmal, wenn wir wacher und bewusster werden, denken wir: „Ich träume.“ Und wenn wir noch klarer werden, können wir unsere Gedanken im Traum lenken – mit etwas Anstrengung zwar, aber immerhin. Wenn wir wach sind, können wir unsere Gedanken meistens wie selbstverständlich lenken. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Gedanken fühlen sich „griffig“ an
Wir haben das Gefühl, dass die Gedanken „Grip“ haben wie Winterreifen im Schnee. Wir können einen „Gedanken festhalten“ oder wieder ziehen lassen, wir können „rechts“ denken und dann bewusst „links“ denken, um das auch mal das Gegenteil gedacht zu haben. „Gehe ich in Klinik A oder Klinik B?“, denken wir. Und während wir das denken, kommt ein Gefühl hinzu. „Klinik A“ fühlt sich wohlig an, „Klinik B“ verursacht Magengrummeln. Also gehen wir in Klinik A.
Es gibt störende und nicht störende Gedanken. Es gibt träumerisches, nicht anstrengendes und angestrengtes Denken. Unser Wille spielt dabei eine große Rolle. Wenn wir etwas nicht wollen, wie es ist, dann kann Denken anstrengend werden.
Emotionen können das Denken vernebeln
Wenn wir emotional stark gebeutelt sind, fällt uns das klare Denken schwerer. Die Gedanken scheinen uns mehr zu drängen. „Ich bin so wütend, ich könnte dem jetzt Eine …!“ Manchmal haben wir das Gefühl, dass sich unser Denken ganz ausschaltet. In bedrohlichen Situationen handeln wir instinktiv. Unser Körper sagt uns: „Lauf links lang!“ Wir hören vielleicht sogar diesen Gedanken in uns. Er kommt von einer „höheren Instanz oder Weisheit“ her, so empfinden wir das. Unser Körper hat viele Empfindungen ausgewertet, z.B. konnte er vielleicht verorten, dass Rauchgeruch von rechts kommt, sodass wir automatisch links lang laufen. Die Auswertungen des Körpers führen zu dem Gedanken: „Lauf nach links.“
Manche sagen, dass Denken nur mit Worten möglich ist. Aber wenn wir Instrumental-Musik hören oder träumen, dann „denken“ wir in Bildern. Wir haben manchmal „schwebende Gedanken“, die wir nicht in Worte fassen können. Menschen, die bei einem Schlaganfall die Sprache verloren und sie wiederfanden, sagen, dass sie sehr wohl denken konnten und Gedanken hatten, aber eben ohne Worte. Es gibt bewusstes und unbewusstes Denken. Wann wird unser Denken „griffig“ und was macht, dass es griffig wird?
Es gibt konkretistisches Denken und symbolisches Denken. Beim symbolischen Denken hebt das Denken sozusagen ab. Es entsteht etwas Drittes. Das symbolische Denken verbindet die Phantasie mit dem Echten, gibt dem Gefühl eine Bedeutung und dient der Kommunikation. Beim Symbolisieren wird das Wort „wie“ benutzt: Mein Magen fühlt sich an „wie“ ein Stein.
Ein „Etwas“ betasten
Als Baby haben wir oft zunächst weder greifbare Gefühle noch verbalisierte Gedanken. Wir spüren unseren Bauch und fühlen da ein furchtbares „Irgendetwas“ in uns. Wir sind in Panik, wir wollen dieses fürchterliche „Etwas“ loswerden. Es macht uns eine enorme „Unlust“, die den ganzen Körper umfängt. Der Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) nannte diesen Wust an Gefühlen und undenkbaren Gedanken „Alpha-Elemente“, womit er unreife, ungeformte psychische Elemente meint.
Dann fühlen wir in unserem Chaos plötzlich die Mutter und wenden uns instinktiv zur Brust. Es ist wie eine „gedankenlose“ Reaktion. Es überkommt uns. Und dann fließt die Milch und wir merken, wie dieses furchtbare „Etwas“, dieses „Gefühl“ beruhigt wird. Mit der Zeit lernen wir, dass dieses unglaublich schreckliche Gefühl, das da im Bauch sitzt, „Hunger“ heißt. Durch Wiederholungen lernen wir die Abläufe kennen, sodass wir den Hunger einordnen können.
Von der Ursuppe zum Dreigänge-Menü
Mit der Zeit nimmt die Bedrohlichkeit des Gefühls ab, weil wir so etwas wie ein „Wenn-Dann“ fühlen oder präverbal denken können. Wenn ich dieses „Gefühl“ habe und ich laut schreie, kommt meine Mama und macht mich satt.“ Im Laufe der Zeit finden wir Worte dafür, sodass sich das Gefühl eingrenzen lässt und es gleichzeitig zum dem Gedanken wird: „Ich habe Hunger.“ Diese Reifung findet durch den Körperkontakt und die Kommunikation mit der Mutter statt. Wenn wir dann erwachsen sind, können wir unsere Gefühle mithilfe unserer Gedanken steuern: „Ich habe Hunger, aber ich entscheide mich, zu warten, weil das Essen am Mittag in Gesellschaft schöner ist.“ Wir beruhigen uns und freuen uns auf den Mittag. (Die Wirklichkeit sieht oft so aus: „Ich halt’s nicht mehr aus und brauche Schokolade – und zwar genau jetzt!“)
Gedanken finden in Beziehung statt. Sie haben mit der Beziehung zu uns selbst oder zu anderen zu tun.
Was überwiegt?
Manchmal überwiegt unser Gedanke, manchmal unser Gefühl. Wir können einen gefühlten Gedanken haben, einen „Gefühlsgedanken“. Wir fühlen uns traurig und sagen dann, dass wir traurig sind. Wir können aber auch „Denkgefühle“ haben, z.B. wenn wir uns bei einem bestimmten Gedanken wohl oder unwohl fühlen.
Das Denken findet im Kopf statt, das Fühlen in Brust und Bauch.
Zwanghaftes Denken
Bei Zwangsstörungen gehen die Gedanken ganz eigene Wege. Zwangsstörungen zeichnen sich durch wenig Gefühl und wenig befriedigenden Beziehungen aus. Somit machen die Gedanken „Alleingänge“. Die Gedanken hängen nicht mit greifbaren Gefühlen wie Ärger, Angst oder Trauer zusammen, sondern sind verbunden mit einem Gefühl von Verlorensein, von „namenloser Angst“ oder absoluter Bodenlosigkeit. Sobald sich Beziehungen und Zusammenhänge herstellen lassen, können die Zwangsgedanken zurückgehen.
Denken und Danken
Das Wort „Gedanken“ hängt natürlich mit dem Wort „Dank“ zusammen. Dank empfinden wir, nachdem etwas geschehen ist. Gedanken lieben die Ordnung und die Konsequenz, den folgerichtigen Ablauf. Im Chaos oder bei Überraschungen müssen sie sich erst „neu sortieren“. Ob wir unsere Gedanken für uns behalten dürfen oder ob wir das Gefühl haben, dass andere unsere Gedanken lesen können, hängt von vielen Faktoren ab (siehe „Die Gedanken sind frei“). Manchmal sind wir auch zu müde zum Denken und schlafen ein. Wenn wir dann „aufgetankt“ sind (im Schlaf Tanken waren), können wir auch wieder denken. Man könnte sich noch endlos Gedanken zum Denken machen …
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