Kippen der Stimmung und „Unersättlichkeit“ sind bei der Borderline-Störung/bei kPTBS häufig. Was kann ich tun?

„Ich liebe Dich sehr, aber mit diesen Einbrüchen alle paar Wochen kann ich echt schlecht leben“, sagt dein Freund vielleicht. Bei einer körperlichen Erkrankung, wäre es klar: Es würde immer wieder Schübe geben. Doch den Tumult in dir spürst zunächst nur du. Immer wieder gerätst du in Beziehungen unter Spannung – und diese Spannung ist kaum auszuhalten. Plötzlich fühlst du dich schrecklich einsam, isoliert, leblos oder eingeengt.

Du fühlst dich, als seist du an eine Kante gerutscht von der du gleich abstürzt. Du meinst, du müsstest auch die Menschen um dich herum in diesen Alarmzustand versetzen. Ansonsten könnte etwas ganz Schlimmes passieren, so das Gefühl. Du könntest dauerhaft dein Leben sinnlos finden, du könntest verarmen oder dein Freund könnte dich verlassen. Vielleicht schaffst du deine Prüfung nie, vielleicht verlierst du deine Arbeitsstelle, vielleicht sind auf einmal alle um dich herum weg – für immer! So die Befürchtung.

Die anderen können nur schwer verstehen, was in dir vorgeht. Sie fühlen sich wie vor den Kopf gestoßen und reagieren harsch mit Abweisung. Doch auch du selbst verstehst dich nicht. Du scheinst alles um dich herum und auch dich selbst zerstören zu müssen. Was mit viel Arbeit aufgebaut war, muss mit einem Mal kaputt gehen, so deine Vorstellung. Hinterher musst du alles wieder mühselig aufbauen. Und irgendwie scheint sich da nichts zu verändern.

Der Schmerz dahinter

Doch was dahinter steckt, ist meistens ein unglaublicher Schmerz. Das Gefühl, abzurutschen, bedroht und verlassen zu sein, stammt möglicherweise schon aus der frühen Kinderzeit. Wann immer im Leben etwas passiert, das diese Gefühle wieder hervorruft, reagierst du mit Panik. Du läufst deinen Schmerzen davon. Doch du kannst merken: Da ist er wieder, dieser Schmerz, diese Angst, dieses Zerreissgefühl. Es fühlt sich vielleicht schwieriger an als bei einer körperlichen Erkrankung, zur Freundin zu gehen und zu sagen: „Mein Schmerz ist wieder da.“ Aber du kannst es so machen.

Du kannst innehalten, auf erwachsene Weise denken und sprechen und schwimmen gehen. Dich körperlich zu sammeln, kann dir bei einem neuen „Schub“ helfen – zusammen mit dem Wissen, dass es wieder aufhören wird. Auch, wenn es sich noch so dringlich anfühlt – auch diesmal ist es nicht schlimmer als sonst, denn jedes Mal meinst du, dass es diesmal aber ganz besonders schlimm ist. Ein Schiff wird kommen und dich wieder abholen. Die anderen werden zurückkommen und wieder da sein. Und du selbst wirst dich wiederfinden.

Wenn es dir gelingt, den Schmerz als zu dir gehörig anzunehmen, nehmen die Wellenbewegungen ab. Nicht hoffen, dass „das“ weggeht, sondern verstehen, dass da immer wieder schmerzliche Erinnerungen sind, lässt die hohen Wellen kleiner werden – nach und nach.

Das Kippen hat viele Gründe

„Aber eben hast du doch noch gesagt …“, hören wir. Wir wecheln so schnell unsere Meinung und Stimmuung, dass wir selbst gar nicht mitkommen. Das hat viele Gründe. Die Anpassung an den anderen ist einer davon. Wenn du einmal deine Meinung sagst, schaust du sofort darauf, wie der andere reagiert. Wenn er nur ausatmet, dann hörst du direkt eine Gegenstimme daraus. Kann ja sein, dass der andere anderer Meinung ist, doch d versuchst dich sofort daran anzupassen, von dem du meinst, dass der andere gerade so und so denkt oder fühlt. Dann nimmst du deinen Meinungsäusserungsversuch zurück.

Wenn du mit einer psychisch kranken Mutter oder einem Vater aufgewachsen bist, konntest du dich vielleicht nur schützen, indem du dich unsichtbar gemacht und angepasst hast. So erfasst du auch heute noch blitzschnell, was der andere will. Aber vielleicht kannst du dir da gar nicht so sicher sein. So manches Mal richtest du dich vielleicht nur danach, wovon du glaubst, dass der andere es will.

