Sich vom Hass zu befreien, heißt nicht, alles niederzuschlagen. Es heißt nicht, sich zu rächen. Es heißt nicht, laut herumzuschreien oder jemandem gegen das innere Gefühl gezwungenermaßen zu vergeben. Sich vom Hass zu befreien, fängt oft damit an, dass ich mir erlaube, ihn zu zeigen – und zwar mit meiner Mimik. Wie oft sind wir damit beschäftigt, unsere Wut und unseren Hass hinter einem Lächeln zu verbergen. Keiner soll merken, wie es in uns drinnen aussieht. Doch obwohl wir glauben, es würde uns gelingen, tut es das nicht. Die anderen können auf einer bestimmten Ebene wahrnehmen, wie es uns geht. Unsere unwillkürliche Gesichtsmimik und Körperhaltung zeigen es.Weiterlesen

„Wo ich hinkomme, reagieren die Menschen mit Ärger auf mich. Ich weiß nicht, wieso. Es sind sehr unbefriedigende Begegnungen.“ Eine Patientin erzählt, dass fast alle ihre Kontakte von unbegreiflicher Aggression betroffen sind. Erst im Laufe der Zeit entdeckt sie, dass sie die anderen ständig steuern will. Sie macht Witze, damit die anderen lachen und sie denkt sich vorher genau aus, was sie sagt, damit die anderen in dieser oder jener Weise reagieren. Auf einmal versteht sie, warum so viel Langeweile in ihrem Leben herrscht: Sie vermeidet die lebendige Begegnung.Weiterlesen
Manchmal bleibt uns nichts anderes übrig, als zu hoffen. Manchmal kannst du nichts anderes tun, als Tee zu trinken und zu warten. Während du dich so ohnmächtig fühlst, schlägt dir das Herz bis zum Hals. Es fühlt sich an, als müsstest du sterben – weil du eben nichts tun kannst, während dein Innerstes rast. Aber du kannst hoffen – immer wieder hoffen und hoffen. Weiterlesen
Noch drei Minuten, sagt der grosse Zeiger. Gleich wird er klingeln, mein Patient. Wie fast jeden Tag zur vollen Stunde. Und ich kann nichts dagegen tun. Er wird da sein. Er wird wollen. Er will, dass ich zuhöre und nachdenke. Ich kann nicht weg. Dabei bin ich müde. Wie eine Mutter. Doch der Säugling, er gibt keine Ruhe. Er fordert und fordert. || Noch drei Minuten, sagt das Autoradio. Dann steige ich aus und begebe ich mich zur Tür meines Lehranalytikers. Er wird da stehen und auf mich warten. Ohne Gnade. Er fordert von mir, dass ich sage, was mir einfällt. Ständig. In jeder Sekunde. Meine ich. In meiner Welt. Er sitzt da und wartet und wartet. Wie ein Herrscher. Ich bin müde, ich will nichts mehr sagen. Doch er ist da, komme, was wolle.Weiterlesen
Da ist eine Perle in mir. Ich bin eine Auster und lasse mich in der Tiefe des Meeres sanft hin- und herbewegen. Meistens ist meine Schale zu, denn ich befürchte, dass man mir meine Perle klauen könnte, wenn ich mich öffne. Was aber, wenn es gar nicht (mehr) so ist? Was, wenn die anderen respektvoll vor mir stehen bleiben? Wenn sie mein Gesicht, meine Perle respektieren? Wenn sie selbst darum bemüht sind, meine Perle zu beschützen? Ich komme an einer anderen Auster vorbei. Sie ist weit offen und trägt eine wunderschöne Perle. Ich sehe sie glänzen. Neid kommt auf. Und auf einmal bin ich es, der rauben will! Ich will diese Perle haben, ich will sie klauen, mir zu eigen machen. Doch dann fällt mir meine eigene Perle ein. Ich hätte nichts davon, die andere Perle zu klauen. Sie würde nicht zu mir passen. Ich hinterließe eine leere Schale und würde selbst einsam werden. Da ist es doch sinnvoller, ich lasse meine eigene Perle in Ruhe wachsen, sodass sie selbst schön glänzt.Weiterlesen
„Also Du hast den Patienten verstanden. Und was machst Du dann, damit Du ihm hilfst?“, werde ich manchmal gefragt. „Da hat der Analytiker mich verstanden und ich habe mich allein dadurch um Längen besser gefühlt. Ich habe das Gefühl, es hat sich wirklich etwas verändert“, erzählt eine Patientin. „Und dann?“, fragt die Freundin. „Nichts ‚und dann‘ – das hat gereicht“, sagt die Patientin. Tatsächlich geraten Patienten und Analytiker manchmal in Erklärungsnot, wenn es an dieser Stelle um die Wirkung der Psychoanalyse geht. Es müsse doch etwas folgen, man müsse doch etwas machen, so der Gedanke. Doch man darf gelassen bleiben. Weiterlesen