Ein Instrument lernen heißt auch: stark durch Beziehung werden

„Mein Kind will nicht üben!“, klagt eine Mutter. „Es soll ja auch nicht üben, es soll spielen!“, sagt mein Geigenlehrer zu ihr. Noch heute habe ich Kontakt zu ihm. Das Schöne am Musikunterricht ist häufig das Zusammenwachsen mit einem Vobild: dem Lehrer oder der Lehrerin. Ein Kind übt auch dem Lehrer zuliebe, der Beziehung zuliebe. Wie aufgeregt sind viele Kinder, wenn sie das erste Mal ihr Instrument in der Hand halten! Und wie schön ist es, wenn Kinder ihr Instrument zunächst durch Imitation lernen. Sie spielen auswendig, kleben nicht an den Noten und sie sind nicht allein.

Weil das Kind sozusagen „im Schatten des Lehrers“ spielt, klingt das Instrumentenspiel von Anfang an schön. Diese Suzuki-Querflötenstunde gibt eine Idee davon: Youtube (trotz aller Idealisierung sehe ich in dem Film aber auch, dass die Lehrerin nicht erkennt, als das Kind überfordert ist und dies durch Schmerzen am Daumen anzeigt). Ein Instrument zu lernen heißt: In Beziehung zu gehen: mit sich selbst, dem Lehrer, dem Instrument, dem Musikstück, dem Dirigenten, den anderen Mitspielenden. Beim Spielen kann man sich als Individuum erleben, zusammen mit den anderen in der Musik aufgehen und gleichzeitig die Schönheit von Differenzen erfahren.

Der japanische Violinpädagoge Shinichi Suzuki hat eine Methode entwickelt, die es Kindern leicht macht, ein Instrument zu erlernen. Im Suzuki-Unterricht ahmt das Kind den Lehrer nach. Es hört und sieht. Von Anfang an spielt das Kind zu zweit. Es lernt die Lieder spielerisch auswendig und kann so überall sein Instrument herausnehmen und frei spielen. Durch das direkte Nachahmen und das Zusammenspiel mit dem Lehrer übernimmt das Kind das Können des Lehrers.

Es ist wie beim Schwimmen: Lass dein Kind erst einmal erleben, wie gut das Wasser riecht und wie schön es sich anfühlt, sich darin zu bewegen. Lasst uns nicht Musik machen, weil es die guten Hirnströme fördert, sondern weil Musik unsere Gefühle anspricht.

Ein Instrument zu erlernen ähnelt in gewisser Weise einer Psychoanalyse-Sitzung: Auch in der Psychoanalyse hat man sozusagen den „Lehrer“, also den Psychoanalytiker, hinter sich, der sich für einen interessiert. Meine Psychoanalytikerin und mein Psychoanalytier haben mich gelehrt, meine Gefühle wahrzunehmen und auf dem eigenen inneren Gefühlsinstrument zu spielen. Heutzutage finden viele Therapien in Gruppen statt. Das Schöne der Musik lässt sich zwar besonders im Orchester erfahren, doch die wertvolle Basis (manchmal leider auch das Schreckliche) ist doch oft die Eins-zu-Eins-Beziehung zu einem Lehrer.

Auch als Erwachsene können wir noch ein Instrument erlernen. Und wenn wir einmal sehr gut spielten und alt werden, dann können wir vielleicht Freude in traditionellen Musikgruppen finden.

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Links:

Traditionelles: Kobenzer Streich bei den Wirtshausmusikanten:
Ich tu was ich will (I tua wos i wü)
www.youtube.com/watch?v=-F4u0zwIdOA

Beispiel einer Suzuki-Querflötenstunde
Youtube

Dieser Beitrag erschien erstmals am 25.6.2016
Aktualisiert am 25.7.2025

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