Raus aus der Einsamkeit: ein paar Tipps

Gegen Einsamkeit Tipps geben zu wollen ist vielleicht so wie einem Wüstenwanderer zu sagen, er solle doch einfach mal zur Quelle gehen. Es war vielleicht oft ein langer Weg, der uns in die Einsamkeit geführt hat. Chronisch einsame Menschen sind oft Menschen, die schon als Kinder unsicher gebunden waren oder misshandelt wurden (Sabaß L. et al., 2022). Und plötzlich finden wir uns als Erwachsene in einer Situation wieder, in der wir feststecken und uns fragen: Wie sind wir bloß dahingekommen? Einsamkeit durch psychische und körperliche Krankheit, Behinderung, Armut, Familienlosigkeit, Pflegetätigkeiten oder ähnliches bringen uns in eine Lage, die wir oft nicht so leicht verlassen können.

Bei der Einsamkeit können wir grob zwei Arten unterscheiden: Da ist die „existenzielle Einsamkeit“, also eine tiefe Einsamkeit, die wahrscheinlich jeder Mensch spüren kann, wenn er sich seiner selbst bewusst wird. Wir alle haben eine einzigartige Innenwelt, die nur wir selbst fühlen. Andererseits gibt es eine Art von „Alltagseinsamkeit“, die wir vielleicht spüren, wenn wir im Hochhaus wohnen, wenig Geld haben, krank sind, alleinerziehend sind, die soziale Schicht oder das Land gewechselt haben und Ähnliches. Gegen diese Einsamkeit können wir etwas tun – aber Achtung: Es ist meistens sehr viel Arbeit.

Tipps gegen die Einsamkeit:

  • Setze Dir das Ziel, aus der Alltagseinsamkeit zu finden, ganz bewusst. Gehe in vielen kleinen Schritten vor.
  • Frage Dich, wie Du von den anderen Menschen denkst. Sind sie alle nur dumm oder könntest Du Dir vorstellen, dass sie ähnlich leiden wie Du selbst?
  • „Facebook ist nichts für mich, ich will meine Daten nicht preisgeben“, sagen viele. Was befürchtest Du, wenn Du Deine Daten preisgibst? Gehe Deinen berechtigten Sorgen nach. Bedenke, dass viele echte Freundschaften über die sozialen Medien und Partnerbörsen entstehen – manchmal braucht man dafür sehr viel Zeit und Disziplin, doch Du kannst gezielt nach Menschen suchen, mit denen Du auf einer Wellenlänge ibst.
  • Beschäftige Dich mit Herzensbildung – versuche, Texte zu finden, in denen Du Dich wiederfinden kannst. Schreibe Dir wohltuende Sätze aus einem Film, einer Serie oder einem Buch in ein Notizbüchlein.
  • Versuche, Dich weiterzubilden. Jegliche Art von Bildung kann Dir Einsamkeitsgefühle nehmen, denn das, was Du Dir durch Lernen vertraut machst, erkennst Du in Deiner Umwelt wieder. Wenn Du Altgriechisch, Philosophie oder Schreinern lernst, fühlst Du Dich mit der Welt vertrauter, wenn Du etwas davon wieder erkennst – wenn Du plötzlich weisst, woher ein bestimmtes Wort kommt oder Du Deinen selbst geschreinerten Stehtisch gut verkaufen kannst, weckt das Lebensfreude und ein Gefühl von Geborgenheit. Das Dumme daran: Du musst Dich durch unglaublich viel Frust durchbeissen – von der Suche nach dem Richtigen bis hin zur Fertigkeit können Jahre vergehen. Doch die lohnen sich in jedem Alter.
  • Mache Dich vertraut – vertraut mit Deinem Körper, z.B. durch Yoga, TaiChi oder ähnliches. Mache Dich mit dem Ort vertraut, an dem Du wohnst, stelle Dich Deinen Nachbarn vor. Mache Dich vertraut mit Deiner eigenen Familiengeschichte, betreibe Ahnenforschung.
  • Setze Dich mit dem Thema „Berührung“ auseinander. Denke über einen Hund oder eine Katze nach.
  • Unterschätze das Wohnen nicht. Suche nach Mehrgenerationenhäusern, Denke auch über Alternativen nach wie z.B. ein Leben im Kloster oder in einem Konvent. Bei einer Yogaausbildung kannst Du auch in Deutschland in einem Ashram/einer Gemeinschaft wohnen, z.B. bei Yoga-Vidya.de.
  • Suche Dir eine Wohnung möglichst mit Kontakt zur Natur, z.B. eine Erdgeschosswohnung mit einer kleinen Terrasse oder einem kleinen Garten.
  • Wenn du nicht aus dem Haus willst oder kannst, erlerne Amateurfunk. So kannst du Leute kennenlernen und trainierst dein Gehirn.
  • Lass die Leute zu dir kommen: Richte z.B. eine Donnerstags-Abends-Sprechzeit für Freunde auf Zoom oder Whatsapp ein.

