Als Psychotherapeut muss man in Arztbriefen/Patientenberichten einen „psychischen Befund“ formulieren. Hier ein typischer, erdachter Beispieltext (unabhängig davon, ob gut oder schlecht), wie man ihn in vielen Berichten findet: Weiterlesen
„Guten Tag, Frau Doktor“, begrüßt mich mein HNO-Arzt, als ich geschwächt, hypochondrisch und mit Wahnsinns-Ohrenschmerzen seinen Raum betrete. „Lassen Sie bitte das ‚Doktor‘ weg“, entgegne ich, „wenn ich krank bin, ist der Titel total unpassend.“ Ich fühle mich elend. Weiterlesen
In der Verhaltenstherapie (VT) gibt es drei Wellen: Die erste Welle konzentrierte sich auf das sichtbare Verhalten und auf die Frage: Wie lernt der Mensch? Wie wurde er konditioniert? In der zweiten Welle kam das Denken hinzu: Was denkt der Mensch? Wie hängen sein Denken und sein Verhalten zusammen? Die daraus entstandene Therapie ist die „kognitive Verhaltenstherapie“ (Kognition = das Denken; englisch: CBT = Cognitive Behavioral Therapy). In der dritten Welle geht es um die dazugehörigen Gefühle.Weiterlesen
„Der kommt jede Woche zu mir und lässt sich wegen Kleinigkeiten krankschreiben. Ein Weichei. Der hat gar nix“, sagt die Ärztin verzweifelt. Doch was heißt es für den Patienten, „nichts Richtiges“ zu haben? Der Patient ist in diesem Fall ein einfacher Arbeiter. Doch Menschen aus allen Schichten sind davon betroffen, „nichts“ zu haben und doch zu leiden. Ärzte sind psychologisch einfach zu schlecht ausgebildet. „Als Arzt kann ich mich nicht um alles kümmern“, klagt der Arzt. „Ich bin schließlich kein Sozialarbeiter und kein Psychologe.“ Ärzte sind oft überlastet mit der Situation – doch was genau ist so belastend?
„Wenn ich doch wenigstens eine deftige Depression mit vielen trübseligen Gedanken hätte. Aber das Schlimme ist ja: Da ist nichts – nur eine absolute, erschreckende Leere“, klagt ein Patient. Auch, wenn man diese Leeregefühle als Depression bezeichnen kann, so taucht doch eines immer wieder auf: „Nichts“ zu haben oder zu fühlen, ist für viele das Unangenehmste, was passieren kann.
Priveligierte und unprivilegierte Welten treffen aufeinander
Wenn ein Arzt aus einer privilegierten Familie kommt, dann wird er möglicherweise nur ansatzweise nachvollziehen können, welche Qualen der Patient leidet, der „nichts“ hat. Manche Menschen leben in einer Perspektivlosigkeit ungeahnten Ausmaßes. Sie erleben zu Hause körperliche und/oder seelische Gewalt, können aber nicht darüber sprechen. Sie haben kein Geld, keine befriedigenden Beziehungen, keine Arbeit, die einen Sinn ergibt, keine Möglichkeit, ihre Gefühle zu steuern. Viele sind völlig isoliert und alleingelassen. Viele hatten nie eine Beziehung zu einem Menschen, durch den sie hätten reifen können.
Plattgedrückt
Von der Auswegslosigkeit sind manche Patienten schier „plattgedrückt“. „Der faule Sack hängt nur vor dem Computer“, sagt ein privilegierter Kollege. „Der müsste nur mal seinen Hintern hochkriegen, dann ging’s dem auch besser.“ Ich denke: Ob dieser Kollege jemals von Hartz IV gelebt hat? Hier zeigt sich sehr schön, warum sich Anstrengen nicht lohnt: Verdient der Betroffene zu viel nebenher, bekommt er weniger Hartz-IV-Geld. Das Argument lautet: Damit sich der Betroffene um eine echte Ganztagsstelle bemüht. Nicht in der Überlegung mit drin ist: Der Betroffene hat aufgrund seiner „Struktur“ und Umstände ja gar keine Chance, einen besseren Arbeitsplatz zu erhalten. Extra verdienen heißt für ihn: Es an einer anderen Stelle wieder abgezogen zu bekommen.
Die Not heißt also: „Nichts, Leerlauf“
Beim Arzt macht sich ein Gefühl breit, das der Patient gut kennt: Ratlosigkeit, Wut und das Gefühl, dass diese Situation nie aufhört. Dem Patienten ist schon geholfen, wenn er einen Arzt findet, der sich einfühlen kann. Ein Arzt, der eine Ahnung davon hat, wie Situationen lähmen können und der auch weiß, dass man nicht immer so kann, wie man will. Der weiß, dass es nicht reicht, „den Hintern hochzubekommen“, sondern der weiß, dass andere Menschen notwendig sind, um diesem Patienten zu helfen. Daher finde ich den „Numerus-Clausus“ (also eine gute Note als Eingangsticket zum Studium) so kontraproduktiv. Wir brauchen mehr Ärzte, die selbst aus prekären Verhältnissen kommen, die selbst Gewalt und Armut erlebt haben, damit den Patienten, die „nichts“ haben, besser geholfen werden kann.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 10.11.2013
Aktualisiert am 28.9.2015
Alle paar Wochen wacht Lena frühmorgens mit Erbrechen auf. Viele Stunden verbringt sie am Waschbecken. Nach zwei Tagen ist der Spuk vorbei. „Zyklisches (also immer wiederkehrendes) Erbrechen“ (Cyclic vomiting syndrome, CVS) nennen die Kinderärzte es, wenn keine handfesten Ursachen dafür gefunden werden können. Auf den ersten Blick lassen sich keine psychosomatischen Zusammenhänge feststellen. Doch hier ist genaues Beobachten gefragt: Viele Kinder erbrechen dann, wenn sie zu oft alleingelassen wurden, zu sehr Mutter und/oder Vater vermissten oder mit einem großen Kummer ins Bett gegangen sind. Weiterlesen