Ein weiterer Grund für das rasche Kippen sind die Extreme, die du vielleicht als Kind erlebt hast: Entweder waren Mutter oder Vater gewalttätig oder sie ließen dich als Kind völlig im Regen stehen, weil du ihnen gleichgültig warst, weil sie eine Kraft für dich hatten. Vielleicht folgte dann eine Phase, in der Mutter oder Vater es wieder gutmachen wollten: sie waren überbesorgt und überfürsorglich. Und du wusstest nie: „Was ist mir jetzt angenehmer? Das In-Ruhe-gelassen-werden oder die ansteckende Überbesorgtheit?“ Du konntest vielleicht so manches Mal nur wählen zwischen Aufmerksamkeit durch Gewalt, Verwöhntwerden oder Ignoriertwerden. Die extremen Stimmungen und Gefühle dazu sind fest in deiner Psyche, in deinem Körper verankert.

Spezialfall Vojta: Wenn du als Baby die Vojta-Therapie erhalten hast, warst du immer einem plötzlichen Angriff durch die Mutter (seltener den Vater) ausgesetzt. Auch hier geriet dein Körper rasend schnell in Anspannung und wenn die Vojta-Therapie vorbei war, fühlte sich das Vorbeisein vielleicht wie ein anderes Extrem an. Auch heute noch kannst du vielleicht rasend schnell auf Uhrzeiten, Gerüche, die Gesten anderer und deine eigenen Körperempfindungen anspringen. Die gute Stimmung hört plötzlich auf oder aber die schlechte Stimmung wird plötzlich gut, wenn die Qual plötzlich nachlässt.

Auch „innere Objekte“ (hier: Vater und Mutter) spielen beim „Kippen“ eine Rolle. Wenn du „A“ sagst, was deine Mutter vielleicht auch tun würde, kann sofort der innere Vater folgen, der „B“ sagen würde. Das führte immer zu Spannungen, weil die Differenzen nie gelassen angeschaut werden konnten. Es ging immer um Leben und Tod – wie bei Impf- oder Kriegsdiskussionen. Wenn Vater und Mutter extreme Konflikte und Ängste hatten, ist auch deine Innenwelt zweigeteilt – das wird jedoch mit dem Älterwerden oft besser. Auch die ödipale Phase lief bei dir vielleicht „extrem“ ab – wenn du dich auf die Seite eines Elternteils schlugst, konnte es rasch Probleme mit dem anderen Elternteil geben. So ist das „Kippen“ häufig auch ein Schwanken zwischen den inneren Objekten „Vater und Mutter“.

Die Affekte „Ärger und Angst“ sind bei Stimmungsschwankungen oft beteiligt. Die Angst zieht dich nach unten, lässt dich verkriechen, der Ärger explodiert und geht hoch in die Luft. Oder du versuchst, deinen Ärger zu verstecen. Auch durch das Verstecken kann es leicht zum Kippen kommen, z.B. wenn sich der Ärger auf einmal doch nicht mehr zurückhalten lässt. Dabei bezieht sich der Ärger häufig auf vergangene Situationen. Wenn er sich auf’s „Jetzt“ bezieht, dann hast du vielleicht oft das Gefühl, der andere könnte den Ärger nicht verstehen oder man könne nicht darüber sprechen – weil es zu Hause auch nicht möglich war und weil du deinen Ärger selbst nicht verstehst. Das macht aber nichts – das ärgerliche Gefühl hat Recht. Nur musst du manchmal noch rausfinden, worauf es sich wirklich bezieht.

Es ist für dich oft sehr schwer, herauszufinden, was du „wirklich“ wolltest, denn du durftest nicht wirklich ein Gespür für dich selbst entwickeln. Das hätte für deine Eltern bedeutet, dich als getrenntes Wesen wahrzunehmen und das machte ihnen vielleicht schreckliche Angst, weil sie vielleicht schon furchtbare Trennungen oder Tode von Kindern und Eltern erlebt hatten. In der Folge hast du dich vielleicht sehr angepasst, sodass du dich selbst oft nicht gut kennst – Psychoanalytiker würden sagen, du leidest unter einem „falschen Selbst“ und du warst „narzisstisch besetzt“, was so viel heisst wie: deine Eltern wollten nicht merken, dass du ein unabhängiger Mensch bist. Sie meinten dann, immer genau zu wissen, was du denkst und fühlst. Wenn dir solche Zusammenhänge bewusst werden, kann das schon helfen. Die pure Beobachtung dessen, was ist, kann schon zur Veränderung führen. Auch eine gute Psychoanalyse und/oder Meditation (Yoga, Tai Chi etc.) können helfen, wobei es wichtig wäre, dass du fast täglich übst.