Nimm Dir vor, etwas zu lernen – ein Musikinstrument, ein Handwerk, Amateurfunk, Schwimmen oder ähnliches. Suche Dir dafür gute Lehrer, Bücher und Youtube-Kurse. Insbesondere das „Auswendig-Lernen“ kann Dir viel bringen. Zunächst weißt Du vielleicht gar nicht, was es bringen soll. Doch später ergeben sich oft Anknüpfungspunkte. Versuche, dran zu bleiben. Bemerke die Unterschiede: Wenn Du Yoga in einer beheizten Wohnung machst oder bei geöffnetem Fenster, auf dem Balkon oder draußen, kann sich das vom Langeweile- und Einsamkeitsgrad her sehr unterschiedlich anfühlen. Wenn Du Yoga machst und im Nebenraum werkeln Menschen, die Du kennst, kann die Einsamkeit sich reduzieren. Du kannst auch z.B. das ZDF-Morgenmagazin auf dem Laptop in der Küche laufen lassen, während Du im Wohnzimmer Yoga machst. Auch dabei fühlst Du Dich dann möglicherweise weniger einsam, denn die Sendung ist live und verbindet Dich mit der Welt.

  • Suche gezielt nach Menschen, die ein ähnliches Problem haben könnten wir Du. Auf Twitter findest Du z.B. Menschen, die sich mit Depressionen auskennen, unter dem Hashtag #notjustsad (= „nicht nur traurig/nicht richtig traurig“).
  • Gehe jeden Morgen zum selben Bäcker oder setze Dich immer wieder zur selben Uhrzeit ins selbe Café. Mache das sehr, sehr lange.
  • Lies die Bild-Zeitung oder ein ähnliches Blatt, das Dich über Royals, Fußballer und Stars informiert. Halte Dich bei aktuellen Dingen auf dem Laufenden, merke Dir Namen.
  • Gehe regelmäßig zur selben Zeit schwimmen – bis Du die Menschen kennst, die mit Dir schwimmen. Das funktioniert auch mit anderen Aktivitäten, jedoch braucht es mehrere Monate, bis Du einen Effekt merkst.
  • Suche nach Menschen mit Deinem Bildungsgrad. Es nutzt nichts, in einen Verein zu gehen, in dem Du Dich einsam fühlst, weil Du geistig über- oder unterfordert bist.

Kirchen und freie evangelische Gemeinden haben manches im Angebot, das bei Einsamkeit helfen kann, z.B. Gottesdienste am Sonntag, Veranstaltungen im Gemeindezentrum oder Chorproben. Das klingt in Deinen Ohren vielleicht gruselig – und gerade auch bei freien evangelischen Gemeinden musst du schauen, ob dir das nicht „too much“ ist. Manche Veranstaltungen sind schon fast „Sekten-artig“, manche aber können auch gut tun. Es gibt auch so etwas wie „Belonging without believing“, also „Dazugehören ohne zu glauben“ – da spricht nichts gegen. Schau Dir die Gründe für dein Unwohlsein an, warum: Hältst Du die anderen für nicht zu Dir passend? Kämpfst Du mit Hemmungen, dorthin zu gehen, weil Du Dich selbst unpassend fühlst? Analysiere deine Bedenken und versuche hier oder dort, über Deinen Schatten zu springen.

Du kannst auch in einen Chor gehen, selbst wenn Du denkst, dass Du nicht singen kannst. Die Musik von Bach und die dazugehörigen Texte können sehr berührend sein. Wenn Du so etwas noch nicht kennst und Dich vielleicht schämst, gib Dir eine Chance und versuche, dort heranzukommen, selbst wenn Du nach dem ersten Mal nach Hause kommst und denkst: Also das ist wirklich nichts für mich! Probiere alles Mögliche aus. Es ist schwer zu wissen, wonach man sucht (siehe: Ich weiss es eben nicht). Wichtig ist, dass Du suchst. Selbst wenn Du lange das „Falsche“ gemacht oder gelernt hast, ist das ein Gewinn. Du kannst zu Deinen wirklichen Talenten und Wünschen finden, indem Du eine Sache kennenlernst und sie dann bewusst annimmst oder ablehnst – auch noch im Alter.

