Was ist Psychoanalyse?

Wohl die meisten Menschen, die eine Psychoanalyse beginnen, sind zutiefst verzweifelt. Vielleicht geht es ja auch bei dir sozusagen um „Leben und Tod“ und um unaushaltbare Zustände. Mit einer Psychoanalyse, die mehrmals pro Woche im Liegen auf der Couch stattfindet, lassen sich viele neue Lebensgefühle wecken. Psychoanalyse will grundsätzlich verstehen. Was geht in mir vor, wenn ich unbeschreibliche Angst habe oder mich auf immer verloren fühle? Warum grübele ich und kann nicht mehr aufhören? Auf solche Fragen lassen sich häufig befriedigende Antworten finden. Viele, zutiefst verborgene Phantasien – vielleicht auch dein „Hass auf die Welt“ – können ans Licht kommen.
Unbewusste Phantasien sind Schwerpunkt einer Psychoanalyse.
Zahlen die Kassen?
In der Sprache der Krankenkassen spricht man von „Analytischer Psychotherapie“ (AP). Wenn der Psychoanalytiker an das Krankenkassensystem angeschlossen ist, übernimmt die Krankenkasse häufig die Kosten für bis zu 300 Stunden. In der Regel findet die „Analytische Psychotherapie“ dreimal in der Woche statt – unter (klassischer) Psychoanalyse verstehen viele Analytiker jedoch eine hochfrequente Psychoanalyse mit vier bis fünf Stunden pro Woche im Liegen auf der Couch.
„Analytische Psychotherapie“ ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der „Analytischen Psychologie“ nach Carl Gustav Jung.
In Sonderfällen finanziert die Krankenkasse auch mehr als 300 Stunden Analytische Psychotherapie. In zahlreichen Fällen zahlt die Krankenkasse jedoch gar nicht oder nicht lange genug, was viele Patienten in tiefste Verzweiflung stürzt.
Du lernst, dich selbst zu verstehen
Wer in Kaufhäusern unter Panikattacken leidet, hat unbewusst vielleicht nur Angst, mit Vergnügen bis zum Umfallen shoppen zu gehen. Wer in einem Aufzug „Platzangst“ bekommt, hat vielleicht Angst vor seiner eigenen Wut auf den Kollegen, der mit ihm im Aufzug steht. Er hat quasi Angst, „zu platzen“. Vielleicht aber wird es ihm in der Enge auch wieder allzu stark bewusst, dass er sich in seinem Körper wie gefangen fühlt. Es werden vielleicht vergangene traumatische Körpererfahrungen in Erinnerung gerufen.
In einer Verhaltenstherapie würden – vereinfacht gesagt – Therapeut und Patient so lange Aufzug fahren, bis die Angst verschwunden ist. In einer Psychoanalyse geht man der unbewussten Ursache der Angst nach. Sobald die Angst verstanden ist, wird sie so erträglich, dass sie das Leben nicht mehr so stark einschränkt. Viele Ängste vergehen auch ganz.
Viel mehr als nur Reden
Die Psychoanalyse erforscht das Zusammenspiel von bewussten und unbewussten seelischen Vorgängen. Wie sich diese Kräfte auf das Verhalten und das Erleben auswirken, untersuchen Analytiker und Patient gemeinsam. Beide beginnen mit einem gemeinsamen Nicht-Wissen und finden Stück für Stück heraus, wieso sich der Patient so fühlt, wie er sich fühlt. Wenn du das selbst erfährst, merkst du vielleicht, dass das Verstehen wie ein Anker wirkt – unangenehme schwebende Zustände hören dadurch oft auf.
In der Psychoanalyse liegst du – falls du kannst und möchtest – auf der Couch und der Analytiker sitzt hinter dir. So könnt ihr euch beide nicht ins Gesicht sehen. Dadurch kann jeder, wenn er möchte, die Augen schließen und freier seinen Gedanken nachgehen. Zwar kannst du die Reaktionen des Analytikers nicht mehr an seinem Gesicht ablesen, aber du bekommst „große Ohren“ und orientierst dich an Geräuschen, Gefühlen und Stimmungen. Dadurch wird die Arbeit sehr kreativ und phantasievoll. Oft fallen dir dann wieder Dinge ein, die du längst vergessen glaubtest.
Die Psychoanalyse wurde zwischen 1890 und 1920 von dem Neurologen Sigmund Freud (1856-1939) entwickelt.
Auch wenn Psychoanalyse zu Zeiten Freuds als „Rede-Kur“ galt, so ist es oft auch eine wertvolle „Schweige-Kur“. Psychoanalyse ist viel mehr als Reden, denn das Unbewusste ist oft sprachlos. Daher wird besonders auch der nicht-sprachliche Bereich in die Psychoanalyse einbezogen: Welche Bilder und Gefühle hast du? Welche Stimmungen entstehen zwischen euch? Forschungsarbeiten über Säuglinge und Psychosen haben dafür gesorgt, dass sich non-verbale Zustände besser verstehen lassen und auch in der Psychoanalyse besser verstanden werden. Häufig hilft eine Analyse der „Szene„, die sich abspielt, um Non-Verbales zu erfassen.
Es gehört zur täglichen Arbeit des Psychoanalytikers, die „Szene“ zu verstehen, die sich im Zusammenspiel mit dem Patienten ausbreitet. Das „szenische Verstehen“ ist ein wichtiger Bestandteil der Psychoanalyse.
Die Beziehung heilt
Durch die regelmäßigen Termine kannst du mit dem Therapeuten Beziehungssituationen herstellen, die dir bekannt vorkommen und die dir immer wieder Probleme bereiten. Das ist dann die Gelegenheit, diese Situation genau zu betrachten. Wie fühlst du dich in der Beziehung zum Analytiker? Welche Gefühle rufst du beim Analytiker wach? Der Analytiker lässt sich in das Geschehen einbinden und ist zusammen mit dir oft ratlos und hilflos, aber er bleibt bei dir. In der Psychoanalyse ist der Analytiker emotional präsent. Allein diese Präsenz kann eine große Wirkung auf den Patienten haben.
