Psychoanalyse: Wer ist „analysierbar“ und wer nicht?

Psychotiker haben oft einerseits „zu viel“ von diesem Phantasie- und Assoziationsraum – Menschen mit stärkeren autistischen Anteilen haben mitunter „zu wenig“ davon. Andererseits leiden Menschen mit Schizophrenie ebenfalls oft darunter, dass das Symbolische abhanden gekommen ist und sie so vieles konkret verstehen. Im Grunde aber geht es immer wieder um den „dritten Raum“, der bildlich gesprochen vom Vater mitgeschaffen wird und der sozusagen „über“ den zwei Menschen einer Beziehung steht.

Der Vater, der als „Dritter“ in die Welt von Mutter und Kind kommt, ermöglicht dem Kind ein erweitertes Denken und Fühlen. Plakativ gesprochen lernt das Kind, dass es noch etwas anderes gibt, als die Mutter – dass es Unterschiede zwischen sich und anderen gibt und dass Veränderungen keine Katastrophe bedeuten müssen. Um diese Räume geht es in der Psychoanalyse. Mit der Zeit entwickelt sich der psychische Innenraum des Patienten. So kann er sich dann auch besser in anderen Räumen, sozusagen in Beziehungsräumen bewegen, ohne sich allzu sehr bedroht oder eingeengt zu fühlen. Dadurch können Gefühle von Selbstwirksamkeit, Eigenständigkeit und Lebensfreude wachsen. Das Gefühl der Abhängigkeit in der Beziehung wird nicht mehr so sehr als Gefahr gesehen.

„Ist der Patient analysierbar?“ heisst für mich oft auch: „Will ich mit diesem Patienten arbeiten und er mit mir?“ Im Film „Take these broken wings – Schizophrenie heilen ohne Medikamente“ arbeitet der Psychoanalytiker Daniel Dorman mit einer schwer schizophrenen Patienten über viele Jahre fünf bis sechs Mal pro Woche. Die Patientin kann schliesslich einen Beruf ausüben, einen Partner finden und Freude am Beisammensein mit anderen empfinden – für sie das grösste Geschenk (Youtube). Vielleicht kein anderer Psychoanalytiker hätte sich zu dieser Zusammenarbeit entschieden.

Der Psychoanalytiker Salman Akhtar hält die Einteilung in analysierbare und nicht-analysierbare Patienten für problematisch. Er sagt, man müsse immer schauen, welcher Analytiker zu welchem Patienten passt (Youtube). Er kenne einige Analytiker, bei denen er selbst „nicht analysierbar“ wäre, wohingegen er es bei anderen sehr wohl wäre. (Zu bedenken ist, dass er seine Aussagen von einem psychisch hohen Niveau aus trifft.) In früheren Diskussionen zur Frage der Analysierbarkeit sei die Person des Analytikers einfach zu oft ausgeblendet worden. Wer also bei Psychoanalytiker „X“ nicht analysierbar ist, der kann sich bei Analytiker „Y“ möglicherweise durchaus gut entwickeln.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 12.1.2017
Aktualisiert am 10.8.2025

One thought on “Psychoanalyse: Wer ist „analysierbar“ und wer nicht?

  1. modean sagt:

    Hallo Frau Voos,

    ich finde so Sätze wie „denn man müsse immer schauen, welcher Analytiker zu welchem Patienten passt“ rational nachvollziehbar aber dann irgendwie doch nicht greifbar.

    Wer schaut den nun genau, welcher Patient zu welchem Analytiker passt? Was wenn man als Patient jemanden gefunden hat, von dem man meinte, dass es ein Passung gäbe und sich dann kurz vor Therapiebeginn in einem der Vorgespräche herausstellt, dass die Therapieform, die besprochen und beantragt wurde, so gar nicht angeboten werden wird? Dann hat man die Wahl weiter zu machen oder sich erneut auf Therapieplatzsuche zu begeben.

    Das ist so, wie wenn man eine Eigenbedarfskündigung erhalten hat und innerhalb von sechs Monaten auf einem ohnehin schwierigen Immobilienmarkt dann etwas passendes finden soll.

    Es wäre schön, es gäbe diese Instanz, die schaut wer zu wem passt. Meine Erfahrung ist es jedoch, dass es diese Instanz eben gerade nicht gibt.

    Oft ist es ja auch so, dass eine Arbeitsbeziehung sich erst dann als tragfähig oder eben weniger tragfähig erweist, wenn der Schönwetterflug vorbei ist und einem der erste (Gegen)Wind in’s Gesicht bläst.

    Viele Grüße
    modean

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