Wer an Reizdarm leidet, der braucht vor allen Dingen eines: eine eigene Toilette und viel Zeit. Insbesondere in den Morgenstunden solltest Du Dir – wenn eben möglich – viel Zeit einrichten. Neben den körperlichen Ursachen sind auch die psychischen Begleitphänomene interessant. Das Reizdarmsyndrom verschlimmert sich häufig im Kampf um Pünktlichkeit. Der Wunsch ist da, allein und ungestört zu sein. Man möchte nichts „vor sich haben“, doch die Umwelt wirkt mit ihren Erwartungen unbarmherzig: Du sollst funktionieren. Und das erwartest Du auch von Dir selbst. Weiterlesen
„Du hast ja Angst vor Deinem eigenen Baby!“, wird Müttern manchmal vorgeworfen. In der Tat können Babys mit ihrer Unersättlichkeit Angst machen: „Was, wenn ich Fieber habe und mein Baby nicht versorgen kann?“, denkt die Mutter. Enge Zweierbeziehungen können sehr einengen. Gerade, wenn ich als angehende Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin selbst frühtraumatisiert bin, kann ich erneut erleben, wie gefährlich eine enge und abhängige Beziehung werden kann. Wenn Angst und Wut aufkommen, lässt die Mentalisierungsfähigkeit nach – ich bin damit beschäftigt, mich selbst zu schützen. Die Kunst ist es, in der Therapie weiterhin mentalisierungsfähig zu bleiben, auch, wenn man gerade Angst hat oder von Aggression überwältigt ist. Weiterlesen
Kleine Kinder, die verwahrlost und alleingelassen sind, wippen vor und zurück. Das ist ein Zeichen des „Hospitalismus“, also eines Zustandes, der in Isolation entstehen kann. Das Wippen erinnert an das frühe Geschaukeltwerden durch Mutter und Vater. Es ist schmerzstillend, beruhigend und bindungsfördernd – Endorphine und das Bindungshormon Oxytocin können ins Blut ausgeschüttet werden (Ignaz Roob, 2015). Auch einige Kinder mit schwerem Autismus wippen vor und zurück. Ein Seitwärts-Wippen von links nach rechts ist häufig ein Zeichen der Nebenwirkungen von Neuroleptika (also Psychose-Medikamenten). Diese werden als (Spät-)Dyskinesien (englisch: Tardive Dyskinesia) bezeichnet, wobei „dys“ = „gestört“ heißt und „Kinesie“ = „Bewegung“ bedeutet. Auch bei Scham und Unsicherheit wippt man häufig seitwärts. Weiterlesen
„Ich dachte, ich muss in die Notaufnahme oder mich umbringen“, erzählt eine Frau, die an der Angst vor dem ewigen Leben leidet (The Atlantic). Der Autor Bobby Azarian leide unter dieser Apeirophobie seit er vier Jahre alt war – als seine Mutter ihm nach dem Versterben des Opas erzählte, dass er nun fröhlich im Himmel weiterlebe (The Atlantic, 1.9.2016). Manche Menschen bekommen diese Angst mit Psychotherapie, Psychoanalyse und/oder Medikamenten in den Griff, aber viele haben bisher keinen Weg gefunden, um diesen „existenziellen Terror“ zu lindern (Azarian, 2016). Weiterlesen
ich kann die hand und den arm nun wieder im Alltag etwas einsetzen. die orthese trage ich stundenweise, doch die zeit ohne orthese überwiegt langsam. viele „über-eck-bewegungen“ klappen noch nicht, wie das führen der gabel zum mund oder das herausziehen des handys aus der jackentasche. der bruch selbst schmerzt kaum noch. was mir zu schaffen macht, sind die schulter und der daumen, der bei den meisten bewegungen weh tut. die computertastatur kann ich gut bedienen, wenn ich ein handtuch unter den (ehemals) gebrochenen arm lege. nur die shift-taste für die großbuchstaben (kleiner finger) meide ich noch. insgesamt bin ich sehr froh – jeden tag werde ich beweglicher und denke immer weniger an hand und arm.Weiterlesen