Durch seine Ausbildung kann der Analytiker gleichzeitig etwas erleben, es beobachten und darüber nachdenken und versuchen, das Geschehen zu verstehen. Oft behält der Analytiker auch in rauer See den Überblick und ermöglicht es dir, dich wieder sicherer zu fühlen und neue Beziehungserfahrungen zu machen.
Du kannst den Psychoanalytiker zudem auf eine bestimmte Art „benutzen“: Du kannst auf den Analytiker wütend sein, ihn beschimpfen und beschuldigen, ihn verführen wollen, ihn gedanklich töten und wieder zum Leben erwecken. Anders als in anderen Beziehungen kannst du dir hier relativ sicher sein, dass der Analytiker ihn dich verlässt, sich nicht an dir rächt, dich nicht bestraft oder auf andere Weise handelt („agiert“). Diese Erfahrungen sind es, die grundlegende Veränderungen bewirken.
Couch oder Sitzen?
Vielleicht fürchtest du dich davor, dich dem Therapeuten auf der Couch auszuliefern. Daher kann die Psychoanalytische Therapie im Sitzen zu Beginn für dich angenehmer und sinnvoller sein. Wenn du Vertrauen gefasst hast, kann es sein, dass die Therapie im Laufe der Zeit als Psychoanalyse im Liegen auf der Couch fortgeführt wird.
Was ist Psychoanalyisieren? Ralph Greenson und Milton Wexler erklären es
„‚Analysieren‘ ist der Ausdruck für alle Vorgänge, die das Ziel haben, die Selbstkenntnis des Patienten zu verbessern.“ So schreiben es die Psychoanalytiker Ralph Greenson, Wikipadia (1911-1979) und Milton Wexler 1969 im International Journal of Psycho-Analysis. (Original: ‚Analysing‘ is a shorthand expression referring to all procedures which have the direct aim of increasing the patient’s insight about himself. Ralph R. Greenson and Milton Wexler (1969): The Non-Transference Relationship in the Psychoanalytic Situation. International Journal of Psycho-Analysis, 1969, 50:27-39, proquest).
Das Maß aller Dinge in der Psychoanalyse sei die Deutung, so Greenson und Wexler. Alle analytischen Vorgänge seien Schritte, die zur Deutung führen oder sie effektiv machten. Zum Analysieren gehörten die Konfrontation, die Klarifizierung, die Deutung und das Durcharbeiten: „The most important measure is interpretation. All others are subordinated to it both theoretically and practically. All analytic procedures are steps which either lead to an interpretation or make an interpretation effective (E. Bibring, 1954); (Gill, 1954). Analysing usually includes four distinct procedures: confrontation, clarification, interpretation, and working through.“
Übertragunsbeziehung und reale Beziehung können sich mischen
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Psychoanalyse sind die „Übertragung und Gegenübertragung“, anhand derer sich vieles deuten lässt. Greenson und Wexler beschreiben, wie wichtig die „Übertragungsbeziehung“ ist und wie sich der Patient dadurch kennenlernen kann. „Übertragung“ heißt, dass du den Analytiker so erlebst, wie du schon andere wichtige Bezugspersonen in der Kindheeit erlebt hast. In der Psychoanalyse mischt sich die Übertragungsbeziehung mit der realen Beziehung. Der Analytiker muss sich selbst gut kennen, um unterscheiden zu können, ob du etwas Reales an ihm erkennst oder ob es sich um eine Übertragung handelt.
Greenson und Wexler geben das Beispiel von einem Patienten, der etwas Reales am Analytiker entdeckt („Sie reden zu viel und übertreiben dabei.“). Gleichzeitig ist aber Übertragung im Spiel an der Stelle, an der der Patient jahrelang zögert, dies dem Analytiker mitzuteilen. Er zögerte so lange, weil er vor den Folgen Angst hatte – dies hatte er in Beziehungen erlebt, in denen er unterdrückt und erniedrigt wurde. Das Gefühl der Unterdrückung ist also die Übertraungsneurose, die neben der realen Wahrnehmung bestehen kann.
Veränderung der inneren Objekte heißt Veränderung des Selbst
Manchmal ist es nicht möglich, direkt mit Übertragung/Gegenübertragung und Deutungen zu arbeiten. Greenson und Wexler schreiben über die Kollegin Annie Reich, psychoanalytikerinnen.de (1902-1971), die beschreibt, dass sie zusammen mit ihrem Patienten zuerst die Mutter „analysieren“ musste, bis der Weg frei war, um den Patienten selbst zu analysieren.
„Annie Reich … began by stating that in patients with very weak ego functions, it may be necessary to use all sorts of supportive measures. She describes a case in which she helped break down a woman’s fixation to her mother by actively helping the patient, via the patient’s material, to analyse the mother’s behaviour and motivations and thus bring about her dethronement. Annie Reich considered this unanalytic but necessary.“
Sie sieht moderne Psychonalyse aus?
„Das, was Du machst, ist ja gar keine Psychoanalyse. Dafür mûsste man einen neuen Namen erfinden“, höre ich manchmal. Ich denke, in der Psychoanalyse geht es darum, zu verstehen, die Wahrheit zu suchen und eine befriedigende Beziehung herzustellen. Heute hat man erkannt, dass das, worunter viele Patienten leiden, frühe Traumatisierungen sind – sie fanden oft schon im vorsprachlichen Bereich statt. Die Psychoanalyse als eine Therapie der Worte, als „Redekur“, reicht da oft nicht mehr aus.
Klassische psychodynamische Konflikte treten oft in den Hintergrund, weil fast unaushaltbare seelisch-körperliche Zustände das Hauptproblem sind. „Wer gefoltert wurde, wird nicht mehr heimisch in dieser Welt“, sagte einst der Schriftsteller Jean Améry, der im Zweiten Weltkrieg schwer gefoltert wurde und sich schliesslich das Leben nahm.
