Malignes Introjekt und Täterintrojekt: was tun mit dem Bösen in uns?

„Sagen Sie mir bitte, wie ich es los werden kann!“, sagen manche. Man will ES – oder auch „Das“ genannt – nicht haben. Es scheint hartnäckig in der Psyche zu sitzen wie ein maligner Tumor. Mit gutem Willen kommt man nicht dagegen an. In manchen Lebensphasen erscheint es überstark, in anderen könnte man meinen, es sei weg: das sogenannte „maligne Introjekt“.
Manche Psychoanalytiker meinen damit so etwas wie einen Fußabdruck z.B. der Mutter, den sie mit Gewalt in die Seele des Kindes gesetzt hat. Manche Mütter „drückten“ ihre Kinder wirklich mit Gewalt. Das lässt sich in der Erinnerung körperlich fühlen. Wir kennen aber auch den inneren Angreifer, der sagt: „Du wirst schon sehen, was Du davon hast!“
Das innere Störende, Drängende und Bedrohliche kann extrem stark werden. Du fühlst dich selbst vielleicht als böse. Es lässt sich nicht verhindern, dass du dich vielleicht bewegst wie diene Mutter. Vielleicht hast du einen ähnlichen Körper wie sie oder du hörst in der eigenen Stimme ihre Stimme. Vielleicht spürst du das vermeintliche „maligne Introjekt“ wie eine innere Gefahr, eine unbestimmte böse Kraft oder wie eine Mutter oder einen inneren Vater, die oder der in dir sitzt und sich weder verjagen noch bekämpfen lässt. „Integrieren“ solle man das Störende, heißt es, doch wie soll das gehen?
Es kann gehen, indem du dich immer wieder damit auseinandersetzt und es immer besser kennenlernst.
Du kannst „es“ immer besser zuordnen, verorten oder auch Bilder oder Namen dafür finden, also es symbolisieren. Jeder kämpft anders mit seinen inneren Objekten, die ihn stören oder verfolgen, mit seinen „malignen Introjekten“. Andere wiederum sagen, dass es so etwas wie ein „malignes Introjekt“ gar nicht gibt. „Es ist, als wäre jemand da, der nach mir grabscht und mich quetscht, nur, weil er mir das Gute nicht gönnt.“ Dies ist schon ein gereiftes Bild. Bedrohlicher ist oft das Gefühl, das vorher da war: „Da ist irgendwie so eine innere (oder äußere) Kraft, die mich ergreift und mir schadet.“
Wenn das „Introjekt“ zum „Objekt“ wird, fühlen wir uns meistens erleichtert, weil wir dann ein greifbares, wenn auch phantasiertes, Gegenüber haben. Früher war dieses Gegenüber echt, z.B. war es unsere Mutter.
Ein Stück Material?
Man kann ja mal die Phantasie ein wenig spielen lassen: „Fötuszellen in Mutters Hirn“ – so betitelte der Deutschlandfunk (2013) seine Nachricht über die Studie von William Chan und Kollegen (2012), die männliche DNA im Gehirn von Jungs-Müttern fanden. Die Forscher des vermuten, dass während der Schwangerschaft winzige DNA-Teile vom männlichen Fetus in das Blut der Mutter und dann in ihr Gehirn gelangt sind. Genetisches Material und Zellen werden während der Schwangerschaft zwischen Mutter und Kind ausgetauscht (Lo et al., 2000). Also gelangt mütterliches Material auch in das Kind. Da kann das Bild entstehen, dass das „maligne Introjekt“ tatsächlich irgendwie in einem sei wie die Gene der Mutter, die die Augenfarbe mitbestimmt haben, und dass man diesem Introjekt hilflos ausgeliefert sei.
Mikrochimärismus = Das Überleben fremder Zellen im eigenen Körper. Im Gegensatz zu früheren Vorstellungen ist die Plazenta anscheinend doch keine absolut dichte Grenze zwischen Mutter und Kind. Offensichtlich können darüber mütterliche Zellen ins Kind und kindliche Zellen in die Mutter gelangen.
„Ich habe oft Angst davor, dass die Seele des anderen in mich eindringen und mir schaden könnte“, sagt eine Patientin.