Wir haben nicht nur einen Lebenstrieb, sondern auch einen Todestrieb. Den Begriff „Todestrieb“ prägte Sigmund Freud um das Jahr 1920. Wir spüren ihn, wenn wir Zerstörungswut verspüren. Schon kleine Kinder lieben es, den Bauklotz-Turm zu zerstören und Marienkäfer zu zertreten. Vereinfacht gesagt gehört das Zerstörerische in uns zum Todestrieb. Schon wenn wir etwas essen und zerbeißen, sind wir zerstörend. Daher gehört auch das Schuldgefühl von Beginn unseres Lebens immer zu uns. Zum Todestrieb gehören zum Beispiel Hass, Neid, Mordgelüste, Selbsttötungswünsche, Rachegedanken, Stillstand und Arroganz. Oft verleugnen wir den Todestrieb. Nur heimlich denken wir bei schlechten Nachrichten: „Schade, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Schade, dass nicht mehr Menschen zu Tode gekommen sind.“ Weiterlesen
viele leiden in diesen tagen an der angst, persönlich von einem schrecklichen krieg betroffen zu werden. wie groß diese angst ist, hängt auch davon ab, wie alt wir sind, ob wir selbst schon krieg und flucht erlebt haben oder was wir von unseren eltern und großeltern transgenerational über den krieg erfahren haben. in unserer phantasie können wir vieles aushalten, doch wenn wir die realität eines krieges erlebt haben, sind wir uns meistens sicher, dass wir das nie mehr wollen. manche kriegseindrücke von eltern/großeltern waren so stark, dass die kinder und enkel das gefühl haben, es hautnah und real miterlebt zu haben. hinzu kommt die vorstellung von einem unberechenbaren diktator, der uns angst macht, weil er nicht mehr „mensch“ zu sein scheint und nicht mehr mit sich reden lässt. wir denken an auswegslose Streits, in denen es niemandem mehr möglich war, zu reden.Weiterlesen
Die Psychoanalytikerin Melanie Klein (1882-1960) hat die Begriffe „paranoid-schizoide Position“ und „depressive Position“ geprägt (1946: Bemerkungen über einige schizoide Mechanismen, The Journal of Psychotherapy Practice and Research, 1996). Gemeint waren damit ursprünglich Entwicklungsstadien, die ein Kind durchläuft. Mit „Position“ ist jedoch ein psychischer Zustand gemeint, den wir ein Leben lang immer wieder einnehmen. Wir oszillieren ständig zwischen paranoid-schizoider und depressiver Position. Melanie Klein ging davon aus, dass sich das Baby zunächst als einen Teil seiner Mutter wahrnimmt. Seelische Teile von sich selbst, z.B. Wut, projiziere es auf die Mutter. Das Baby fühle sich jedoch direkt nach der Verlagerung seiner Gefühle in die Mutter von der Mutter verfolgt, weil es glaube, die Mutter sei wütend. Weiterlesen
Verschmelzungsübertragung bedeutet, dass wir gefühlt eine absolute Einheit mit unserem Psychoanalytiker erleben – ganz so, wie wir es einmal mit unserer Mutter erlebt haben und auch heute noch in glücklichen Beziehungen erleben können. Es geht um ein subjektives Erleben, das die realistische Beziehung nicht unbedingt widerspiegeln muss. Wir erleben uns dann als freudig und groß – unser „Größenselbst“ (englisch „Grandiose Self“, Begriff geprägt von Heinz Kohut) zeigt sich. „Für den Analytiker gibt es nur mich“, so meinen wir. Wir können uns im anderen spiegeln und fühlen uns auch Eins mit ihm. Der andere ist unserem Gefühl nach vollkommen einverstanden mit uns und wir sind es mit ihm. Es passt. Wenn wir jedoch sehr viel Ohnmacht erlebt haben, können wir uns auch im krankhaften Sinn verschmolzen fühlen. Wir fühlen uns dann mit der Zeit irgendwie unzufrieden. Weiterlesen