Der Jammer mit den Zahnärzten

Im Wartezimmer lächeln sie einem von Plakaten entgegen: Dynamische Menschen, die anscheinend alle ihre Zähne gründlich geputzt haben. Meine Zähne sehen leider nicht so aus – obwohl ich immer geputzt habe. „Ein sauberer Zahn wird nicht krank“, steht auf einem Poster. Damit ist das Schuldgefühl bereits im Wartezimmer geweckt. „Karies und Parodontose müssen heute nicht mehr sein“, klärt eine Broschüre auf. Ich fühle mich mit meinem Ist-Zustand noch weiter vom Soll-Zustand entfernt. An der Wand hängen drei Zertifikate, die der Zahnarzt erlangt hat – er ist Spezialist auf dem Gebiet der Implantologie. Ich will kein Implantat. Mir wäre es lieber, an der Wand hinge auch ein Plakat, das dem Zahnarzt Warmherzigkeit bescheinigt oder welches ihn auf dem Gebiet des „Zeithabens“ auszeichnet.

Was ist nur los mit der Zahnmedizin?

Die Zahnärzte selbst können nichts dafür – auch sie stecken in unserem vertrackten Gesundheitssystem fest und sie erhielten eben das Wissen, das man heute an den Universitäten erhält. Es gibt viele sehr gute Zahnärzte, die man zufällig ausfindig macht. Viele Patienten sind jedoch dauerhaft enttäuscht. Unzählige Menschen leiden an Zahnarztphobie. Dass die Praxen immer „cleaner“ und technisch aufwendiger werden, trägt nicht zum Abbau von Ängsten bei.

Lachgas und Hypnose helfen vielen nicht dauerhaft

Da bietet man Lachgas, Hypnosen und Vollnarkosen an, ohne zu berücksichtigen, dass viele Angstpatienten nichts mehr fürchten als den Kontrollverlust. Obwohl bei der Hypnose die Kontrolle erhalten bleibt, so verbinden doch viele Patienten die Hypnose mit Abhängigkeit und Kontrollverlust. Mit diesen Angeboten signalisiert man den Patienten auch: „Deine Angst ist nicht willkommen. Wir bekämpfen sie.“

Fragebögen bei der Anmeldung sagen meistens nur wenig über die Psyche aus

Wer neu beim Zahnarzt ist, soll erst einmal einen langen Anamnese-Bogen ausfüllen, in dem nach Allergien, Herzkrankheiten und Kreislaufbeschwerden gefragt wird. Mindestens genauso entscheidend wäre es jedoch zu fragen, ob der Patient Gewalterfahrungen in der Kindheit gemacht hat, ob er (sexuell) missbraucht wurde oder ob er zur Zeit in einer krisenhaften Situation steckt. Diese Informationen wären wichtig, damit der Zahnarzt die unglaubliche Angst oder die unklaren Beschwerden mancher Patienten besser verstehen könnte.

Die Implantate

Viele Menschen haben kein gutes Verhältnis zu Implantaten. Ein Zahnimplantat ist ein Fremdkörper, er gehört eben nicht zum eigenen Körper. Auch darüber machen sich viele Patienten Gedanken und es bereitet vielen Unbehagen, das Gefühl zu haben, dass da etwas Fremdes in sie reingesteckt wird. Auch diese Vorstellung hängt sicher bei vielen mit der Lebensgeschichte zusammen.

Bei Zahnärzten sieht es oft so einfach aus: Ein Implantat gehöre heute mit zu den besten Versorgungsmöglichkeiten, die es bei fehlenden Zähnen gäbe. Wer sich im Internet über Teilprothesen informieren möchte, findet relativ spärliche Informationen.

Ein alter Hausarzt sagt: „Also bei mir kommt kein Zahnimplantat rein! Wenn ich das Theater in den Altenheimen sehe! Früher ging Schwester Gertrud abends durch die Zimmer, sammelte die Gebisse ein und säuberte sie. Heute leiden viele alte Menschen an schmerzhaften Entzündungen, die durch Implantate verursacht werden.“ Implantate sind eine tolle Sache. Doch zu einer ehrlichen Patienteninformation gehört auch die Information über die möglichen Nachteile.

Wenig Aufklärung über den Speichel

Zahnärzte geben einem wenig Informationen darüber an die Hand, wie man seine Zähne noch schützen könnte. Was ist zum Beispiel mit dem Speichel? Welche Rolle spielt psychische Anspannung? Beispielsweise zeigte eine Studie der Universität Gießen, dass psychoanalytische Therapien dazu führen können, dass der Cortisolspiegel im Speichel sinkt und Immunglobuline A ansteigen (Sebastian Euler et al. (2005): On psychobiology in psychoanalysis – salivary cortisol and secretory IgA as psychoanalytic process parameters. Psychosoc Med. 2005; 2: Doc05. Published online 2005 March 31. www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2736497/). Im Mund geht es also um viel mehr als um Schokoriegel und Zähneputzen.

Auf der anderen Seite: die Ganzheits-Zahnmediziner

Wer sich auf die Suche nach Alternativen macht, stößt bald auf die Website der Internationalen Gesellschaft für ganzheitliche Zahnmedizin (www.gzm.org). Hier findet man oft das Gegenteil des „engen schulmedizinischen Denkens“, denn hier geht es um Bioresonanztherapie, um die Elektroakupunktur nach Voll (EAV, www.imgeav.org), um die Kinesiologie und vieles mehr. Wer hiermit nichts anfangen kann, der fühlt sich ebenfalls nicht gut aufgehoben. Zu „abgedreht“ erscheinen da manchmal die Angebote der Ganzheits-Zahnmediziner.

Doch auch hier kommt es wieder auf den einzelnen Zahnarzt an. Wer den Zahnarzt findet, der zu ihm passt, für den ist es oft zweitrangig, welche Philosophien er vertritt. Gutes Handwerk, etwas Zeit, weites Denken und ehrliche Informationen, das können einige Zahnärzte bieten – den für sich optimalen, „eigenen“ Zahnarzt kann man mit etwas Geduld und Ausdauer finden.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 30.10.2012
Aktualisiert am 22.2.22

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