Wenn es uns selbst gerade schlecht geht, können wir das Wohlergehen der anderen manchmal nicht ertragen. Eine Mutter, die selbst eine schwere Babyzeit hatte, kann es kaum ertragen, wenn ihr Kleinkind fröhlich spielt. Sie fühlt sich völlig im Stich gelassen. Wenn wir als Kind Eltern hatten, die aus heiterem Himmel böse wurden, schlugen, schrien, Therapien veranstalteten, dann haben wir Eines immer wieder erlebt: Unser Wohlergehen wurde wie aus dem Nichts zerstört. Der Neid, der Schmerz von Vater und Mutter schlug um in Gewalt gegen uns. Und dann passiert etwas Schlimmes mit dem wertvollen Zeitraum, in dem es uns gut geht: Er scheint uns ständig bedroht. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Der Wunsch ist da: Das Gute soll bleiben
Wenn es uns gut geht, bekommen wir eine große Sehnsucht danach. Das Gutgehen soll nicht enden. Aber da jedes Gutgehen – wie auch das Schlechtgehen – natürlicherweise auch wieder zum Ende kommt, wollen wir das Gutgehen lieber selbst beenden. Das geht ganz schnell: Jemand sagt etwas Gutes zu uns, sodass wir uns wohlig fühlen. Und dann ist es, als ob eine innere Kraft käme, die dieses Gute angreift. Es ist, als könnten wir nichts dagegen tun. Es ist wie eine Erinnerung an das, was früher mit uns geschah.
Unterscheiden lernen
Der innere Angreifer ist ein Rest von früher. Aber dennoch halten wir uns daran fest. Und plötzlich „hören wir uns etwas sagen“, das das Gute zerstört, das der andere uns eben gegeben hat. Wir finden es schwer, diese gute Zeit, diesen guten Moment, diesen wertvollen „Augenblick“ auszuhalten. Der andere könnte es sich ja schnell anders überlegen oder es könnte ein Zerstörer von draußen kommen. Also sagen wir rasch etwas und machen es selbst kaputt.
Das Gute verunsichert uns so sehr
Wir hängen am Guten, wir wünschen es uns und ersehnen es uns. Das Gute ist nach Traumatisierungen manchmal problematischer als das Trauma an sich, weil „Gutes“ = „Bevor Schlechtes kommt“ heißt. Aber wenn wir lernen, dieses „Plateau des Guten“ auszuhalten, wenn wir uns bewusst darauf einlassen, dass gerade ein guter Moment da ist, dann können wir üben, ihn zu halten. Wir können hier unsere geistige Kraft genauso trainieren wie das Gleichgewicht, wenn wir auf einem Bein stehen. Wir kippen immer weniger und bleiben immer länger stehen, je öfter wir üben, stehen zu bleiben. Das Gute ist ein Gleichgewicht, das vielleicht leichter kippen kann als das Schlechte. Das Schlechte ist schon am Boden. Um das müssen wir uns keine Sorgen machen. Es ist stabiler.
Einlassen
Es ist ein Abenteuer, sich auf das Gute einzulassen. Es stehen zu lassen. Es gut sein zu lassen. Es ist wichtig, die Angst, die damit verbunden ist, zu spüren und anzunehmen. So kann sich das Gute ausdehnen, mehr Platz einnehmen, geräumiger werden, stabiler werden. Und so verlieren wir auch die Angst vor uns selbst: Wenn wir lernen, nicht mehr reinzupreschen, nicht mehr sofort zu reagieren, nicht mehr das Gute zu zerstören, wenn wir lernen, uns zurückzuhalten und unsere Ohnmacht auszuhalten, kann das Gute immer länger bleiben. Wir akzeptieren, dass es irgendwann von irgendwo her, von innen oder außen aufhören kann. Aber wir müssen das Aufhören nicht mehr aktiv beschleunigen.
Irgendwann wird der innere Angreifer kleiner. Manchmal ist er vielleicht sogar ganz weg. Und manchmal ist er noch da und gewinnt. Aber viel ist gewonnen, wenn er nur noch so groß ist, dass er uns nicht mehr am guten Leben hindert.
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Hallo!
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