Der Kinderanalytiker Dr. Hans Hopf hat in seinem Buch „Die Psychoanalyse des Jungen“ seine Erfahrungen aus der Jahrzehnte-langen Arbeit mit Jungen zusammengetragen. „In den neunziger Jahren begannen Jungen zum Problem zu werden“, schreibt Hans Hopf. Die Diagnose ADHS kam auf und für die Jungen wurde es immer schwieriger, im Bildungssystem zu bestehen. Häufig ist es das Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen, was den Jungen „zum Problem“ werden lässt. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Klett-Cotta)
Keine einfachen Lösungen
Auf der Suche nach Lösungen werden die heutigen Probleme oft vereinfacht auf einzelne Problempunkte heruntergebrochen, z.B. auf die Forderung, man solle mehr männliche Erzieher und Grundschullehrer einstellen. Hans Hopf schreibt hierzu:
„Solche Rundumschläge sind in öffentlichen Diskussionen nicht selten, wenn es um vermeintlich konservative Gedanken in der Erziehung geht. Sie beruhen aber zumeist auf mangelhaften Kenntnissen. Das Paar, biologisch in der Regel Frau und Mann, verkörpert als Mutter und Vater für das Kind weibliche und männliche Aspekte während Kindheit und Jugend (vgl. auch Radebold, 2010, S. 27). Es geht also nicht um ein reales Paar, sondern um Repräsentanzen, um innere Bilder von der Paarbeziehung in einem Kind. Und es geht darum, dass der Weg zum Dritten nicht versperrt wird …“ (Kapitel „Ist die Kinderpsychoanalyse reaktionär?“, S. 262).
Männlichkeit wird mit Gewalt gleichgesetzt
Hans Hopf beschreibt auch, mit welchen Vorurteilen Jungen, Männer und Väter heute konfrontiert sind. Er macht darauf aufmerksam, wie häufig „father hunting“ in unserer Gesellschaft stattfindet. Aber auch die Mutter werde häufig idealisiert und kritisiert, z.B. in der psychoanalytischen Theorie. Dabei werde häufig außer Acht gelassen, dass die mütterliche Fürsorglichkeit unter den gegebenen sozialen Bedingungen auch ihre Grenzen hat (S. 222). Hans Hopf beschreibt viele tragische und problematische Fallgeschichten von Jungen in der Psychotherapie und kommt zu dem Schluss:
„Ich halte die Verläufe in den meisten der zuvor dargestellten Fallgeschichten fraglos für problematisch, weil sie die seelische Freiheit des Individuums einschränken. Andererseits müssen sie das Schicksal des Kindes nicht für immer bestimmen, auch dafür gibt es überzeugende Fallbeispiele. Ich bin der Meinung, dass Psychoanalyse helfen soll, uns und die Welt besser zu verstehen, und sie sollte helfen, Leiden dort zu vermindern, wo es entsteht und besteht. Dann wird sie auch nicht zur Diskriminierung, Polarisierung oder Pathologisierung beitragen, sondern zur Freiheit des Einzelnen und des anderen. (S. 225)
Jugend
Im Kapitel „Konflikte in der Adoleszenz“ beschreibt Hans Hopf sehr plastisch, warum jugendliche Jungen so sind wie sie sind. Humorvoll schreibt er:
„Eine große Rolle spielt für den Jungen in jener Zeit der Computer mit seinen Fluchtmöglichkeiten, spielen aber auch Verschmelzungserlebnisse mit Musik: Für den narzisstischen Rückzug eignet sich auch der iPod ganz hervorragend, der beinahe ganztägig getragen werden kann.“
Ein sehr empfehlenswertes Buch! Vielleicht könnte es noch eine „Version zum Mitnehmen“ geben, eine Art kleiner Ratgeber oder Wissensvermittler in noch einfacherer Sprache für alle interessierten Mütter, Väter, LehrerInnen, ErzieherInnen und TherapeutInnen.
Buch:
Hans Hopf:
Die Psychoanalyse des Jungen
Klett-Cotta, Stuttgart, 2014
Dieser Beitrag erschien erstmals am 18.10.2014
Aktualisiert am 13.2.2015
Jay meint
Interessantes Buch, wenn auch leider nicht ganz billig.
Zum Thema „Männlichkeit“ machte mein Therapeut in der Analyse die Bemerkung, dass
ich wenig klassische, männliche Attribute habe, da ich schon früh gemerkt habe,
dass mein Vater nicht als Vorbild taugte.
Diese Äußerung empfand ich merkwürdigerweise als sehr befreiend und auch absolut schlüssig.
Ich bin als Typ Mann eher „weich“.
Früher wurde ich, wenn ich mit einem Freund unterwegs war,
gelegentlich für schwul bzw. ich und er für ein schwules Pärchen gehalten, was ich
aber absolut nicht bin.
Ich kann nur mit dem klassischen, männlichen Rollenbild nicht viel anfangen.
Wenn in einer Beziehung die Partnerin mich in ein solches pressen will, fühle ich mich gar nicht wohl.