„Neutrale“ oder feindselige Beziehungen sind relativ einfach: Hier schaue ich, dass ich zu meinem Recht komme und dass der andere nicht zu viel Gutes abbekommt. Schwierig wird es für viele Menschen, wenn sie eine Beziehung eingehen mit jemanden, den sie wirklich mögen. „Es ist, als verließe ich mich selbst“, sagt eine junge Frau und beschreibt die Situation, in die sie kommt, wenn sie jemanden mag: „Dann ist es nur noch wichtig, dass Frieden herrscht. Meine eigenen Bedürfnisse stelle ich hinten an und Missstände spreche ich nicht an. Ich bin in einer guten Beziehung wie gelähmt.“ (Text & Bild: © Dunja Voos)
Aggressionen haben heißt, an etwas heranzugehen
„Aggression“ bedeutet nicht nur wütendes Schreien oder gewaltsamer Kampf. Aggression (vom Lateinischen: aggredi = herangehen) heißt, dass man auf jemanden zugeht. Aggressionen zu haben, bedeutet Kraft zu haben. „Normale“ oder wohldosierte Aggressionen geben uns eine positive Lebensenergie. Sie helfen uns, kraftvoll an eine Aufgabe heranzugehen und Ziele zu erreichen. Sie geben uns Substanz. Die Aggression ist ein Werkzeug, das uns hilft, selbst nicht zu kurz zu kommen.
Versteckte Aggressionen in Bezug auf die Eltern
Viele Menschen sind so aufgewachsen, dass sie keinerlei Aggressionen gegenüber Mutter oder Vater zeigen durften. Da Kinder abhängig von den Eltern sind, versuchen sie alles, um die Beziehung zu schützen. Kinder müssen mit ihren Eltern zusammenleben, also nehmen sie sich zurück. Kinder, die besonders empfindliche Mütter hatten, spürten ihre Empfindlichkeit und waren sehr sparsam damit, ihre Bedürfnisse zu äußern. Dass andere Menschen nicht so empfindlich sind wie die eigene Mutter, müssen viele dieser Kinder erst mühselig herausfinden, wenn sie erwachsen sind. Viele Kinder haben ihre Aggressionen ganz weit nach hinten gedrängt.
Wohin mit der Aggression, wenn wir jemanden mögen?
Wenn wir jemanden mögen, können alte „Vorsichtigkeitsgefühle“ wieder aufsteigen. Wir wollen den anderen schonen, ihm nicht zu Last fallen. Was dann hinten rüberfällt, sind unsere eigenen Bedürfnisse. Gerade, wenn wir jemanden mögen, wird es wichtig auf uns selbst zu achten, besonders auf unsere eigenen Emotionen und Aggressionen. „Immer wieder sind meine Beziehungen abrupt zu Ende, von jetzt auf gleich“, beklagen manche. Das liegt meistens daran, dass die Betrtoffenen nicht achtsam genug gegenüber dem eigenen Befinden waren und dass sie dem eigenen Befinden zu wenig Ausdruck verliehen.
Achtsam sein ist der erste Schritt
„Ich kann so schwer meine Bedürfnisse äußern“, sagen viele. Hier kann man jedoch anfangen. Man kann sich fragen: „Wie fühle ich mich im Augenblick? Fühle ich mich eingeengt? Ist es mir warm/kalt, möchte ich kurz eine Pause haben?“ Viele verdrängen bereits ihre Grundbedürfnisse, wenn sie mit jemandem zusammen sind, den sie mögen. „Beziehungen sind so anstrengend!“, sagen die Betroffenen dann. Natürlich – wenn man ständig damit beschäftigt ist, sich selbst zu verstecken, dann ist das eine anstrengende Arbeit. Bedürfnisse zu äußern ist der zweite Schritt. Der wichtige erste Schritt ist es, auf das eigene Befinden zu achten. Dann kann man sich leiten lassen und schauen, wohin das führt. Oftmals ist der andere nicht so empfindlich, wie man denkt. In einer Beziehung muss man vieles austarieren. Für viele bedeutet das aber, sich selbst herunterzuschrauben. Achten Sie einmal darauf – dann sind Sie erst einmal gut beschäftigt. Es ist eine Lebensaufgabe.
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