Psychose: Frühe invasive Traumata können mit späteren Positivsymptomen zusammenhängen. Vernachlässigung kann möglicherweise zu Negativsymptomen führen

Die sich entwickelnde Psyche und der reifende Körper sind beim Baby noch sehr eng miteinander verbunden. Die Reifung geschieht insbesondere über die enge Kommunikation mit Mutter und Vater. Über das Vermögen der Eltern, sich in ihr Kind einzufühlen, kommt es zur psychischen Strukturierung.

Sind die Eltern fähig, ihr Kind zu beruhigen, kann sich ein sicheres Lebensgefühl einstellen. Eltern, die selbst traumatisiert sind, sind durch ihr Baby leicht überfordert. Kommt es zu Gewalt am Baby oder aber auch zu schweren medizinischen Eingriffen, während das Baby noch nicht sprechen kann, kommt es zur Verwirrung. Fähigkeiten zur Kommunikation und zur motorischen Entwicklung bleiben zurück. Forscher sehen zunehmend Zusammenhänge zwischen frühen Traumata und späteren psychotischen Plussymptomen (z.B. Wahn, Halluzination). Hingegen hängen Negativsymptome (z.B. Erstarrung, Lethargie) anscheinend mit Erlebnissen von Vernachlässigung in der Kindheit zusammen.

Der Psychiater Professor Hand-Peter Volz fasst eine Meta-Analyse von Thomas Bailey und Kollegen (2018) zusammen: „Insgesamt gingen 29 Arbeiten mit insgesamt 4.680 Teilnehmern in die Untersuchung ein. Es ergab sich ein klarer Zusammenhang zwischen kindlichen Traumata und dem Schweregrad von Halluzinationen … und Wahnphänomenen … Kein Zusammenhang ergab sich für die Negativsymptomatik …, allerdings war kindliche Vernachlässigung mit der späteren Negativsymptomatik assoziiert.“ (link.springer.com/…) Original: „Severity of childhood neglect was correlated with negative symptoms (r = .142, P = .005).“ (Thomas Bailey et al.)

Positivsymptome (Plussymptome) und Negativsymptome bei der Psychose: von Halluzination und Starre

Mit „Positivsymptomen“ werden in der Psychiatrie die Symptome bezeichnet, die quasi „überschäumend“ sind. Dazu gehören zum Beispiel Halluzinationen (man sieht oder hört etwas, das andere nicht wahrnehmen) oder Wahnvorstellungen (man fühlt sich beispielsweise verfolgt oder denkt, man würde verarmen). Auch die motorische Unruhe, also der überstarke Bewegungsdrang, gehört zu den Positivsymptomen. Wer bereits als Kleinkind Gewalt und Missbrauch erfahren hat, kann später psychotisch werden und Positivsymptome entwickeln. Sogenannte „Negativsymptome“ können hingegen möglicherweise Folge von schwerer Vernachlässigung sein (Thomas Bailey et al. 2018).

Mithilfe der PANSS (Positive and Negative Syndrom Scale, Positv- und Negativ-Syndrom-Skala) können Psychiater die Positiv- und Negativsymptome erfassen. Die PANSS ist ausführlich dargestellt in der Doktorarbeit von Kim Hinkelmann, Universität Hamburg, 2003.

Negativsymptome

Mit „Negativsymptomen“ (Minussymptomen) werden in der Psychiatrie die Symptome bezeichnet, die den Patienten passiv, freud- und leblos erscheinen lassen. Von außen betrachtet gehören dazu: Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit, fehlendes Ansprechen auf Motivation von außen, Schweigsamkeit, Bewegungsarmut, Starre, Energiemangel und/oder beeinträchtigte Aufmerksamkeit. Innerlich beschreiben Betroffene es manchmal als ein Gefühl, dass das „Ich“ oder das Leben immer schwächer werde. Die Angst ist da, dass das subjektive Gefühl von Lebendigkeit schließlich ausgelöscht wird. Negativsymptome treten insbesondere bei der Schizophrenie auf. Nicht selten haben sich die Betroffenen schon wochenlang nicht mehr richtig bewegt oder ernährt.

Manchmal können zumindest anfangs schon ganz basale Dinge helfen wie z.B. das Bereitstellen guten Essens. Ähnlich wie sich bei der Magersucht das Denken und Fühlen allein schon aufgrund der fehlenden Nahrung verändern kann, so ist auch bei Menschen mit einer Schizophrenie das Erleben oft aufgrund der mangelnden Zufuhr von guten Nährstoffen verändert. Nicht wenigen Betroffenen mangelte es schon Wochen und Monate vor Einsetzen der Negativsymptome an Nährstoffen, an menschlichen Kontakten und Berührung. Außerdem werden viele Betroffene schon seit langer Zeit mit psychiatrischen Medikamenten (Neuroleptika) behandelt, sodass Langzeitwirkungen alle möglichen Formen annehmen können.

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Links:

Hans-Peter Volz (2019):
Psychosen: Halluzination als Folge kindlicher Traumata
DNP 20, 19 (2019)
doi.org/10.1007/s15202-019-2168-x
link.springer.com/…

Thomas Bailey et al. (2018):
Childhood trauma is associated with severity of hallucinations and delusions in psychotic disorders:
A systematic review and meta-analysis.

Schizophrenia Bulletin 2018;44(5):1111–22
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29301025/

Danielle Knafo, Michael Selzer (2024):
From Breakdown to Breakthrough
Psychoanalytic Treatment of Psychosis
Routledge

Links:

Küchenhoff, Joachim (2013):
Der Sinn im Nein und die Gabe des Gesprächs.
Velbrück-Wissenschaft, Weilerswist, 2013

Harry T. Hunt et al. (2007):
„Dark Nights of the Soul“:
Phenomenology and Neurocognition of Spiritual Suffering in Mysticism and Psychosis.
Review of General Psychology, Volume 11, Issue 3, September 2007
doi.org/10.1037/1089-2680.11.3.209
journals.sagepub.com/…

Thomas Moore:
A Dark Night of the Soul and the Discovery of Meaning.
Kosmos – Journal for Global Transformation
www.kosmosjournal.org/…


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