Dissoziative oder präpsychotische Zustände, namenlose Angst und körperlich spürbare „Erinnerungen“ können mit unserem heutigen Wissen bei Patienten erkannt, benannt und passender eingeordnet werden, als es früher der Fall war. Die Psychoanalyse als eine Therapieform, die traditionell von gebildeten und oft sehr wohlhabenden Menschen entwickelt wurde und weiterentwickelt wird, wagt sich in die bildungsferneren Armutsschichten vor.
In den schwachen sozialen Schichten mangelt es oft an Worten. Die Spannungszustände sind oft grösser und Gewalt kommt häufig schon früh vor. Viele dieser Menschen finden ihre Therapiewelt in der Psychiatrie, der Verhaltenstherapie und der Medikalisierung. Doch immer mehr Menschen, so meine ich, finden auch den Weg in tiefenpsychologische und psychoanalytische Therapien.
Aus meiner Sicht ist es am wichtigsten, sich den unaushaltbaren Zuständen anzunähern. Hier kann die emotionale Präsenz des Psychoanalytikers zum wichtigsten Wirkfaktor werden. Das Gefühl, dass jemand „nachträglicher Zeuge“ wird und mit einem in den Keller der Psyche geht, ist etwas ganz besonderes. Es ist, als entstünde eine neue Schicht, in der das Entsetzliche (aus-)gehalten oder zumindest wahrgenommen und beobachtet werden kann. Das Unbewusste mit seinen Gegensätzen und auch den „bösen Kräften“ kann langsam kennen- und fürchten gelernt werden.
Der Körper spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Ohnmachtserfahrungen, Spannungen, Schwäche und vegetative Reaktionen werden in der psychoanalytischen Stunde spürbar – besonders im Liegen auf der Couch. Eine hohe Therapiefrequenz mit drei bis sechs Sitzungen pro Woche können das Gefühl von Gehaltenwerden vermitteln und somit oft auch einen Klinikaufenthalt ersetzen. Der Therapeut muss sich jedoch bewusst sein, dass er keine Klinik ist und selbst nur bis an die eigenen Grenzen mitgehen kann. Und manchmal kann eine Therapie auch zu schwer werden, sodass sie aufgegeben werden muss – insbesondere, wenn das Agieren des Patienten zu stark wird.
Körpererfahrungen neben der Therapie, über die dann gesprochen werden kann, können sehr zur psychischen Entwicklung beitragen. Einen Patienten zum Yoga, Qi-Gong, Taekwando, Schwimmen etc. zu motivieren, kann viele neue Wege eröffnen. Gerade Yoga im Einzelunterricht empfinde ich als hilfreich, weil die Körpererfahrungen auch hier in der Beziehung zu einem Lehrer gemacht werden können.
Die klassischen psychoanalytischen Theorien von Freud über Melanie Klein, Winnicott und Bion sind weiterhin das äusserst hilfreiche und unverzichtbare Grundgerüst in den Gedanken des Analytikers. Ebenso hilfreich sind Meditation und die Auseinandersetzung mit der Säuglingsforschung (z.B. BeatriceBeebe.com) sowie der Psychoanalyse der Psychosen (z.B. Harold Searles, Danielle Knafo, Richard Reichbart und andere).
Psychoanalyse ist die Intensivmedizin der Psychotherapie
„Nicht zu sehr in die Tiefe gehen!“ raten manche Psychotherapeuten, wenn es um schwer traumatisierte Menschen geht. „Erst stabilisieren, erst Medikamente geben, erst Ressourcen aktivieren!“, heißt es oft. Doch frage ich mich manchmal, ob diese Vorsichtsmaßnahmen nicht mehr für den Therapeuten als für den Patienten gedacht sind.
„Ich hatte immer die Sorge, den anderen mit meinen Ängsten anzustecken. Wenn die Therapeuten zu vorsichtig waren, dachte ich, dass da wirklich was sehr Schlimmes an mir sein musste. Ich glaube, dass ich manchmal extra vorsichtig war, um die Therapeuten zu schonen, denn ich spürte, dass sie bei Weitem nie erlebt hatten, was ich erlebt habe.“
Viele Psychoanalytiker haben sich in ihrer Ausbildung einem sehr intensiven Selbsterfahrungsprozess unterzogen und nicht wenige Analytiker bleiben auch über die Ausbildung hinaus zunächst oder wiederholt in Analyse, um sich selbst so gut wie möglich zu verstehen. Nur, wer sich selbst sehr gut versteht, kann herausfinden, was in anderen Menschen vor sich geht (siehe: Betty Joseph in „Encounters through Generations„, Youtube).
Ähnlich wie ein Intensivmediziner spezialisiert ist auf körperlich schwer verletzte Menschen, so ist ein Psychoanalytiker spezialisiert auf psychisch schwer verletzte Menschen. Das Problem ist, dass viele psychisch schwer kranke Menschen drogen-, medikamenten- oder alkoholabhängig sind und das psychische „Funktionieren“ dadurch sehr eingeschränkt sein kann. Hier sind Psychiater sehr gut geschult, den Menschen in ihrer Kombination aus Sucht, Verwahrlosung und psychischer Krise zu begegnen. Auch die Psychiatrie als Einrichtung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse in der (chronischen) Krise ist unerlässlich.
Dann gibt es jedoch die Patienten, die nicht verwahrlost und nicht süchtig sind, sich aber dennoch in katastrophalen psychischen Zuständen befinden. Sie werden von Psychiatern häufig zunächst medikamentös behandelt und oft nicht gut verstanden.