Es kann eine beruhigende Entdeckung sein, dass wenigstens dein Atem ganz zu dir selbst gehört – gerade anfangs kann dir das jedoch auch sehr bedrohlich erscheinen, denn du selbst merkst, dass du ein lebendiges Wesen bist mit einem Eigenleben. Du kannst deinen Atem nicht über längere Zeit einem anderen Menschen anpassen. Nur du selbst bestimmst, wie du atmest – dein Körper macht es die meiste Zeit des Tages ganz alleine. An dieses Gefühl der Einzigartigkeit kannst du dich vielleicht nur sehrr langsam gewöhnen. Hab keine Angst, dann nicht mehr mit anderen verbunden zu sein. Denk vielleicht an deine Katze: Sie sitzt nur da und du liebst sie trotzdem – oder gerade deshalb! Diese Sicherheit kann sich Schrittchen für Schrittchen entwickeln, sodass das deine Stimmung unabhängiger von anderen wird und seltener kippt – oder anders gesagt: Du kannst mit der Zeit deine inneren Bewegungen mit mehr Zutrauen beobachten, ohne direkt etwas tun zu müssen.

Sind Menschen mit einer Borderlinestörung wirklich unersättlich?

„Borderliner werden nie satt! Sie saugen Dich aus, bis Du keine Kraft mehr hast. Sie sind unersättlich!“ Sätze wie diese hört man manchmal von erschöpften Therapeuten. Dasselbe sagt man über Kinder. Aber: Sind die Betroffenen wirklich unersättlich? Wenn man schon von Unersättlichkeit spricht, könnte man auch fragen: Wann erscheint jemand unersättlich und wie ließe sich das verstehen? Unerstättlichkeit entsteht doch nur dann, wenn die richtige Befriedigung bisher nicht gefunden wurde.

Das Ziel eines unzufriedenen Kindes oder Erwachsenen ist es doch meistens, zurück zur Zufriedenheit, zur eigenen Mitte zu gelangen. Das Bestreben, auf ungesunde Weise immer mehr zu wollen, kommt, wenn man immer knapp am befriedigenden Ziel vorbeischießt. Wenn du als Baby weinst, weil du eine Decke brauchst, kannst du noch so viel gefüttert werden – bis jemand auf die richtige Idee kommt und dich zudeckt. „Sattsein“ heißt, gefüllt zu sein mit dem Richtigen – wenn ständig das Richtige fehlt, erscheint man als unersättlich.

Entsetzlich unersättlich? Nein. Jeder kann „satt“ werden. Bei manchen sieht es nur so aus, als hätten sie eine „Sattwerde-Behinderung“. Etwas zu bekommen und anzunehmen kann auch als etwas Intimes empfunden werden. Die eigene Scham macht dich unzufrieden und lässt dich nicht bekommen, was du brauchst. Du wehrst es manchmal sogar ab und gönnst dem anderen nicht, dass er dich zufrieden machen kann. Vielleicht hast du oft auch die Vorstellung, der andere könnte in Not geraten, wenn du genug hast. Du sorgst dich ständig um den anderen, obwohl alles in Ordnung ist.

„Sattwerden durch das Passende“ kann sich in einer Psychoanalyse oder in der Zen-Meditation zeigen, ebenso wie hungrig bleiben. Doch Unpassendes wird viel leichter toleriert, wenn das Gefühl da ist, dass die Basis, also zum Beispiel die Beziehung zu den wichtigsten Mitmenschen stimmt. Zu dem „Richtigen“ kann z.B. auch das Gewahrwerden von Trauer sein. Hinter vielen nervigen Kreisläufen steckt eine unerkannte Trauer. Die Suche nach dem Richtigen wird oft durch Scham behindert, denn sich zu zeigen mit seinen Bedürfnissen kann wie Nacktsein erlebt werden.

Nur wenn das echte Bedürfnis hinter dem Kampf erkannt wird, kommt Ruhe hinein. Manchmal erst dann, wenn du wirklich beruhigt bist, kannst du eher aufhören, dich mit dem möglichen Hunger des anderen zu beschäftigen und ihn füttern oder beruhigen zu wollen. Du darfst satt sein, auch wenn du nicht genau weisst, ob der andere auch satt ist.

Bindung wird gerade dann zufriedenstellend, wenn einer nichts mehr mit dem anderen „macht“. Beide können sich dann erlauben – sofern es die Scham schon zulässt – ruhig, zufrieden und satt zu sein (und dabei gesehen zu werden). Sowohl die Abhängigkeit (also das Gefüttertwerden) als auch die Trennung vom anderen (durch In-Ruhegelassen-Werden) muss dann nicht mehr so stark abgewehrt werden.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 3.3.2016
Aktualisiert am 28.10.2025

One thought on “Kippen der Stimmung und „Unersättlichkeit“ sind bei der Borderline-Störung/bei kPTBS häufig. Was kann ich tun?

  1. Psychiatristontherun88 sagt:

    Ja, so ist es (leider). Ich habe nach so vielen Jahren, in denen ich gelernt habe mich gut zu regulieren und zu wissen, dass der Schmerz zu mir gehört, manchmal immer noch Einbrüche mit dem Gefühl, dass es nicht wieder aufhört. Und dann geht es wieder. :-)

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