
Wilfred Ruprecht Bion (1897-1979) gilt als außergewöhnlicher Psychoanalytiker. Er wurde 1897 in der Stadt Muttra in Indien geboren. „Der Tod von Wilfred Ruprecht Bion am 8. November 1979 hat uns vor die Aufgabe gestellt, seinen Einfluss und den seines Werkes auf die Psychoanalyse unserer Generation neu zu bewerten“, schreibt der Psychoanalytiker James S. Grotstein (1925-2015), Los Angeles, in seinem Buch „Do I Dare Disturb The Universe. A Memorial To W.R. Bion“ (Übersetzung von W. Schimmler, Bremen. PSA-Info Nr. 48, Mai 1997, S. 3).
„Alle, die ihn kürzer oder länger persönlich kannten, schwören fast einheitlich auf seine enorme Vitalität, die Kraft seiner Gegenwart, den Humor seines trockenen Witzes, sein scharfsinniges Denken und die (leider anachronistische) Vornehmheit seiner Höflichkeit und seines Respektes für Menschen“ (PSA-Info, Nr. 48, 1997, S. 3).
Der Leopard an der Schneegrenze
„Major Wilfred Ruprecht Bion, D.S.O. (Anm.: Department Safety Officer) … war der metaphorische Leopard (Anm.: aus Hemingways Kurzgeschichte, 1938) auf der Schneegrenze des Kilimandscharo“, schreibt Grotstein, der selbst eine Psychoanalyse bei Bion gemacht hat (ebenda, S. 3).
„Sein Name ist hugenottisch, seine Vorfahren kamen vor einigen Jahrhunderten wegen der Verfolgung in Frankreich nach England (S. 4).“ Bions Vater war Ingenieur. Bion selbst kam als kleiner Junge nach England und wurde Arzt und Psychoanalytiker. Er war außerdem „Armeeoffizier, Rugbyspieler, Mathematiker, Philosoph“ und vieles mehr (S. 5). Er arbeitete unter anderem in der Tavistock-Klinik in England (Tavistock Institute, 2014: „From the Buddha to Bion: mindfulness, psychoanalysis and organisational life“).
Bion war Analysand von Melanie Klein
Seine eigenen Analysen hat Bion bei John Rickman (1891-1951) und Melanie Klein gemacht. Bion verlor seine erste Frau gleich nach der Geburt ihres einzigen Kindes, Parthenope. Mit seiner zweiten Frau, Fancesca, hat er die beiden Kinder Julian und Nichola. Bion lebte und arbeitete auch in Los Angeles.
„War Bion Kleinianer?“, fragt James Grotstein (ebenda, S. 10). Bion habe geantwortet: „Um Gottes Willen, nein! Ich bin nicht mehr Kleinianer als Melanie selbst. Ich dachte immer, sie sei Freudianerin, aber Anna Freud sorgte dafür, dass sie ‚kleinianisch‘ genannt wurde.“
Wichtige Begriffe: Container-Contained-Modell, O, K, L und H
Bion hat Theorien aufgestellt, die für die Psychoanalyse von großer Bedeutung sind. Besonders bekannt ist die Theorie des „Containments“, die (vereinfacht) besagt, dass die eigenen Gefühle und Gedanken von einem anderen „gehalten“ (contained) und transformiert werden. Für das, was da gehalten werden muss, braucht es einen psychischen Container; Bion prägte also das „Container-Contained“ Modell. Er arbeitete sehr gerne mit Zeichen und gab dem Container das Zeichen für „weiblich“. Für den Inhalt, also das „Containte“, wählte er das Zeichen für „männlich“.
Weiterhin bekannt ist Bion für die Abkürzung „O“, womit so etwas wie „Die Wahrheit“, die „puren Gedanken“, das „Göttliche“ gemeint ist. Daneben benutzte er den Buchstaben „K“ für „Know“, womit das „Wissen“ oder die „Wissgier“, der „Wisstrieb“ gemeint ist. „L“ steht bei ihm für die „Liebe“ und „H“ für „Hass“ (Knowledge, Love and Hate).
