„Zu zweit zu sein irgendwo im 4.Stock ohne Notausgang ist für mich die absolute Horrorvorstellung.“ So oder ähnlich sagen es manchmal früh traumatisierte Menschen. Sie hatten in Zweiersituationen Lebensbedrohliches erlebt: Allein mit Mutter oder Vater (oder anderen Bezugspersonen) kam es zu Szenen, die sie (real und/oder phantasiert) fast umgebracht hätten. Das Fazit, das Traumatisierte daraus schließen: „Nie wieder allein zu zweit mit jemandem sein! Ich brauche den Überblick.“ Dadurch führen sie manchmal ein sehr einsames Leben. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Das Bedürfnis, frei zu sein
„Freiheit“ bedeutet für die Traumatisierten meistens „Sicherheit“. Doch sie sind oft so bedacht auf Freiheit, dass diese selbst zum Gefängnis werden kann. „In der Schule war ich fast ständig auf Toilette“, erzählt eine ehemals schizophrene Patientin. Sie brauchte ihren eigenen Raum, ihre „Freiheit“. Vielen Traumatisierten fällt es schwer, Berufe zu ergreifen, die reguliert sind – daher suchen sie oft die Freiberuflichkeit, obwohl diese häufig mit viel Kampf und Geldsorgen verbunden ist. So manch Obdachloser schläft lieber unter Brücken, als sich irgendwo wieder fügen zu müssen und die Freiheit aufgeben zu müssen. Manche steigen nie in ein Flugzeug, andere bleiben nicht lange in Gruppen, wieder andere können sich eine Partnerschaft oder Heirat nicht vorstellen. Das Prinzip ist immer dasselbe: „Ich suche meine Sicherheit, indem ich außen stehen bleibe und beobachte.“
Einsamkeit
„Nie gehöre ich wirklich dazu“, sagen manche. „Ich schaue immer, dass ich auch Geräusche von Nachbarn hören kann, wenn ich mit meinem Freund alleine bin – das gibt mir Sicherheit“, sagen andere. Zweisamkeit erscheint als etwas äußerst Gefährliches.
Wie kommt man raus?
Doch wie kommen Betroffene aus dieser „Zwickmühle“ heraus? Wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass man „innere Freiheit“ hat. Selbst, wenn man mit einem Partner alleine ist, hat man seinen Kopf, seinen Verstand, seine Möglichkeit, Emotionen zu regulieren und nachzudenken. Theoretisch jedenfalls. Wichtig ist es, innerlich beweglich zu bleiben und an etwas Drittes zu denken, wenn es zu zweit zu eng wird. Wichtig ist es, sich bewusst zu sein, dass man aufgrund des Traumas Angst hat vor dem „Mittendrin“. Wichtig ist es zu spüren, wie man anspannt, wenn man „mittendrin“ oder „zu zweit“ ist. Und dann kann man versuchen, sich bewusst aus dieser „Alarmstellung“ herauszuholen.
Viel Zeit – vielleicht Jahrzehnte
Um aus dem „Ich-bleibe-lieber-draußen-Gefühl“ herauszukommen, braucht es unglaublich viel Kraft, Arbeit und Geduld. Es ist gemein: Erst verpasst einem das Schicksal diese Not und dann muss man auch noch selbst ackern, um da wieder herauszukommen. Man braucht wirklich einen langen Atem. Oft ist jahrelange Psychotherapie bzw. Psychoanalyse notwendig.
Viele erlernen Tai Chi, Yoga oder ähnliche Methoden, um ihr vegetatives Nervensystem wenigstens ansatzweise steuern zu können. Das hat aber nur Erfolg, wenn man es fast täglich übt. Und da kann leicht wieder ein Gefühl des „Sich-Beugens“ oder „Sich-Unterwerfens“ auftauchen. Da kann sich manchmal der Kreis schließen und man wirft hoffnungslos das Handtuch. Aber man kann es wieder aufheben und es wie eine große Lebensübung ansehen: Immer wieder in kleinen Schritten sich dem „Mittendrin“ nähern. Mit wiederkehrenden Enttäuschungen, Einsamkeitsgefühlen und Versagensgefühlen, die Scham mit sich bringen. Aber es kommen auch gute Tage und immer wieder das Gefühl: „Ich habe es geschafft.“
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