Häufig versagt im Weiteren das Gesundheitssystem, denn viele Patienten wären auf engmaschige Psychotherapie angewiesen, die hierzulande kaum geboten werden kann. Psychoanalytiker sind darauf spezialisiert, sich den chaotischen inneren Welten der leidenden Menschen persönlich zu stellen in dem Sinne, dass sie mit den Patienten häufig sehr gut in Resonanz treten und ihn emotional erreichen können. Doch nicht selten lehnen Psychoanalytiker beispielsweise psychotische Patienten ab, weil die Verantwortung in der Einzelpraxis oft zu gross ist und die Patienten häufig nicht durch einen Therapeuten allein „getragen“ werden können.
Ich las einmal: „Die kränkesten Menschen bräuchten eigentlich die am besten ausgebildeten Psychotherapeuten, in dem Sinne also die Psychoanalytiker, doch beide treffen am seltensten zusammen.“
Psychoanalytiker kommen in ihrer Ausbildung an ihre eigenen Depressionen und Verletzungen, an ihre Borderline- und psychotischen Bereiche heran. Sie beschäftigen sich mit der eigenen „Angst vor dem Zusammenbruch“ (Winnicott). Beispielsweise müssen angehende Psychoanalytiker*innen in der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (www.dpv-psa.de) erst einmal rund zwei Jahre lang vier Mal pro Woche selbst zur Psychoanalyse gehen, bevor sie nach einer Zwischenprüfung ihren ersten Patienten zur psychoanalytischen Behandlung aufnehmen dürfen.
Psychoanalytiker nutzen quasi „sich selbst“ bzw. die Selbsterkenntnis als Instrument dafür, den Patienten zu verstehen und ihm damit zu helfen. Der schwer gestörte Patient kann mit seinem inneren Terror auf den Analytiker zugehen und im Analytiker zwar Angst und Abwehr, aber häufig auch Resonanz auslösen. Erfahrene Psychoanalytiker sind geübt darin, zu verstehen, was in ihnen selbst abläuft. Sie haben gelernt, Spannungen in besonderem Maße auszuhalten. Sie nehmen die „Rolle“ an, die der Patient ihnen zuschreibt. Allein durch ihre Präsenz sind sie für den Patienten oft sehr hilfreich.
Wenn ein Patient den Analytiker als sadistisch verwehrend erlebt (wobei ja viele Analytiker tatsächlich sehr verwehrend sind), kann der Analytiker zusammen mit dem Patienten an diesem Erleben arbeiten. Er sagt z.B. so etwas: „(Sie glauben also,) ich halte absichtlich etwas zurück, was Ihnen helfen könnte.“ Im Gegensatz dazu könnte man als Therapeut mit weniger Bereitschaft, die „böse Rolle“ anzunehmen, so etwas sagen wie: „Ich erkenne mich darin gar nicht wieder. Ich möchte Ihnen gerne helfen.“
In der Psychotherapie wird oft versucht, dem Patienten eine „korrigierende Erfahrung“ zu ermöglichen. Der Patient soll beim Therapeuten mehr Wärme, mehr Verständnis, mehr Ordnung, mehr Liebe erfahren dürfen als er es bisher in seinem Leben erfahren hat. Das ist oft sehr hilfreich und natürlich oftmals auch ein Effekt der Psychoanalyse. Jedoch kommt es dem Analytiker eher darauf an, dem Patienten zu ermöglichen, die schrecklichen Erfahrungen mit ihm nochmals durchleben und besprechen zu können.
In einer Psychoanalyse kannst du lernen, dass es zu großen Teilen keine „korrigierenden Erfahrungen“ geben kann, sondern dass du mit dem, was du erfahren hast, leben muss. In der Psychoanalyse wird dieser Schmerz jedoch auf besondere Weise aufgenommen. Wenn du dich vorher nicht trautest, deine Traumata anzuschauen, weil sie zu überwältigend waren, kannst du nun mit dem Analytiker die eigene Innenwelt bewusst erleben. Über sehr lange Zeit und immer wieder nimmt der Analytiker das Unaushaltbare in sich auf und tut nichts anderes, als darüber zu „träumen“, es psychisch zu erkunden, es mit zu fühlen, es auszuhalten und zu „verdauen“. Es ist eine Art intensiver Meditation zu zweit, in der oft lange geschwiegen wird und in der du bemerkst, dass deine inneren Spannungen mit der Zeit abnehmen.
Psychoanalytiker haben gelernt, das Unbewusste zu verstehen. So verstehen sie die Halluzinationen und das Stimmenhören von Psychotikern zum Beispiel mithilfe der Traumdeutung. Der amerikanische Psychoanalytiker Bertram Karon war auf die Behandlung von Psychosen spezialisiert. Er betonte, dass es darauf ankomme, ein emotionales Band zum Psychotiker herzustellen und seine Symptome wie Träume zu verstehen.
Psychoanalytiker, die ihre Patienten mehrmals pro Woche sehen, können oft so haltgebend sein, dass eine Behandlung ohne Medikamente möglich ist – auch bei psychotischen Patienten. Wichtig ist dabei immer, dass die Grundversorgung der Patienten gewährleistet ist und dass sie z.B. ganz simpel ausreichend essen und Nahrungsmittel im Haus haben. Sonst kann ein Effekt wie bei Magersüchtigen entstehen, nämlich dass sich durch den Mangel an Nahrung psychische Prozesse stark verändern. Die Behandlung schwer psychisch kranker Menschen ist komplex. Daher ist es umso wichtiger, dass Psychotherapeuten an sich selbst die Erfahrung machen können, wie groß die eigenen psychischen Kräfte sind. Das gelingt meiner Meinung nach nur in einer intensiven eigenen Lehranalyse.
Wie gut trägt die Psychoanalyse?
„Ich weiß, dabei kann mir keiner helfen – ich muss den Schritt schon alleine gehen“, sagen viele Patienten bereits in der ersten Stunde ihrer Psychoanalyse. Sie kennen diese Sätze aus psychiatrischen Kliniken und haben oft das Gefühl, dass ihnen bisher nicht grundlegend geholfen wurde. Und dennoch schwingt eine vage Hoffnung mit, dass es jetzt anders werden könnte. Vielleicht glauben viele Psychotherapeuten und Patienten, dass es in der Psychotherapie nicht erlaubt wäre, zu tragen und getragen zu werden.