Todestrieb und Lebenstrieb
Babys haben Hunger. Und die meisten Babys haben einen unstillbaren Lebensdrang. Doch in jedem Menschen wohnt auch der Drang, zu zerstören – zum Beispiel, wenn er in Not ist. Oder es drängt ihn, zu sterben, wenn sein Leiden zu groß wird. Der Lebenstrieb ist meistens stärker als der Todestrieb/Zerstörungstrieb und der Wunsch stärker als der Zauber. Aber doch gibt es auch den zerstörerischen Trieb in uns – eine Lust, Dinge kaputtzumachen, wie wir sie bei Kindern stark beobachten können: Manche bauen ihre Sandkastentürme auf, um sie danach mit großer Lust zu zerstören.
Bei Erwachsenen zeigt sich diese Lust an der Zerstörung oft in fiesen Witzen oder in der Lust, sich brutale Filme anzuschauen. Auch die Sexualität ist eine Mischung aus Zärtlichkeit und Ansätzen von Gewalt. Wenn ein Unwetter oder Gewitter „große Verwüstung“ angerichtet hat, denken wir manchmal insgeheim: „Och, hätte ruhig noch schlimmer sein können.“
Der Zerstörungstrieb, der in uns ist, kann genährt werden. Wer in die Ecke gedrängt wird, übersehen wird, wer viel Hass erfährt, sich nicht gesehen fühlt, der hat einen größeren Zerstörungstrieb als jemand, der in Ruhe gelassen wird, geliebt wird und der satt ist. Auch dieser Zerstörungstrieb als Reaktion auf eine innere Bedrohung kann als etwas Fremdes in einem selbst erlebt werden, das man nicht haben will – eben als ein „malignes Introjekt“, als käme es von irgendwo anders her. Insbesondere ein grausames Über-Ich kann uns innerlich so angreifen, dass wir uns ganz „schachmatt“ fühlen. Das eher „nicht-körperliche“ Über-Ich greift unser eher körperliches Ich an, sodass es auch zu Herzschmerzen, Bluthochdruck und anderen Symptomen kommen kann.
Was hilft? Durch mehr Wissen um diese Zusammenhänge, durch einen guten Partner und mehr Lebenserfahrung oder auch durch eine Psychoanalyse kann das übermächtige grausame Über-Ich oft etwas mehr zur Ruhe kommen und gnädiger werden.
Eine Lebensaufgabe
Das Ringen um Gut und Böse, um „Fremd und Selbst“ in uns wird in vielen Lebensphasen immer wieder spürbar, zum Beispiel dann, wenn Entscheidungen oder Entwicklungsschritte anstehen. Alle Märchen und Mythen handeln von diesen Kämpfen. Der Weg zu einer neuen Partnerschaft ist oft besonders gepflastert mit inneren Kämpfen, weil er auch die Trennung von der alten Welt, insbesondere von den Eltern bedeutet.
Das Modell des malignen Introjekts scheint manchmal hilfreich zu sein – man fühlt sich, als hätte man ein „gutes Selbst“, das Opfer von zerstörerischen Kräften geworden ist. Diese Kräfte scheinen manchmal untrennbar mit dem Selbst verbunden zu sein oder irgendwie in einem „drinnen“ zu sein.
Manchmal fühlt es sich an, als würde das Selbst bösartig von außen angegriffen, z.B. durch böse Gedanken der Mutter. Wenn ich regelmäßig gewaltsam gequält wurde, dann kamen die „Eindrücke“ vielleicht sogar physisch ursprünglich von außen und wurden in Form von Erinnerungen oder auch Körperverletzungen Teil des Selbst. All dies genau zu differenzieren, ist oft extrem schwierig. Es fühlt sich zeitweise vielleicht alles wie ein böser Klumpen an – wie ein maligner Tumor, in dem normales und bösartiges Gewebe miteinander vermischt sind.