  • Achte auf Jahresrituale und versuche, ein wenig mitzugehen. Es gibt gute Jahreskalender, die Dir z.B. sagen, welche Art von Sonntag wir diese Woche haben oder wie der Mond gerade steht.
  • Versuche immer wieder, Deine Erwartungen klein zu halten auf Deinem Weg – gerade dann, wenn Du ein großes Ziel hast.
  • Beschäftige Dich mit psychoanalytischen Themen wie z.B. unsicherer/sicherer Bindung, mit unbewussten Vorstellungen von Dir und anderen, mit Scham und Schuld. Möchtest Du Dich mit Deiner Einsamkeit für etwas bestrafen?

Was wir wiedererkennen, freut uns. Will heißen: Versuche z.B. eine Sprache zu erlernen und merke, wie mühselig das sein kann und wieviel Disziplin Du brauchst. Doch eines Tages kommt der Punkt, an dem Du plötzlich Spaß hast daran. Die Dinge eröffnen sich erst nach einer ganzen Weile! Wenn Dir dann das, was Du gelernt hast, im Alltag begegnet, wirst Du Dich freuen.

  • Suche nach nur ein oder zwei engeren Bindungen und pflege sie. Du brauchst nicht viele Freunde, sondern wenige Freunde, bei denen sich die Freundschaft weitgehend angenehm anfühlt. Enttäuschungen gibt es immer! Versuche, den Faden wieder aufzunehmen.
  • Eine einzige gute Bindung kann das Gefühl in Dir hervorrufen, Dich mit allem verbunden zu fühlen. Wichtig ist also, dass das Bindungssystem quasi überhaupt „anspricht“.
  • Suche die Wahrheit. Versuche immer wieder, Deine inneren Wahrheiten zu finden und bleibe dabei, wenn Du mit anderen sprichst und zusammen bist. Wenn Dich jemand fragt, wie es Dir geht, versuche so ehrlich wie möglich zu sein – nur so kann der andere Dir begegnen!
  • Gehe davon aus, dass auch andere Menschen ähnliches Leid kennen wie Du. Es heißt: „Wut schmeckt allen gleich“. Die Gründe der Gefühle mögen unterschiedlich sein, aber das Gefühl der Wut, der Trauer, der Verzweiflung ist bei den verschiedenen Menschen ähnlich.

Beschäftige Dich mit guten Youtubevideos, z.B. mit Buddhismus. Ich empfehle gerne Pema Chödrön, Eckhart Tolle oder Muho Nölke (z.B. „Echtes Glück bedeutet, auch unglücklich sein zu können“. Deutschlandfunkkultur 2017)

  • Eröffne einen Blog zu Deinem Lieblingsthema – unter echtem Namen. Nur so ist es wirklich befriedigend (wenn vielleicht auch beängstigend) und nur so können Menschen Dich finden.
  • Mache ein paar Tage Urlaub in einem Kloster.
  • Erforsche Deine Ängste, die Du im Zuzweitsein haben könntest – vielleicht befürchtest Du, Du müsstest Dich selbst aufgeben, sobald Du mit einem anderen Menschen zusammen bist. Beschäftige Dich mit dem Psychoanalytiker Donald Winnicott oder mache eine Analytische Psychotherapie, z.B. drei Mal pro Woche. Sie wird in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt. Adressen: www.dgpt.de)
  • Gib bei der Partnersuche nicht auf – auch, wenn es 10-20 Jahre und mehr dauert. Schaue nach guten Portalen und wenn Du genügend Geld hast, plane die Ausgaben dafür ein.

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Links:

Sabaß L. et al. (2022):
Attachment mediates the link between childhood maltreatment and loneliness in persistent depressive disorder.
Journal of Affective Disorders, Volume 312, 1 September 2022, Pages 61-68
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0165032722006814

Udo Rauchfleisch:
Einsamkeit – die Herausforderung unserer Zeit
Analysen und Vorschläge
Patmos Verlag
https://schoenstatt-verlag.de/…

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 11.11.2023
Aktualisiert am 29.5.2025

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