Manche Menschen, besonders solche mit Frühtraumatisierungen, fühlen sich manchmal so schwach und verzweifelt, dass sie das Gefühl haben, kaum noch einen Schritt alleine gehen zu können. Psychiater geben dann gerne Medikamente und Psychotherapeuten sagen vielleicht: „Letzten Endes müssen Sie sich schon selbst helfen.“ Wenn die Therapie nicht viel bringt, wird meistens dem Patienten die Verantwortung dafür gegeben – seltener dem Therapeuten.
Auch die Psyche kann getragen werden
In einer Psychoanalyse gibt es da mitunter eine andere Haltung. Kinder brauchen die Mutter unbedingt als Container, damit sich ihre Psyche entwickeln kann. Bietet dieser Container nicht ausreichend das, was das Kind braucht, ist später der eigene psychische Raum nicht gut entwickelt. Es besteht viel Angst und innerer Tumult. Die Fähigkeit, Gefühle zu spüren, zu ertragen und auszudrücken oder sich hinzugeben, ist nur schwach entwickelt.
Der Psychoanalytiker stellt sich dir als „Container“ zur Verfügung – so, wie es eine ausreichend gesunde Mutter für ihr kleines Kind tut. Er „verdaut“ das psychische Chaos für dich, dort, wo du es selbst alleine kaum kannst. Manchmal wird der Psychoanalytiker auch mit einem „Dialyse-Gerät“ verglichen, denn durch seine Arbeit wird eine Art psychische Entgiftung möglich.
Ein sehr schönes Beispiel liefert hierfür der Film „Take these broken wings – Schizophrenie heilen ohne Medikamente“ von Daniel Mackler (Youtube). Der Film zeigt, wie die Schizophrenie-kranke Catherine Penney innerhalb von acht Jahren von ihrem Psychoanalytiker Daniel Dorman, danieldormanmd.com (von ihrer Schizophrenie befreit wurde. Diese Patientin konnte anfangs nichts machen, also wippend vor dem Analytiker zu setzen. Doch er brachte die Geduld auf, über lange Zeit, einfach da zu sein. Der Psychoanalytiker trägt das Unaushaltbare, den Schmerz, die Verrücktheit, den inneren Terror und die Lähmung mit.
Die frühe Mutter-Kind-Beziehung lebt wieder auf
Gewisse Schritte kannst du bei schweren psychischen Störungen nicht alleine gehen – das hast du vielleicht schon dein Leben lang versucht. Du fühlst dich abhängig von deinem Analytiker. Diese Abhängigkeit ist es, die dich zu Recht verzweifeln lässt, wenn die Kosten für deine Psychoanalyse nach 300 Sitzungen nicht mehr von der Krankenkasse getragen werden. Es ist diese Abhängigkeit, die Angst macht.
Der Psychoanalytiker hilft dir, einen mentalen Raum zu entwickeln. Manchmal ist da am Anfang nicht mehr als ein klitzekleiner Spalt. Manchmal hattest du vielleicht nicht die Fähigkeit, die Schritte zu gehen, die Therapeuten von dir erwarteten. „Arbeiten muss der Patient schon selbst. Die Patienten sollen auf keinen Fall zu sehr gepampert werden“, höre ich von einer Psychiaterin.
Schwach kann jeder sein
Mitunter macht dem Analytiker deine Regression selbst Angst, denn deine Schwäche erinnert ihn vielleicht an seine eigene Schwäche und an seine begrenzten Möglichkeiten. „Wird er/sie wieder aufstehen können?“, lautet die bange Frage von beiden. Die Ängste, die du selbst spürst und die der Analytiker spürt, können wie ein gefährlicher See vor euch liegen. Und doch ist die Psychoanalyse meistens ein gutes Segelboot.
Die kanadische Autorin Margaret Fishback Powers, Wikipedia schrieb eine schöne Geschichte über das Getragenwerden. In dieser Geschichte ist es Gott, der trägt, aber auch in einer Psychoanalyse kann man sich getragen fühlen, wenn die eigene Energie nur noch wie ein kleines Flämmchen flackert. Der Analytiker kann durch seine Arbeit, durch das „Alphabetisieren“, dem Patienten die Kraft geben, die ihm so lange fehlte. Ist der Grundstein gelegt, kommt die Entwicklung dann oft wie von selbst ingang.
Spuren im Sand
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel
erstrahlten, Streiflichtern gleich,
Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen
vorübergezogen war, blickte ich zurück.
Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen,
auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich,
dass in den schwersten Zeiten meines Lebens
nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?
Da antwortete er: Mein liebes Kind,
ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.
Margaret Fishback Powers
Wer macht eine Psychoanalyse?
Wer geht eigentlich eine „psychoanalytische Therapie“? Das haben sich die Schweizer Psychologin Dr. Puspa Agarwalla, der Psychoanalytiker Professor Joachim Küchenhoff und Kollegen auch gefragt. Sie untersuchten im Rahmen der „Forschungsinitiative Psychoanalytische Psychotherapie“ (FIPP) die Daten von 57 Patienten aus dem Zeitraum 2003-2005: Drei Viertel waren weiblich, das Durchschnittsalter betrug 35 Jahre. Ein hoher Prozentsatz der Patienten war unverheiratet. Nur 16 der 57 Patienten (28%) lebten in einer Lebensgemeinschaft oder Ehe und mehr als die Hälfte hatten keine Kinder. Die Forscher führen dies auf fehlende soziale Unterstützung oder auf Schwierigkeiten im Beziehungsbereich zurück.
