Psychoanalyse: Zwei Körper in einem Raum: Atemgeräusche und Berührungen

Es ist still. Nur der Atem geht. Einer schlägt die Beine übereinander. Einer streicht sich mit der Hand durch das Gesicht. Schlucken. Die Uhr tickt. Ein Räuspern. Darmgeräusche. Spannung auf der Haut. Leichte Übelkeit. Schwindet wieder. Wechselt mit Wohlgefühl. Die Ohren lauschen. Die Augen geschlossen. Wieder offen. Wo sind die Grenzen? Über dem Körper eine Schicht, die man nicht sieht. Ob der andere wohl darauf blickt und starrt und beobachtet? Ob er nur schaut? Oder sich lustig macht? Ob er gleich angreift – im Guten wie im Bösen? Oder gar schläft?

In der Psychoanalyse ist es oft ganz still. Doch eines kann man hören: Den Atem des Analytikers und den des Patienten. Es kann sich unbehaglich anfühlen, wenn es zum Schweigen in der Psychoanalyse kommt. Manchmal kann man gar nicht so richtig sagen, warum. Manchmal sind es die Geräusche der Stille, die Angst machen. Es werden Phantasien geweckt: Der Atem des Analytikers kann Geborgenheit bedeuten und beruhigen. Er kann aber auch beunruhigen, weil man merkt: Ich bin nicht allein. Man fühlt sich vielleicht beobachtet. Und schließlich kann der Atem des Analytikers an die Sexualität erinnern.

Die Assoziation zwischen Sexualität und Atmung kommt bei vielen recht schnell, aber es ist schwer, darüber zu sprechen. Doch glücklicherweise soll man ja alles sagen, was einem durch den Kopf geht. Es ist ein schambesetztes Thema und es mag sich peinlich anfühlen, doch sobald du dich entschließt, darüber zu sprechen, bist du vielleicht überrascht, wie du zu dieser Assoziation kommst und welche Themen sich sonst noch daraus ergeben.

Berührungen

„In der analytischen Behandlung geht nichts anderes vor als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt.“ Das sagte Sigmund Freud 1916 in seinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse – Die Fehlleistungen“ (GW Band 11, Projekt Gutenberg). Die Psychoanalytiker Sandor Ferenczi, Michael Balint und Donald Winnicott berührten ihre Patienten sehr wohl. Ferenczi und Freud hatten deswegen heftige Auseinandersetzungen.

„Psychoanalytiker“ ist keine rechtlich geschützte Berufsbezeichnung. Die Ausbildungswege zum Psychoanalytiker sind sehr verschieden, daher kann es in Psychoanalysen auch alles Mögliche geben. Psychoanalytiker der DPV berühren ihre Patienten in der Regel nicht. Außer dem Händeschütteln zur Begrüßung und zum Abschied gibt es keine Berührungen.

In den Ethikrichtlinien der DPV (2008) heißt es: 3. Abstinenz „Psychoanalytische Tätigkeit bedarf einer Kompetenz zur gesicherten Einhaltung von Disziplin und Abstinenz in allen sprachlichen und körperlichen Äußerungen. Verbale Angriffe (z.B. taktlose und kränkend-entwertende Äußerungen) beschädigen die psychoanalytische Arbeit ebenso wie körperliche Übergriffe. Psychoanalytiker sind deshalb verpflichtet, ihre Kompetenz und ihre persönliche Autorität nicht zur Befriedigung eigener narzisstischer, erotischer oder aggressiver Bedürfnisse zu missbrauchen. Die Verpflichtung zur Abstinenz gilt auch über die Beendigung der analytischen Arbeitsbeziehung hinaus.“

Der Psychoanalytiker Jörg Scharff (DPV) hat auf den 56. Lindauer Psychotherapiewochen („Berühren nd berührt werden“, LPTW, 2006) einen Vortrag zum Thema „Körperliche Berührung in der psychoanalytischen Situation“ (PDF) gehalten.

Psychoanalyse wirkt auch auf den Körper

Jörg Scharff erklärt, dass die Psychoanalyse auch den Körper mit einbezieht: „Gerade dadurch, dass alle körperlichen Vorgänge und damit verbundenen Beziehungsphantasien zu Wort kommen können, bietet die Psychoanalyse dem Körperlichen, das in Sprache gefasst und so mit Worten berührt werden kann, einen weiten Entfaltungsraum.“

„Allein die bloße Verbindung zwischen zwei Menschen führt zur Synchronisation (der Körpervorgänge).“ | „According to this explanation, the mere connection between objects creates synchrony between these objects.“ (Goldstein-Studie, 2017)

Berührung ist keine Lösung

Oft können Worte nicht gefunden werden, da könnte eine Berührung doch die Lösung sein, oder? Scharff macht deutlich, warum das nicht so einfach ist: Ein Analytiker legte seine Hand auf die Couch und bot seinem aufgewühlten Patienten an, diese Hand zu nehmen, wenn er es bräuchte. Das klingt gut. Doch Scharff fragt kritisch: „Ist sich der Psychoanalytiker auch immer genügend klar, dass sein Patient sich vielleicht unfähig oder sogar schuldig fühlt, wenn er die gut gemeinten Angebote seines Behandlers nicht annehmen kann? (Küchenhoff 1990, S. 27 f.)“

