„Meine alte Therapeutin hat während der Sitzung immer mitgeschrieben“, sagt ein Patient. Er ist irritiert, dass ich nicht mitschreibe. Er fragt sich, ob mich mir alles merken kann. Während der Sitzung mitzuschreiben kann Vorteile haben, weil man die Informationen ordnen kann. Durch das Mitschreiben können sich manche Therapeuten besser konzentrieren. Beim Patienten kann dadurch das Gefühl entstehen, dass das, was er sagt, gut gehalten wird und einen Platz findet. Er spürt, dass es wichtig ist, was er sagt. Das Mitschreiben hat jedoch auch Nachteile. Manche Therapeuten schreiben gerade zu Beginn ihrer Therapeuten-Tätigkeit sehr viel mit. Weiterlesen
Viele Psychotiker haben in der frühesten Kindheit die schlimmsten Dinge erlebt. Nicht wenige konnten nur überleben, indem sie sich „tot“ stellten oder wie Gott erlebten. Wenn ein psychotischer Patient kommt und behauptet, er sei Gott, ist die Versuchung groß, ihm zu zeigen, dass es nicht so ist. Manche Patienten wollen sogar, dass man sie bestätigt. Doch dann würde der Therapeut sich unglaubwürdig machen. Daniel Knafo und Michael Selzer stellen dieses Dilemma in ihrem Buch „From Breakdown to Breakthrough“ (Routledge, 2024, S. 40-43) eindrücklich dar. Sie schlagen vor, auf eine spezielle Art nachzufragen, z.B. so: „Seit wann weißt Du, dass Du Christus bist?“ (S. 42) So kann der Patient sich ernst genommen fühlen, seine Welt mit dem Therapeuten teilen und durch Nachdenken gleichzeitig nach alternativen Sichtweisen suchen. Der Therapeut dürfe nicht vergessen, dass der Patient in einem komplizierten Wahnsystem stecke, so Knafo und Selzer (S. 40 ff.). Weiterlesen
Das Trauma, es ist immer in mir. Ich erinnere mich (nicht). Ich habe (keine) Bilder dazu. Ich sehe außen so vieles davon wieder. In Gesichtern, Absichten, Körperhaltungen, Tageslichtern. Worten. Täglichen Gefängnissen. Doch wie soll ich leben und arbeiten, wenn es immer in mir ist? Ich spüre: Es ist nicht starr. Ich kann es hin- und herbewegen. Und ich kann meinen Körper bewegen. Manche Körperhaltungen bringen mich dem Trauma näher. Und wieder weiter weg. Das Trauma will gesehen, gefühlt, besprochen, beschwiegen, gehalten und gewürdigt werden. Aber es ist auch das andere da. Das Gute und Gesunde und das Unbeschädigte. Das Leben ist wie eine Welle – es geht auf und ab. Weiterlesen
„Da musstest Du ja sicher viel lesen und Theorien lernen“, hörte ich manchmal, wenn ich sagte, dass ich eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) gemacht (aber nicht abgeschlossen) habe. Doch diese Ausbildung ist anders als ein Medizin- oder anderes verkopftes Studium. Besonders in Prüfungen – sei es im Vorkolloquium, im Zentralseminar oder im Kolloquium – wird das deutlich. Worauf es in einer Psychoanalyse-Prüfung ankommt, zeigt aus meiner Sicht die wunderbare arte-Dokumentation „Dirigenten – jede Bewegung zählt“. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Dirigenten, der an einem Wettbewerb teilnimmt und weit hinten landet, obwohl er über Talent, Musikalität, Technik, Wissen und Können verfügt. Er solle es noch einmal in zwei Jahren versuchen, wird ihm gesagt. Weiterlesen
Je schwerer eine Erkrankung, desto größer manchmal die Retterphantasie, könnte man vielleicht sagen. Ärzte, die mit dem Defibrillator zum Herzkranken laufen, sind – je nach Situation – hoch motiviert und wollen helfen. Schaffen sie es, so haben sie den Patienten gerettet. In der Psychotherapie- und Analyse-Ausbildung lernen Kandidaten oft, dass sie sich vor der Retterphantasie hüten sollten. Doch auch in der Psychotherapie kann man sich durch psychisch schwer kranke Patienten besonders herausgefordert fühlen. Da sich mehr oder weniger bewusste Retterphantasien nicht „verhindern“ lassen, ist es wichtig, sie zu bemerken. Eine Retterphantasie kann z.B. als Gegenübertragungsphantasie oder -Gefühl auf einen Patienten entstehen, der selbst einen „Größenwahn“ hat. Weiterlesen
„Relation“ ist das englische Wort für „Beziehung“. Die relationale Psychoanalyse betont das Wechselspiel in der Beziehung von Patient und Psychoanalytiker. Der Analytiker ist keine neutrale oder objektive Person, sondern er geht mit dem Patienten eine intensive emotionale Beziehung ein. Als führender Vertreter der relationalen Psychoanalyse wird heute oft der amerikanische Psychoanalytiker Stephen A. Mitchell (1946-2000) genannt, jedoch wurde die relationale Psychoanalyse bereits unter anderem von – natürlich – Sigmund Freud, Melanie Klein, Sandor Ferenczi, John Bowlby, Donald Winnicott, Ruprecht Bion, Harry Stack Sullivan, Michael Balint (1896-1970), Harry Guntrip und William Ronald Dodds Fairbairn (1889-1964) geebnet.