Die PatientInnen waren zwar arbeitsfähig, aber doch schwer beeinträchtigt
Am häufigsten litten die Patienten und Patientinnen unter affektiven Störungen und unter Persönlichkeitsstörungen. Die meisten hatten einen höheren Bildungsgrad und waren trotz ihrer psychischen Beschwerden noch so funktionsfähig, dass sie arbeiten konnten. Dennoch: Bei fast allen (92%) lag nach Angaben der Therapeuten zu Therapiebeginn eine deutliche, ausgeprägte oder außerordentlich schwere Erkrankung vor.
Die Therapeuten schätzten drei Viertel der PatientInnen als mäßig oder gering strukturiert ein. Da die untersuchte Patientengruppe nur sehr klein ist, kann hier leider nicht verallgemeinert werden – dennoch bietet dieses sogenannte „naturalistische Studiendesign“ möglicherweise ein realistisches Abbild von PatientInnen, die eine Analytische Psychotherapie beginnen.
Ziele der Psychoanalyse
Was die Psychoanalyse unter anderem bewirkt, hat die Psychoanalytikerin Paula Heimann (1899-1982) treffend zusammengefasst: Das Über-Ich hört auf, eine grausame intrapsychische Figur zu sein. Es schränkt das Ich nicht mehr so stark ein und verbietet nicht länger libidinöse Freude. „Das Über-Ich setzt Impulse nicht mehr mit Taten gleich und hört auf, grausame Wünsche zu bestrafen. Auch das Ich entwickelt sich: Seine Fähigkeiten zur Sublimierung werden freigesetzt.
Die frühere Rebellion gegen einen intrapsychischen Teufel oder die Unterwerfung unter einen intrapsychischen Gott wird ersetzt durch kreatives Kämpfen mit Ideen, mit intellektuellen, künstlerischen oder praktischen Problemen. Für die Verwirklichung muss das Ich oft hart und schmerzvoll arbeiten. Die Ich-Entwicklung wird unterstützt, indem der Analytiker als eine wohlwollende, erlaubende Figur introjiziert wird. Die Deutung, dass so eine Introjektion gerade stattfindet, ist ein wichtiger Teil der Arbeit des Analytikers.“ (Quelle: Heimann 1956, s.u.).
Über die Grenzen der Psychotherapie – ein Zitat von Gaetano Benedetti (1920-2013)
„Psychotherapie bleibt Grenzerfahrung, ein Können an der Grenze des Nichtkönnens, ein Mitsein an der Grenze des Fremdbleibens, ein Verstehen an der Grenze des Unverständlichen, ein sympathetisches Mitgehen an der Grenze der undurchdringlichen Geschiedenheit.“ (Benedetti) Gefunden auf: Verlag Vandenhoeck & Ruprecht: Zum Tod von Gaetano Benedetti, Zitat aus dem Tagesanzeiger, Zürich, 18.12.2013, aus einem Beitrag von Walter Hollstein
Technische Grundregel in der Psychoanalyse
Mit „technischer Grundregel“ in der Psychoanalyse ist gemeint, dass du alles sagen sollst, was dir in den Sinn kommt – egal, wie peinlich, albern oder unlogisch es erscheint (Sigmund Freud: 19. Vorlesung: Widerstand und Verdrängung). Das ist nicht immer leicht, denn als Patient hast du innere Widerstände und denkst oft Mehreres gleichzeitig. „Wir schärfen ihm (dem Patienten) ein, immer nur der Oberfläche seines Bewusstseins zu folgen, jede wie immer geartete Kritik gegen das, was er findet, zu unterlassen, und vertrauen ihm an, dass der Erfolg der Behandlung, vor allem aber die Dauer derselben von der Gewissenhaftigkeit abhängt, mit der er diese technische Grundregel der Analyse befolgt.“
Sigmund Freud, 19. Vorlesung, Widerstand und Verdrängung, 1916/17
„Mit den Neurotikern schliessen wir also den Vertrag: volle Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion. Das macht den Eindruck, als strebten wir nur die Stellung eines weltlichen Beichtvaters an. Aber der Unterschied ist gross, denn wir wollen von ihm nicht nur hören, was er weiss und vor anderen verbirgt, sondern er soll uns auch erzählen, was er nicht weiss. … Wir verpflichten ihn auf die analytische Grundregel, die künftighin sein Verhalten gegen uns beherrschen soll. Er soll uns nicht nur mitteilen, was er absichtlich und gern sagt, was ihm wie in einer Beichte Erleichterung bringt, sondern auch alles andere, was ihm seine Selbstbeobachtung liefert, alles was ihm in den Sinn kommt, auch wenn es ihm unangenehm zu sagen ist, auch wenn es ihm unwichtig oder sogar unsinnig erscheint.“
Sigmund Freud, Abriss der Psychoanalyse, 6. Kapitel, Gesammelte Werke Band 17: Die psychoanalytische Technik. S. 99
„Die Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie zu heilen vorgibt“
Sigmund Freud hatte immer viele Gegner – der österreichische Schriftsteller und Kulturkritiker Karl Kraus (1874-1936) gehörte dazu. Von Karl Kraus stammt das berühmte Zitat: „Die Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie zu heilen vorgibt.“ Wikipedia schreibt: „Karl Kraus wirkte, indem er sich mit berühmten Zeitgenossen anlegte.“
Psychoanalyse für alle
Obwohl die Analytische Psychotherapie (bzw. Psychoanalyse) eine so hilfreiche Methode ist, kann sie nicht jeder erhalten, der sie sucht und braucht. Hier finde ich den Film von Davide Rosso (Italienische Psychoanalytische Vereinigung, SPI) und Andrea Bocca sehr inspirierend: „Das Heimlich (Il Perturbante). Uncanny 2015“ (Youtube).
