
Die Scham ist stärker als ich. Mein Wille ist kleiner als sie. Meine Wünsche wachsen, doch die Scham wächst mit. Und so ist die Scham-Mauer immer höher, als ich es selber bin. Ich kann noch nicht einmal darüber schauen. Die Scham zwingt mich dazu, in einem Gefängnis zu leben, weil sie mir alles verbietet. Ab und an spüre ich Kampfeslust. Es ist mein Wille, die Scham zu bezwingen. Doch es geht nicht. Es hat nichts mit Willen zu tun. Ich kann nicht. Das zu aktzeptieren ist der erste Schritt zur Freiheit.Weiterlesen
Endlich war es so weit. Sie freute sich auf’s Wiedersehen. Die Freude in ihrem Herzen hüpfte wie ein Kind. Sie stieg in ihr Auto und lauschte der schönen Musik. Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Sie träumte. Sie näherte sich der Freudenquelle. Dann waren es nur noch zwei Kilometer. Und die Freude, sie tropfte langsam aus einem Loch, das sie nicht finden konnte. Dann sah sie ihn wieder. Und ihr Freudenschiff ging unter ohne Aussicht auf Halt. Weiterlesen

Der Vater hat zu viel getrunken, die Mutter schreit. Das Kind versteht die Welt nicht mehr. Es geht in die Schule – es besucht die 3. oder 4. Klasse. Die aufgeräumte Lehrerin kommt herein und bringt frische Luft mit. Sie ist so hübsch. Die Locken schmiegen sich um ihr Gesicht und sie trägt eine helle Bluse. Sie spricht ganz ruhig. Sie stellt ihre schöne Ledertasche auf den Tisch – was da wohl alles drin sein mag? Sie erzählt und erzählt. Sie bringt Wissen in den Kopf des Kindes. Fraulich, freundlich, lehrerhaft, erfrischend, sanft.Weiterlesen
„Gibt es das wirklich, dass manche Menschen glauben, sie haben einen Engel auf der einen und einen Teufel auf der anderen Schulter, die ihnen unterschiedliche Sachen sagen?“, fragt das Kind. „Manche Menschen stellen sich das so vor. Der Engel und der Teufel sind Symbole. Sie machen es dem Menschen leichter, über manche Dinge zu sprechen.“ – „Ich sage lieber: Ich habe zwei Meinungen. Symbole sind Denkverschwendung. Die muss mein Denken ja erstmal erschaffen. Da denke ich lieber direkt“, sagt das Kind. Weiterlesen

Wie aufgebrochener Asphalt auf der mit dem Schlaghammer aufgebohrten Straße. So liegen die Steine in Fetzen an der Oberfläche neben dem ausgetrockneten Loch. Außen Beschädigung, innen tiefe Erschütterung. Wie in meine Einzelteile zerlegt, alle Bauklötze umhergeworfen. So fühlt es sich an. Darüber fegt ein Gedankensturm, der fast alle Fensterläden abreißt. Auch innen ist nichts mehr geschlossen. Es herrscht eine Überfüllung aus Abwesenheit. Die Wirkung, die die Mutter hatte, ist verheerend. Weiterlesen

Wie schafft man es, die Liebe in sich aufrecht zu erhalten? Wenn man alleine, verlassen und einsam ist? Wie schafft man es, die Liebe in sich aufrecht zu erhalten, wenn man täglich Schmerzen hat? Wenn man schon Gewalt erfuhr, bevor man sprechen konnte? Wenn Lebensträume nicht in Erfüllung gingen? Wie schafft man es, die Liebe in sich zu erhalten, wenn alle weg sind? Wenn sich Tod, Hass und Bitterkeit breit machen? Wie schaffen es die Menschen, zu lieben – sich selbst und andere zu lieben – obwohl sie scheinbar keinen Grund dazu haben? Es muss ein Geheimnis darin liegen. Man kann es schaffen. Man schafft es durch eine neue Begegnung in dem Wissen, dass der andere Mensch genau so leidet wie man selbst. Weiterlesen