Ein kleiner Junge erzählte mir einmal, dass er viele innere Freunde hat, aber einer dieser Freunde sei immens böse. Er sei so stark, dass er sogar Steine zerschlagen könne. Man müsse höllisch aufpassen, denn diese Figur könne sich auch ganz schnell drehen und dadurch weitere Sachen kaputtmachen. Als ich ihn fragte, was er denn gegen diesen bösen Freund mache, sagte er: „Er vertraut mir jetzt. Ich muss ihn führen.“
Eine Allergie auf das Gute
Traumatisierte Menschen reagieren manchmal paradox: Auf einen guten Menschen reagieren sie sozusagen „allergisch“, weil Freundlichkeit, Berührungen und Zärtlichkeit in ihnen unangenehme Gefühle und Skepsis auslösen. Das „Gute“ scheint für uns manchmal etwas Unerträgliches, fast etwas Schlechtes zu sein. Wir finden es manchmal selbst befremdlich, dass wir das Gute angreifen müssen. Unser oberstes Ziel ist es, uns zu schützen vor den neidischen Menschen da draußen bzw. vor der neidischen Mutter, die einst draußen war, jetzt aber im Inneren kritisch Wache hält. So möchte man sich quasi „impfen“ gegen den phantasierten Angriff, indem man schon von vornherein etwas tut, das einen wieder in ein schlechteres Gefühl oder in eine schlechtere Position bringt. Was unbewusst als Schutz gedacht ist, führt jedoch in eine Isolation.
Hier könnte man eine Verbindung zur körperlichen Abwehr herstellen. Das Modell vom „malignen Introjekt“ hat mit der Immunologie eine Menge gemeinsam. Zum Beispiel sind bei der Virus-Hepatitis (Leberentzündung) nicht nur die Viren das Problem, sondern es ist die körpereigene Abwehr, die sozusagen über das Ziel hinausschießt und das eigene Körpergewebe – in guter Absicht unbeabsichtigt – zerstört. Die körpereigene Abwehr ist nicht „böse“. Es kommt etwas von außen und das Immunsystem reagiert. Doch es reagiert zu sehr.
Wenn wir von dem malignen Introjekt überwältigt werden, sprich, wenn unser Körper wieder mit Kranksein und unsere Seele mit depressivem oder suizidalem Druck reagiert, dann haben wir das Gefühl, nichts im Griff zu haben. Wir meinen, es kommt innerlich eine Krake, die uns in Beschlag nimmt, ohne dass wir irgendetwas dagegen tun könnten.
Zwischen handhaben und ausgeliefert sein
Je nachdem, in welcher Verfassung wir sind, können wir spüren, dass wir selbst das Schlechte in uns „machen“. Dann können wir aufhören damit. Manchmal aber auch spüren wir, dass das Schlechte in uns quasi tobt. Wir haben dann anscheinend oder scheinbar gar keinen Einfluss darauf. Wir können es jedoch beobachten. Wir können zurückweichen, auch, wenn wir meinen, wir würden dann sterben.
Manchmal ist es extrem hilfreich, nicht zu reagieren und zu schauen, was dann passiert. Einen Reflex zu unterdrücken, kann wie eine unmögliche Aufgabe erscheinen. Und doch kann es klappen: Man dachte, man würde sterben, wenn man nicht reagiert, aber der innere Feind brennt sozusagen aus und zieht sich zurück. Man findet sich auf einmal befreit wieder.
So kann es manchmal funktionieren – andere Male hilft vielleicht gar nichts, außer Abwarten oder Sterben. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Herzinfarkte die Folge solcher Mechanismen sind, solcher inneren „Drücke“, die nicht mehr auszuhalten oder zu überleben sind. Dann wieder denke ich ans Yoga und an das beständige Üben und hoffe, dass die Ausdauer ihre gute Wirkung zeigt.
Der Begriff „malignes Introjekt“ wurde von dem Psychoanalytiker Hans Müller-Braunschweig (1926-2014) in den 1970er Jahren geprägt. (Siehe Müller-Braunschweig: „Zur Genese der Ich-Störungen“, Psyche 1970, Psychosozial-Verlag)
Der Psychoanalytiker Paul Williams schreibt hierzu; „Der Patient muß während des Prozesses, in dem Inkorporation und Identifizierung rückgängig gemacht werden, möglicherweise eine Phase der psychotischen Verwirrtheit ertragen. … damit der weiteren Zerstörung des psychischen Funktionierens Einhalt geboten und die Persönlichkeitsentwicklung wieder aufgenommen werden kann, muss dieser Fremdkörper, auf den der Patient nicht verzichten zu können glaubt, weil er ihn als Teil seines Selbst erlebt, entfernt werden.“ Williams, Paul: Einverleibung eines invasiven Objekts
Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse, 2005, 59(49): 293-315 (Anmerkung Voos: Das finde ich ein sehr schwieriges Konzept – wie soll das gehen? Aus meiner Sicht hilft es, das Ich zu stärken und das maligne Introjekt „einschlafen“ zu lassen.)