Die relationale Psychoanalyse hat ihre Wurzeln in der interpersonellen Psychoanalyse, die auf den Psychiater Harry Stack Sullivan (1892-1949) zurückgeht. Die relationalen Psychoanalytiker betrachten „Freud als den ersten relationalen Psychoanalytiker“ (Mertens, S. 47), denn schon er sprach von der „Kommunikation von Unbewusst zu Unbewusst“ (Mertens, S. 46).
Relationale Psychoanalytiker gründeten im Jahr 2001 die Internationale Vereinigung für Relationale Psychoanalyse, die International Association for Relational Psychoanalysis and Psychotherapy (IARPP). Die IARPP will über die relationale Psychoanalyse informieren, diesen Ansatz lehren und mit Vertretern anderer psychoanalytischer Schulen ins Gespräch kommen. Dazu veranstaltet sie unter anderem regelmäßig Konferenzen.
Eine bekannte Vertreterin der Relationalen Psychoanalyse ist die Psychoanalytikerin Jessica Rachel Benjamin. Sie ist nicht zu verwechseln mit Lorna Smith Benjamin, die die Interpersonelle Rekonstruktive Therapie und die Strukturale Analyse Sozialen Verhaltens (SASB) begründet hat.
In seinem Buch „Psychoanalytische Schulen im Gespräch“ (Band 2) listet Wolfgang Mertens Gründungsmitglieder der Relationalen Psychoanalyse auf (S. 204):
Wolfgang Mertens:
Psychoanalytische Schulen im Gespräch
Band 2: Selbstpsychologie, Post-Selbstpsychologie, relationale und intersubjektive Kritik
Verlag Hans Huber, Bern 2011: S. 16, S. 45, S. 47, S. 204
Christian Maier über
Mitchell, Stephen A.:
Bindung und Beziehung. Auf dem Weg zu einer relationalen Psychoanalyse
Ärzteblatt, PP 3, Juli 2004, S. 298
Dieser Beitrag erschien erstmals am 3.8.2013
Aktualisiert am 11.2.2022
Jeder Mensch hat seine Neurosen. Damit sind die Stellen in der Psyche gemeint, die nicht so ganz im Gleichgewicht sind. Wenn Du z.B. immer überpünktlich zu Terminen kommst, dann hast Du eine Pünktlichkeitsneurose. Vielleicht hattest Du Eltern, die sehr auf Pünktlichkeit achteten oder Du hast einmal Schaden genommen, als Du zu spät kamst. Wenn Du schwer traumatisiert bist, kommst Du vielleicht oft zu früh, um zu überprüfen, ob die Luft rein ist. Neurosen äußern sich als Ängste, Depressionen oder Zwänge, doch der Bezug zur Realität bleibt vorhanden, oder besser gesagt: Die Fähigkeit, mit einem anderen sinnvoll zu kommunizieren, bleibt vorhanden. Weiterlesen
Gefangen in der Uniklinik. Mit einem Gleichgewichtsnerven außer Gefecht schwanke ich mühselig von Untersuchung zu Untersuchung. Hektische Ärzte, unfreundliche Anweisungen auf dem Drehstuhl, den ich mit Schrecken im laufenden Betrieb verlasse. Warten auf dem Flur. In den Gängen Betrieb. Ungewissheit. Ich weiß nicht, was los ist, keiner sagt mir was. Die letzte Station: Ein kleiner Technikraum im Keller. Das Fenster auf, frische Morgenluft, ein paar Vögel zwitschern. Ein freundlicher Assistent. Ein ganz einfacher Mann. Die einzige Anweisung: Einige Minuten lang ruhig liegen bleiben während der Hirnstammaudiometrie. Er sitzt die ganze Zeit neben mir und sagt nichts. Er hält meine Hand. Er macht mich gesund. Am Ende stehe ich auf und fühle mich das erste Mal seit vielen Tagen wieder halbwegs sicher auf meinen Beinen.Weiterlesen