Der Film handelt von einem Psychoanalyse-Ausbildungskandidaten, dem es in den Sinn kommt, die Psychoanalyse für alle zugänglich zu machen. Er baut einen Psychoanalyse-Raum mitten auf der Straße auf und zeigt, was er womöglich erleben könnte. Bereits Sigmund Freud fragte sich, wie man die Psychoanalyse für alle möglich machen könnte: „Auch greift er (Freud) die Frage der Gratisbehandlungen auf – er selbst hat sie jahrelang praktiziert -, unterstreicht aber, dass dies die Widerstände enorm steigerte. Schließlich problematisiert er noch die Frage des Zugangs zur Psychoanalyse für Arme wie für Personen aus dem Mittelstand.“ (Jean-Michel Quinodoz, quinodoz.com (IPA): Freud lesen. Psychosozial-Verlag 2004, S. 197).
Verwandte müssen draussen bleiben
„Kann ich mal meinen Partner oder meine Mutter mitbringen?“, fragen Patienten manchmal. „Wir bieten auch Angehörigengespräche an“, sagen Therapeuten in psychosomatischen Kliniken. Die Frage nach den Verwandtengesprächen in der Psychoanalyse beantwortet jeder Psychoanalytiker für sich, doch wohl die meisten Psychoanalysen finden – jedenfalls konkret räumlich gesehen – nur zwischen Patient und Analytiker statt.
Sigmund Freud riet seinem Patienten, „dass er (der Patient) seine analytische Kur als eine Angelegenheit zwischen seinem Arzte und ihm selbst behandele und alle anderen Personen, mögen sie noch so nahestehend oder noch so neugierig sein, von der Mitwisserschaft ausschließe.“ (Aus: Jean-Michel Quinodoz: Freud lesen. Psychosozial-Verlag 2004, S. 197. Freud: Schriften zur analytischen Technik. Zur Einleitung der Behandlung (1913). Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse I. Kleine Schriften I – Kaptiel 17, Projekt Gutenberg)
Auch berühmte Leute machen Psychoanalyse
Der Tenor Rolando Villazon habe über 20 Jahre lang eine Psychoanalyse gemacht – 4-mal pro Woche, 45 Minuten. Auch per Telefon und Skype, wenn er unterwegs war. Das erzählte der Künstler im Kölner Treff am 21.4.2017 (WDR). Es ist unglaublich, was RolandoVillazon.com alles auf die Beine stellt – umso schöner ist es zu hören, dass Psychoanalyse auch in ein so vielbeschäftigtes Leben passt. Möglicherweise hilft sie sogar dabei, ein solch buntes Leben möglich werden zu lassen.
Auf der Website des Münchener Psychoanalytikers Dr. Herbert Will entdeckte ich ein wertvolles Zitat des Schauspielers Harald-Krasnitzer.at, der eine Psychoanalyse gemacht hat (rp-online, 29.8.2010: „Krasnitzer setzt auf Psychoanalyse“ und Süddeutsche Zeitung, 29.1.2016: „Ich habe viel Geld verschleudert“). Krasnitzer beschreibt, was auch aus meiner Sicht mit das Wertvollste an Psychoanalyse ist: zu erkennen, dass vieles aus einer Art Liebe geschieht und dass die anderen nicht einfach böse sind.
„Das war für mich mit das Wertvollste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Es hat mir ermöglicht, … eine gewisse Gelassenheit dem Leben gegenüber zu entwickeln. Ich habe dadurch meine Herkunft besser verstanden. Dass das nicht böse oder blöd war, sondern aus einer Form von Liebe entstanden ist. Man muss es transformieren für sein Leben und nicht immer sagen, wie grässlich das doch war und was da alles für Arschlöcher unterwegs waren.“ (Krasnitzer, SZ, 29.1.2016) „‚Ohne Psychoanalyse wäre ich nicht verheiratet‘, sagte der Schauspieler in einem Medienbericht.“ rp-online, 29.8.2010
Der psychoanalytische Raum
Während der Psychoanalytiker und der Analysand in ihrer Sitzung zusammen sind, entsteht oft etwas, was sich einerseits schwer beschreiben lässt, was aber andererseits jeder aus Beziehungen kennt. Es entsteht etwas Drittes, etwas „zwischen den Subjekten“ (Intersubjektives), es entsteht ein „psychoanalytisches Feld“.
Ich finde, es lässt sich gut beschreiben mit diesem Phänomen, das du vielleicht gut kennst: Zwei haben sich gestritten und man betritt den Raum. Dann fühlt es sich an, als sei da etwas in diesem Raum. Man erfasst sofort, was los ist. „Die Luft ist zum Schneiden“ sagt man. Keiner sagt etwas, es fehlen die Worte. Man fühlt die Spannung ganz genau. Ähnlich können sich Atmosphären der Freude, der Trauer, des Berührtseins oder der Erleichterung entwickeln. Mich erinnert es manchmal an die verschiedenen Lüfte, die man draußen je nach Wetterlage spürt. Charakteristisch ist oft das Wortlose in dem Moment.
Der Raum bekommt etwas „Heiliges“
Viele Analytiker möchten ihren Raum nicht mit Kollegen teilen und viele Patienten finden es sehr schlimm, wenn „ihr Raum“ z.B. auf der Praxis-Website abgebildet wird. Für Außenstehende wird der Raum, der manchmal mit dem „Mutterleib“ verglichen wird, zu hoch gehalten. Doch ich vergleiche es gerne mit dem Geburtsraum in einem Geburtshaus: Auch er hat etwas „Heiliges“. In dem Moment der „psychischen Geburt“ ist der Analyseraum etwas Besonderes, während er einige Zeit später „ganz normal“ erscheint. Patienten sprechen über Intimes, über Gewalt, über Leben und Sterben. Sie „beichten“ ihre peinlichsten Gedanken, Taten und Erlebnisse. Es passiert so viel in diesem Raum.