Auch geht Jörg Scharff darauf ein, dass der Wunsch des Patienten, berührt zu werden, gleichzeitig den gegenteiligen Wunsch enthalten kann. Scharff fragt: „Ist er (der Behandler) sich auch klar, dass vor allem bei bestimmten Borderline-Patienten Berührung zwar unter Umständen ersehnt, gefordert, eingeklagt wird, aber im gleichen Atemzug auch als intrusiver Akt eines grenzüberschreitenden Objekts gefürchtet wird?“

Körperliche Berührung kann dazu dienen, sich das Seelische vom Leib zu halten

Eine körperliche Berührung sollte eigentlich Nähe herstellen, doch kann sie das Gegenteil bewirken. Scharff gibt zu bedenken: „Ist auch immer gesagt, dass das, was einerseits so nah erscheint, nicht letztlich doch ein Gestus ist, mit dem der Analytiker seinen Patienten abspeist und ihn sich seelisch vom Leib hält? … Auch die Inszenierung des alten Scheiterns, der alten Traumatisierungen braucht ihren Platz …

Doch auch das Nicht-Berühren kann Zweifel hervorrufen: Es könne durch das „nicht gewährende Verhalten“ die „Phantasie eines Errettetwerdens“ und eine „suchtartige Abhängigkeit vom Analytiker aufrechterhalten“ werden, so Scharff.

Mit vier Ohren hören, mit vielen Fantasien berührt werden

Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun (Wikipedia) prägte das Bild von den „vier Ohren“ (Wikipedia), mit denen wir Gesagtes hören. Jeder Satz kann eine Sachebene, einen Appell, eine Selbstoffenbarung und eine Beziehungsseite enthalten. Der Satz „Hier müsste mal gesaugt werden“ spiegelt das wunderbar wider. Bei einer Berührung ist es nicht anders: Sie kann viele Informationen enthalten. Wie der Patient eine Berührung in der Fantasie verarbeiten würde, ist nicht vorauszusehen.

Jörg Scharff sagt: Es gibt „also nicht einfach die Möglichkeit, über die körperliche Berührung „ganz unmittelbar“ zu kommunizieren – was übrigens für jeden anderen Kommunikationsmodus auch gilt. Es geschieht auf der fantasmatischen Ebene immer mehr, als die beiden Beteiligten im Moment realisieren können.“

Der Dritte ist der Anker

In der Psychoanalyse sind zwar nur zwei Menschen in einem Raum. Doch so, wie der Patient vielleicht Freunde im Rücken hat, so kann sich der Analytiker mit seinen Kollegen austauschen. Doch es können Situationen entstehen, über die auch der Analytiker nicht leicht mit anderen sprechen kann. Zu peinlich könnte ihm sein, was ihm da passiert ist, was er gesagt hat oder wie er den Patienten eben doch berührt hat. Scharff: „Der Bezug zu einem Dritten, für den die psychoanalytische Kollegengruppe steht, ist dabei essenziell. Wer bei sich feststellt, dass er über das, was zwischen ihm und dem Patienten geschieht, anderen nicht berichten kann, sollte dies als ernsthaftes Warnzeichen verstehen.“

Berührung kann möglich werden, gehört aber eigentlich nicht dazu

Die Berührung gehört also nicht zur psychoanalytischen Methode. Scharff formuliert: „Auch wenn der Psychoanalytiker sich einer spontanen Reaktion nicht verschließen mag, wird er in den meisten Situationen doch eine methodisch bedingte Zurückhaltung üben, was die direkte körperliche Berührung angeht. Für ihn gibt es die Berührung als ein mögliches ‚Ereignis‘, das im analytischen Rahmen geschehen kann, aber es gehört nicht explizit zum Rahmen selbst.“

Zwanghaftes Ablehnen von Berührung führt nicht weiter

Das absolute Ablehnen der Berührung kann jedoch ebenfalls zum Problem werden. Scharff sagt: „Eine phobische oder defensiv vom Über-Ich geleitete Einstellung verhindert nämlich gleichfalls einen professionellen Umgang mit dem Thema der körperlichen Berührung. … Eine allzu rigide Tabubildung könnte sich sogar dahin auswirken, dass der Psychoanalytiker noch nicht einmal Fantasien über Berührung zulässt und damit das Spiel seiner Gegenübertragung einengt, was für die Behandlung durchaus kontraproduktiv wäre – ganz egal wie man sich dann im Einzelfall letztlich entscheidet.“

Zuletzt erinnert Scharff daran, dass nicht nur das Tun, sondern auch das allzu strenge Unterlassen ein Agieren sein kann. Er sagt: „Ob man nun berührt oder nicht, vor einem Agieren in der einen oder anderen Richtung ist niemand geschützt.“