„PS“ heißt „paranoid-schizoide Position“ und „D“ ist die „depressive Position“ (nach Melanie Klein). Bion prägte auch den Begriff der „Beta- und Alpha-Elemente“. Als „Beta-Elemente“ bezeichnete er sozusagen die unreifen, unstrukturierten psychischen Elemente und als Alpha-Elemente die reiferen, begreifbaren Gedanken und Gefühle.
Frances Tustin war Bions Analysandin
Auch die für ihre Behandlung autistischer Kinder bekannte Analytikerin Frances Tustin (1913-1994) war in der Psychoanalyse bei Wilfred Bion. In dieser langen Zeit habe sie viel von Bion aufgesogen, schreibt sie.
Am ersten Tag habe sie ihn nicht gemocht, dann aber in der Analyse schnell festgestellt: „Hier habe ich etwas ganz Besonderes“ (PsA-Info 1997, Nr. 48, S. 14). Tuscin schreibt: „Und doch, wie ich jetzt dankbar feststelle, obwohl ich ein so undurchdringlicher Patient war, gab er mich nicht auf. Seine Großzügigkeit und Integrität (und seine Fähigkeit, Langeweile standzuhalten) werden von der Tatsache belegt, dass er in den vierzehn Jahren, in denen ich (mit Unterbrechungen) seine Patientin war, nie das Honorar änderte, das ich zahlte. … Ich nannte ihn immer ‚den Fels von Gibraltar'“ (ebenda, S. 15).
Bions schwierige Texte und Theorien
Bions Texte sind zwar fesselnd und lebendig, aber er ist doch oft schwer zu verstehen. Selbst Frances Tustin schreibt (S. 16): „Ich habe nicht die Fähigkeit von Oliver Lyth (oder die anderer), die Gedanken Bions aus seinen Büchern aufzunehmen. Ohne den persönlichen Kontakt mit ihm wäre mir vieles entgangen, was mir jetzt klar ist.“
Tustin gibt noch einen bemerkenswerten Schlusssatz Bions aus „Gesprächen in Sao Paolo“ wider, der vielen Mut machen dürfte (S. 17):
„Man darf sich nicht einschränken lassen durch die Beschränkungen seiner Lehrer, Dozenten, Analytiker, Eltern. Ist man das, dann gibt es keinen Raum für Wachstum.“ (Bion, 1980)
Zeitraster zur Orientierung:
Sigmund Freud (1856-1939) – Melanie Klein (1882-1960) – Wilfred Bion (1897-1979)
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Containment
- Aus unreifen Beta-Elementen werden reife Alpha-Elemente
- Primärprozess
- Minus K: Nichtwissen als Abwehr nach Bion
- Faith (F) bei Bion
- Melanie Klein und die Kleinianer
- Paranoid-schizoide und depressive Position
- Präkonzeption nach Bion: Finden, was wir suchten
Links:
Grotstein, James S.:
Bion’s „Transformation in ‚O'“
nd the Concept of the „Transcendent Position“
http://www.sicap.it/merciai/bion/papers/grots.htm
Krejci, Erika (1936-2013):
Psychische Strukturbildung und Mythos im Denken
von Freud, Bion und Wolfgang Loch
Jahrbuch Psychoanalyse 65, S. 175-201
Frommann-Holzboog, 2012, PDF von Wolfgang-Loch-Stiftung.de
Wiedemann, Wolfgang:
Wilfred Bion
Biografie, Theorie und klinische Praxis des »Mystikers der Psychoanalyse«
Psychosozial-Verlag 2007
Dieser Beitrag erschien erstmals am 9.12.2012
Aktualisiert am 20.2.2016
Schreibe einen Kommentar