Als Analysand erlebst du den Psychoanalyse-Raum vielleicht wie ein Kind, das seine Umgebung sehr intensiv wahrnimmt. Wenn du später irgendwann nach der Analyse dorthin zurückkehrst, wunderst du dich vielleicht, wie viel unspektakulärer dieser Raum ist, als in der Erinnerung gespeichert. In dem Buch „Die Magie der Couch“ (Claudia Guderian, Kohlhammer Verlag, 2017) oder in der Bilderreihe von Mark Gerald („In the Shadow of Freud’s Couch“) werden diese Atmosphären spürbar.
Psychoanalyse ist manchmal lebensnotwendig
„Wenn ich nicht mehr hierher kommen kann, bringe ich mich um“, sagt ein Patient auf der Couch. Ich kann das verstehen. „Wenn mir das Geld ausgeht, um die Analyse hier zu zahlen, muss ich sterben“, sagte ich einst. Psychoanalyse wird oft belächelt, doch wer sie braucht, für den ist die Sache todernst. Das innere Leiden kann sein wie ein innerer Terror, wie ein Feuer. Es braucht die intensive Zuwendung eines anderen Menschen, um aus dieser Hölle herauszukommen. Fehlende gute Bindung kann genauso tödlich sein wie fehlende Nahrung.
„Geld ist nicht wichtig“, sagt der Eine. „Es ist nur Geld“, sagt der Andere.
Für manche Patienten, die in der Psychoanalyse sind, ist Geld überlebensnotwendig. Kaum irgendwo sonst haben Menschen die Chance, sich so eng an einen Menschen zu binden, der die Aufgabe einer ausreichend guten Mutter und gleichzeitig eines ausreichend guten Vaters übernimmt und für einen selbst Seelisches verdaut. Diese seelische Verdauung durch den Psychoanalytiker kann lebensnotwendig sein. Manche würden sich ohne den psychoanalytischen Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich das Leben nehmen oder einfach sterben. Diese Dringlichkeit erlebt nur der, der zutiefst leidet und der Psychoanalytiker, der diesen Menschen miterlebt.
Unvorstellbares Grauen wird transformiert
„Todeslandschaften der Seele“ – so lautet der Titel eines Buches des Psychoanalytikers Gaetano Benedetti, aerzteblatt.de. Und genau das ist es, was viele Patienten und Psychoanalytiker erleben: Todesschrecken, namenlose Ängste, unvorstellbare Leere und Verlorensein. In der Psychoanalyse wird das unvorstellbare Grauen des Patienten über lange Zeit und harte Arbeit in teilweise „erträgliches Leid“ umgewandelt. Du lernst, das Unerträgliche in dir irgendwie so zu halten, dass du nicht daran zerbrichst. Du erhältst durch die unermüdliche psychoanalytische Arbeit die Möglichkeit, beziehungsfähiger zu werden und endlich das zu finden, was das Leben lebenswert macht: eine tiefe Beziehung zu dir selbst und zu anderen Menschen.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Wie werde ich Psychoanalytiker*in? 72: Wozu die Couch?
- Ein Patenschaftssystem oder eine Stiftung für die Finanzierung von Psychoanalysen gründen?
- Traumatisiert durch Psychoanalyse?
Links:
Paula Heimann (1956):
Dynamics of Transference Interpretations
International Journal of Psycho-Analysis, 37: 303-310
www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/13366494

Dunja Voos
Psychoanalyse tut gut
Ein Ratgeber für Hilfesuchende
Psychosozial-Verlag 2011
Wolfgang Mertens, Bruno Waldvogel:
Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe
Kohlhammer-Verlag 2008
Eric Kandel:
A new intellectual framework for psychiatry.
In: Psychiatry, Psychoanalysis and the New Biology of Mind.
Arlington: American Psychiatric Publishing,, 2005: 33-58
Robert D. Langs:
Classics in Psychoanalytic Technique
Milton Wexler (1908-2007)
Milton Wexler war im ersten Beruf Jurist und ließ sich erst später zum Psychoanalytiker ausbilden
New York Times
Agarwalla P (Puspa), Knauss C, Hunziker H, Schneider R, Küchenhoff J:
Forschungsinitiative Psychoanalytische Psychotherapie:
Welche PatientInnen nehmen psychoanalytische Psychotherapien in Anspruch?
Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2007; 5: 206-216
Rolando Villazon:
Lebenskünstler
Rowohlt-Verlag, 2017
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 17.10.2012
Aktualisiert am 22.11.2025
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3 thoughts on “Was ist Psychoanalyse?”
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Selbst habe ich 2 Jahre lang mit der analytischen Gruppentherapie und zwei Jahre der analytischen Einzeltherapie gearbeitet und erfahre immer mehr, dass sich damit auch die Möglichkeiten, sich selbst zu stabilisieren erheblich verbessern, sobald ein Weg zum Unbewussten durch das Entschlüsseln der Träume möglich wurde. Allerdings ist dort Vorsicht geboten, wo im Verlauf von mehreren Jahren sich eine Art Abhängigkeit des Klienten vom Therapeuten und Analytiker manifestiert und die Ablösung des Klienten erschwert, da sich ja auch subjektiv die Lebenswirklichkeit des Analytikers ändert und auch dieser nicht vor etwaigen Schicksalsschlägen gefeit sein kann. Letztendlich bleibt es eine Frage der Objektivität, inwieweit sich somit ganz andere Wege erschließen lassen, durch die eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht hat werden kann. Einen solchen Entwicklungsprozess auch bei anderen anzustoßen ist gerade im Bereich einer Behandlung sinnvoll, mit denen diese Änderungen deutlicher spürbarer wurden und auch werden konnten.
Ich kann mich Herrn Wendl nur anschliessen, auch ich lese Ihre Artikel sehr gerne.
Ihr Buch “Psychoanalyse tut gut – ein Ratgeber für Hilfesuchende†habe ich mir auch gekauft und finde es großartig! Es ist verständlich geschrieben und Ihr Schreibstil hat zudem etwas sehr Tröstliches.
Danke!
Großes Lob an Frau Dr. Voss. Ich schau ab und zu auf Ihrem Blog vorbei. Sehr gut Beiträge !