Das verstopfende Objekt
Jeffrey Eaton schreibt: „Chronic self-attack, including attacks on linking, blocks the growth of a sense of personal agency that would ordinarily allow a person to receive help and to cooperate in his or her own analytic transformation. According to W. R. Bion, some patients give evidence of living with an internal object that is ego-destructive and that operates as a projective identification rejecting object. Bion names this ego-destructive internal object an obstructive object.“
Frei übersetzt: Chronische Selbstzerstörung, einschließlich der Angriffe auf das Schaffen von Zusammenhängen, blockiert das Wachstum eines Sinnes für Autonomie. Dieser Sinn, selbst agieren zu können, würde dem Menschen helfen, Hilfe zu bekommen und an seiner eigenen Transformation in der Analyse mitzuarbeiten. Doch manche Patienten leben anscheinend mit einem inneren Objekt, das Ich-zerstörerisch ist und das funktioniert wie ein zurückweisendes Objekt, das ins Innenleben aufgenommen wurde (und auch in der Außenwelt immer wieder vorgefunden wird, z.B. in der Wahrnehmung, andere Menschen seien zurückweisend). Solch ein ichzerstörendes inneres Objekt nannte Bion ein ‚verstopfendes Objekt‘. Eaton, Jeffrey L. (2005): The obstructive Object, Psychoanalytic Review; New York Bd. 92, Ausg. 3, (Jun 2005): 355-372, www.proquest.com/docview/195066796
Wird ein Kind körperlich gequält, wirkt das Körpergefühl weiter fort. Das Kind wird sich später selbst manchmal so behandeln, wie es einst von Vater oder Mutter behandelt wurde. Es wird sich vielleicht auch Freunde suchen, die es ähnlich behandeln. Unbewusst hat sich das Kind den gewalttätigen, überkritischen und nicht wohlwollenden Elternteil zu eigen gemacht – der „schlechte Vater“ oder die „schlechte Mutter“ bzw. die Kraft, die von ihnen ausging, ist zum sogenannten „malignen Introjekt“ geworden (maligne = bösartig, Introjekt = etwas Hineingeworfenes). Manche sprechen auch vom „Täter-Introjekt“.
Daneben besteht auch noch das eigene „Böse“ und Aggressive, also die Seite in uns, die geweckt wird, wenn wir Hunger haben oder schlecht behandelt werden.
Manchmal befürchten wir vielleicht den Neid des inneren bösen Objekts und so lassen wir es uns schlecht gehen. So hast du das Gefühl, dass du das neidische Objekt in dir selbst zähmen kannst. Hauptsache ist jedenfalls, dass man sich für die Glücksmomente bestraft. Das alles passiert meistens unbewusst. Du sagst wahrscheinlich nicht: „Oh, da habe ich die strafende Mutter in mir aufgenommen.“ Sondern du kannst dir vielleicht eine lange Zeit dein Unglück nicht erklären – und bist „wunschlos unglücklich“.
Bewusstwerdung heißt noch nicht „Ende des Kampfes“, aber es ist ein gutes Mittel
Wir wollen „die böse Mutter“ in uns los werden. Im Märchen kann die „böse Hexe“ einfach verbrannt werden. Aber im echten Leben ist das nicht so leicht. Das Selbst kämpft immer wieder mit diesem Fremdkörper, diesem Introjekt – auf verschiedene Weise. Mal gewinnt das „nicht-fremde Selbst“, mal das „maligne Introjekt“, das wie ein Fremdkörper erlebt wird. Manchmal versuchen wir einfach, das maligne Introjekt irgendwie zu zähmen und zu beruhigen.
„Falls du irgend Laut oder Gebrauch der Stimme hast, sprich zu mir. Falls irgendeine gute Tat zu tun ist, die dir Erleichterung und mir Heil verschaffen könnte, so sprich zu mir.“ (Horatio spricht zum Geist von Hamlets Vater.) William Shakespeare: Hamlet. Reclam 2014, 1. Akt, 1. Szene, S. 97) „… denn es ist unverletzlich wie die Luft.“ (S. 99)
Beim „Malignen Introjekt“ ist es vielleicht ähnlich wie bei der Frage nach dem Traum: Einerseits „machen“ wir ihn, andererseits überkommt er uns und wir haben keine Chance, ihn zu steuern. Diese Frage hängt unter anderem von der Schlaftiefe ab: Je tiefer wir schlafen, desto weniger Macht haben wir über unseren Traum. Vielleicht hängt die Frage des „Malignen Introjekts“ sozusagen mit der Tiefe unserer Schwäche zusammen, in der wir uns gerade befinden. Je schwächer wir uns fühlen, desto stärker das maligne Introjekt.
