Wie ist Psychoanalyse nach der Weiterbildung?

Es gab eine Zeit, da hätte ich ohne Psychoanalyse nicht leben können. Ich spürte, dass die Psychoanalyse der einzige Weg für mich war. Meine schweren Traumata stammten zu großen Teilen aus der präverbalen Zeit. Ich hatte zuvor vieles probiert: Verhaltenstherapeutische Techniken, Bibel-Abende, Meditation, Massage, ich hatte einen Segelbootschein gemacht, Tanzkurse besucht, intensiv Geige gespielt. Doch nur in der Psychoanalyse, in der sich mir eine Analytikerin, später ein Lehranalytiker vier Mal pro Woche widmete, fand ich Wege, um aus meiner Qual herauszufinden. Im Grunde ist man als frühtraumatisierter Mensch ständig damit beschäftigt, sich innerlich zu beruhigen.
Ich lernte, mich emotional berühren zu lassen und mich und andere ernst zu nehmen. Irgendwie fand ich den Weg zu mir selbst, was an sich schon beruhigend ist. Was ich erlebte, erinnert mich an den Weg, den der Physiotherapeut Jaques Castermane in seinem Zen-Video „La vrai nature de l’etre humain“ (Youtube) beschreibt. Ich fühlte mich zudem, als würde ich kraftspendende „Seelenteilchen“ von meinem Lehranalytiker aufnehmen, sodass ich besser leben und auch „sterben“ konnte, weil meine Todesvorstellungen flexibler wurden. Nun ist die Weiterbildung vorbei. Es ist, als sei eine Kindheit vergangen. Ich bin Psychoanalytikerin (Ärztekammerabschluss). Wie sieht es jetzt aus?
In meiner Ausbildung fand ich damals durch eine Crowdfunding-Aktion eine Schweizer Familie, die mir die Weiterfinanzierung der Lehranalyse ermöglichte, bis ich gut genug gestellt war, um die Lehranalyse (4-mal pro Woche) selbst zahlen zu können. Es ist für Außenstehende wahrscheinlich schwer nachvollziehbar, dass ich so daran hing, doch ich weiß nicht, wie es ohne das alles hätte weitergehen können.
Heute fühle ich mich, als hätte ich mir die nährende Quelle des Analytikers zu eigen gemacht oder anders gesagt: Meine eigene nährende Quelle ist nun so freigeschaufelt, dass sie unermüdlich fließt.
Die Einsamkeit lässt nach in dem Maße, in dem man fühlt, dass andere auf einen resonant reagieren, weil man sich anderen gegenüber in einer besseren Weise zeigen und verhalten kann. Schwer Traumatisierte haben oft das Problem, dass sie abweisend wirken – Mitgefühl wird ihnen dann wenig zuteil. Das Ernstnehmen und das Sich-Erleben als abgegrenztes (Körper-)Selbst, ist ein großer Schlüssel dafür, um mehr Mitgefühl empfangen und geben zu können. Und so reagiert man auch auf sich selbst, auf die eigenen psychischen und körperlichen Bewegungen und Bedürfnisse mit der Zeit resonanter. Durch viel Nachdenken, aber auch durch Grübeln(!), konnte ich Fühl- und Denklösungen finden, die es mir ermöglichen, befreiter zu leben. Dazu gehört auch, dass ich das Wagnis der Passivität eingehen kann.
Psychoanalyse ist Mediation zu zweit. Was vor allem heilt, ist aus meiner Sicht die körperliche und emotionale Präsenz des anderen.
Ich schaue mir sehr gerne die Videos des Zen-Meisters Muho Nölke an. Ich denke inzwischen, dass alles, was man intensiv zusammen mit einem „Meister“ – also in einer Beziehung erlernt, zu ähnlichen Effekten führt. Muho spricht davon, wie er Zen „trainiert“ und ich selbst verglich die Psychoanalytische Ausbildung oft mit einem Hochleistungssport – geistig wie auf einer gewissen Weise auch körperlich, denn ich kombinierte es mit Yoga.