Die Verantwortung des Psychoanalytikers

Allein Fantasien über Berührungen haben Einfluss auf die Kommunikation: Sie können als gefährlich erlebt werden, sodass der Patient sich nicht traut, zu sagen, was ihm durch den Kopf geht. Der italienische Psychoanalytiker Vincenzo Bonaminio, pinterest, hat auf der DPV-Herbsttagung 2015 hierzu einen Vortrag gehalten: „Ich konzentriere mich auf dieses Thema, weil mich die Dynamik der Körper des Analysanden und des Analytikers im Behandlungszimmer interessiert sowie die Tatsache, dass sie immer kurz davor sind, einander zu berühren, aber ohne sich je zu berühren“, sagt Vincenzo Bonaminio. Und obwohl sexuelle Themen und die Psychoanalyse in enger Beziehung stünden, spiele die Sexualität in der zeitgenössischen Psychoanalyse eine immer geringere Rolle.

Der Körper spricht mit

In jeder Psychoanalyse spricht auch der Körper mit: Da schweigen Analytiker und Patient, doch der Magen knurrt. Denkt der Patient nach, knibbelt er an seinen Nagelhäutchen. Auch das Kauen auf der Innenseite der Backen oder der plötzliche Drang, auf die Toilette zu gehen kann eine Bedeutung haben. Fühlt der Analytiker sich unwohl, rutscht er auf seinem Sessel hin und her. Der Analytiker deutet das, was der Patient sagt. Aber soll er auch das deuten, was der Patient mit seinem Körper zeigt? Eine schwierige Frage. Der Patient könnte sich leicht ständig beobachtet und verfolgt fühlen.

Bonaminio erzählt, wie er einmal einen schweigenden Patienten darauf ansprach, dass er ja seine Finger ständig bewege. Daraufhin sagte der Patient: „Wenn Sie anfangen, solche Sachen zu deuten, muss ich solche Bewegungen dahin verlegen, wo sie nicht zu sehen sind.“ Bonaminio hat einen schönen Ausdruck für die Beziehung zwischen den beiden Körpern im Behandlungsraum gefunden. Er nennt sie „die geheime Verflechtung von Körpern im analytischen Setting“.

Die Spannung

Viele Patienten, die darauf warten, dass der Analytiker ihnen die Tür öffnet, sind angespannt. Auch der Analytiker kann nervös sein. Der Analytiker Wilfred Bion beschrieb es so:

„Wenn zwei Persönlichkeiten im analytischen Setting aufeinander treffen, entsteht ein emotionaler Sturm.
Haben sie ausreichend Kontakt, um einander wahrzunehmen oder sogar ausreichend Kontakt, um einander nicht wahrzunehmen, so entsteht durch die Beschäftigung dieser beiden Individuen miteinander ein emotionaler Zustand.“ (Bion: Making the best of a bad job. 1979: S. 321).

Bonaminio schreibt: „Ähnlich wie das Aufeinanderprallen der Atome führt der Zusammenprall der Körper zu einer Explosion psychischer Energie.“ Es sei Aufgabe des Analytikers, eine symbolische Kommunikation zu ermöglichen, die ohne Grenzüberschreitungen (bildlich: „Blutsaugen, Transfusion, Penetration“) oder dem „Zufügen von Verletzungen“ auskommt.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Life of Breath:
A medical humanities research project exploring breathing and breathlessness (2015-2020)
lifeofbreath.webspace.durham.ac.uk/

Oriana Walker & Arthur Rose:
The Forgotten Obious: Breathing in Psychoanalysis
In: The Life of Breath in Literature, Culture and Medicine: Seiten 369-390
Open Access, 2.10.2021, palgrave macmillan
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-74443-4_18

Jörg M. Scharff:
Körperliche Berührung in der Psychoanalyse
PiD – Psychotherapie im Dialog 2006; 7(2): 133-139
DOI: 10.1055/s-2006-932624
www.thieme-connect.com/…

James L. Fosshage:
The Meanings of Touch in Psychoanalysis
A Time for Reassessment PDF

Josef Breuer (1842-1925):
Die Selbststeuerung der Athmung durch den Nervus vagus
Self-steering of respiration through the nervus vagus
Publication: 1976
Google Books

André Green:
Hat Sexualität etwas mit Psychoanalyse zu tun?
Psyche, 1998, 52(12), 1170-1191

Bion, WR (1979):
Making the best of a bad Job.
In: Bion in New York und Sao Paulo
Karnac Books, London

Winnnicott, DW:
A Point in technique (undatiert)
In: Winnicott, C., Shepher, D., Davis, M.:
Psychoanalytic Explorations.
Karnac Books, London 1989

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 11.11.2022
Aktualisiert am 2.12.2025

One thought on “Psychoanalyse: Zwei Körper in einem Raum: Atemgeräusche und Berührungen

  1. Schnupperstunde sagt:

    Und nicht zu vergessen der Geruch!

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