Der Psychoanalytiker Peter Kutter schreibt in seinem Buch „Affekt und Körper: neue Akzente der Psychoanalyse“ (S. 149), wie sich so ein „malignes Introjekt“ anfühlen kann: „Ein malignes Introjekt, das mit negativer Energie aufgeladen ist, bedroht das Selbst existenziell, will es beseitigen oder zerstören. Das Selbst wehrt sich – bei den gegebenen Macht-Ohnmacht-Verhältnissen an der Basis der Entwicklung – verzweifelt gegen die Übermacht des Introjekts und versucht sich zu behaupten, kämpft um sein Überleben. Im günstigsten Fall siegt es, im ungünstigsten Fall kapituliert es, gibt auf und unterwirft sich. Ein Kompromiss wäre die anhaltende Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Instanzen mit wechselndem Ausgang.“
Vielleicht brauchen wir das schlechte Objekt in uns
Vielleicht ist es ja auch so, dass wir ein malignes Objekt in uns manchmal brauchen. Vielleicht ist es ähnlich wie mit dem Todestrieb – er ist in uns und wird zum Leben benötigt. André Green schreibt über die Angst vor der Leere, wenn das böse Objekt in uns verschwindet:
„Wenn das schlechte Objekt seine Macht verliert, scheint es keine andere Lösung zu geben, als es wieder erscheinen zu lassen, in Form eines anderen Objekts, das dem vorhergehenden wie ein Bruder ähnlich ist, und mit dem das Subjekt sich identifiziert, um seine Auferstehung herbeizuführen. Es geht weniger um die Unzerstörbarkeit des schlechten Objekts oder um den Wunsch, sich mit seiner Hilfe der Kontrolle zu versichern, als um die Furcht, daß sein Verschwinden das Subjekt in dem Horror der Leere zurückläßt, ohne daß jemals an seine Ersetzung durch das immerhin disponible gute Objekt gedacht würde. Das Objekt ist schlecht, aber es ist gut, daß es existiert, selbst wenn es nicht als gutes Objekt existiert.“
Andre Green: Analytiker, Symbolisierung und Abwesenheit im Rahmen der psychoanalytischen Situation. Über Veränderungen der analytischen Praxis und Erfahrung. D.W. Winnicott zum Gedächtnis. Psyche, 1975, 29(6), 503-541, www.psychosozial-verlag.de/53789
Wie Peter Kutter schreibt, ist der Kampf mit dem malignen Introjekt eine „anhaltende Auseinandersetzung … mit wechselndem Ausgang“. Bei der buddhistischen Nonne Pema Chödrön fand ich einen schönen Ansatz: „Es geht darum, mit dem Kämpfen aufzuhören … Wie Milarepa (milareparetreat.org) den Ungeheuern, die seine Höhle besetzt hatten, sagte: ‚Wie schön, Euch Ungeheuer heute zu Besuch zu haben. Ihr müsst morgen wieder kommen. Wir sollten ab und zu ein Schwätzchen halten.‘ Wir beginnen, indem wir mit den Ungeheuern in unserem Geist arbeiten. Allmählich entwickeln wir genug Weisheit und Mitgefühl, um auch mit den Ängsten und Bedrohungen unseres Alltags vernünftig zu kommunizieren. Die tibetische Yogini Macig Labdrön (taramandala.org) übte sich furchtlos in dieser Sichtweise. Sie sagte, dass es in ihrer Tradition nicht üblich sei, Dämonen auszutreiben. Sie würden mit Mitgefühl behandelt. Der Rat, den sie von ihrem Lehrer bekommen hatte und den sie an ihre eigenen Schüler weitergab, lautete: Geh auf das zu, was dich abstößt. Hilf denen, denen du glaubst, nicht helfen zu können. Und begib dich an Orte, die Du fürchtest.“ Drei Methoden für die Arbeit mit dem Chaos
Pema Chödrön, 29.7.2017 https://youtu.be/hWYx3lTe4f4
Täterintrojekt
Unter „Introjekt“ versteht man etwas, das man von einem anderen in seine Seele aufgenommen hat. Das Introjekt ist eine Vorstellung von einem anderen Menschen, der sozusagen zum Teil des eigenen Selbst geworden ist. Es ist ähnlich wie mit der „Identifizierung“: Wenn ich mich mit dem Vater identifiziere, dann sage ich: „Ich will WIE der Vater sein.“ Wenn ich aber den Vater sozusagen psychisch verpeise, dann BIN ich der Vater, dann ist der Vater zu meinem Introjekt geworden (jactare = lateinisch: schleudern, werfen. Das Introjekt ist also das in mich Heingeworfene). Ein Täterintrojekt ist ein Teil des Täters, den wir uns zu eigen gemacht haben.