Muho spricht in seinem Video „Was ist Zen? Null Ahnung!“ davon, wie er früher täglich „sitzen“ musste, um Zazen zu leben. Wenn er einen Tag nicht gesessen hatte, habe es einen großen Unterschied gemacht. Heute sagt er: „Ich möchte Zazen nicht missen, aber es ist nicht so, dass ich sage, ich muss jetzt jeden Tag mal ’ne halbe Stunde gesessen haben.“ Auf die Frage: „Was ist der Kern dieser Praxis?“ sagt Muho: „Es ist alles.“
Sehr ähnlich empfinde ich es auch: Ich muss nicht mehr zur Psychoanalyse gehen und ich behandele aufgrund meines Umbruchs (Umzug nach Frankreich) zur Zeit auch niemanden vier Mal pro Woche auf der Couch. Früher dachte ich, es sei unmöglich für mich, ohne das zu leben. So, wie ich mit 19 Jahren dachte, ein Leben ohne intensives Geigenspiel sei unmöglich. Doch jetzt spüre ich, dass die Psychoanalyse immer bei mir und in mir ist – im Denken und im Fühlen. Sie hat es mir ermöglicht, meine inneren Regungen und meiner körperlichen Zustände frei zu beobachten. Der Kreativität freien Lauf zu lassen, und die Ruhe in sich zu entdecken, ist wunderbar. Es ist eine Ruhe, „die nie gestört werden kann“ (wie Muho es sagt). Es ist wie Schwimmenlernen – auch, wenn man „es“ eine Zeitlang nicht konkret tut, so ist die Verbindung zu dieser Quelle doch da.
Daher ist die Psychoanalyse meine „Leiden-schaft“.
Wenn ich mich innerlich von mir abkehre, spüre ich die negativen Folgen recht bald – Reizdarm, größere und kleinere Unfälle, Ängste, Spannungen und ein Gefühl des Nicht-Verbundenseins kehren zurück. Man kann sich wieder „Zumachen“, wenn man nicht achtgibt. Und so finde ich freiwillig, gezwungenermaßen oder auch auf natürliche Weise immer wieder zurück zu dieser Lebensweise, die mir die Psychoanalyse vermittelt hat. Ich würde sagen, ohne Psychoanalyse hätte ich nicht den Vater meines Kindes kennengelernt, hätte ich vielleicht nicht diese spürbare Beziehung zu mir selbst und den anderen. Ich bin nicht mehr Single und kann die Partnerschaft leben, die ich mir immer ersehnt habe, auch, wenn die Trauer darüber, keine „ganze“ Familie zu haben, bleibt.
“Discovering your unseen mind takes you on the most exciting journey of your life.” claudialuiz.com, Psychoanalytikerin
Doch wir alle haben Lebensschmerzen, die bleiben. Es gibt Lücken im Leben, die schließen sich nie. Und doch kann es sich vollkommen anfühlen. Die „Koans“ des Zen, die Widersprüche des Lebens, sind auch ein Wesen der Psychoanalyse und des Lebens an sich. Die Ambivalenzen werden bewusst: „Aber eben haben Sie doch noch gesagt …“ ist ein häufiger Satz in der Psychoanalyse. Die inneren Kämpfe und das Unbewusste werden spürbar. Eigentlich sind die Wege, die zur „Weisheit“ führen, vielleicht egal. Doch gemeinsam ist ihnen, dass der Weg meistens in der Beziehung zu einem anderen Menschen gegangen wird, bis der andere Mensch weggehen und man selbst alleine weiterlaufen kann.
„Mit ’ner Familie ist eigentlich jeden Tag so wie ein Sesshin.“ Muho Nölke (Minute 23)
Und Wikipedia: „Sesshin = Versammlung oder Konzentration des Geistes“ … „Im Laufe der fortschreitenden Praxis gibt es immer weniger Unterschiede zwischen dem konzentrierten „Sesshin-Geist“ und dem täglichen Bewusstsein.“ (Wikipedia)
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 20.5.2024
Aktualisiert am 31.10.2025
 
           
     
           
        