Wenn uns z.B. unser Vater immer geschlagen hat, dann übernehmen wir vielleicht seine grausame Seite und schlagen wiederum andere oder gar uns selbst. Wir können uns selbst so behandeln, wie uns einst der Täter behandelte. Dann kann man sagen: Das „Täterintrojekt“ ist in uns wirksam. Das Problem mit diesem Begriff ist jedoch oft, dass wir uns selbst aus der Verantwortung stehlen. Wenn wir uns also bildlich gesprochen selbst beißen oder schlagen, können wir sagen: „Das bin ja gar nicht ich, sondern das ist der böse Vater (oder der böse Vater-Anteil) in mir.“
Manchmal erleben wir unsere eigenen „bösen Kräfte“ als etwas Fremdes. Manche erleben das Böse in sich als so gefährlich, dass sie „schizophren“ werden und erleben: „Ich heiße Tim, doch derjenige, der die Flaschen zerschlagen hat, das war Kim.“ Doch letzten Endes sind wir selbst es, die aggressiv, grausam, gewalttätig und verletzend sind.
Wir sind wahrscheinlich so geworden, weil wir selbst grausam behandelt wurden. Auch die Täter selbst wurden nicht einfach so zum Täter. Andererseits gehören diese Seiten zum Menschsein dazu. Wenn wir jedoch bei grausamen Eltern groß wurden, haben wir nicht gelernt, diese Kräfte in uns wahrzunehmen, sie zu containen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen. Wenn wir kaum das Gefühl von Selbstwirksamkeit haben, dann glauben wir, dass „uns die Hand ausrutscht“.
Diese Wut hört niemals auf
Wenn wir wütend werden, dann erinnern wir uns an die ohnmächtige Wut unserer Kindheit und schlagen dann vollends zu. Der Drang, zu handeln, wird in unserer riesigen Wut riesig groß. Bei ausreichend guten Eltern haben Kinder keinen Grund, so übermenschlich wütend zu werden. Die Wut wird dort also nicht im Kind gezüchtet und nimmt nur „normale“ Ausmaße an. Wenn ich ausreichend gute Eltern hatte, dann wird meine eigene Wut in der Regel nicht so überwältigend. Wenn meine Wut jedoch schon als Kind so riesig war, dann brodelt sie in mir und überkommt mich. Dann wünschte ich manchmal, das wäre nicht ich selbst, sondern eben mein „Täterintrojekt“.
Die Frage ist also auch, ob wir unser „böses Verhalten“ als „ich-synton“ oder „ich-dyston“ erleben. Bei ichsyntonem Verhalten haben wir gar nicht erst das Gefühl, dass wir merkwürdig fühlen, denken oder handeln. Bei ichdystonem Verhalten spüren wir, dass das, was wir tun, irgendwie nicht wir selbst sind. Beispielsweise werden Zwangsgedanken oft als „Ich-dyston“ erlebt – so, als könnten wir nichts dafür. Die Therapie besteht oft darin, zu erkennen, wofür die Zwangsgedanken stehen: Zum Beispiel wollen wir mit unseren Zwangsgedanken oft unerwünschte Gefühle oder Phantasien wegdrücken. Je besser wir unsere inneren Mechanismen verstehen, desto besser können wir sagen: „Ja, das bin ich selbst, der das so tut, denkt und fühlt.“ Manchmal besteht therapeutischer Fortschritt jedoch auch darin, dass man auf einmal die eigenen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen in Frage stellen kann und bemerkt: „Das ist ja meine Mutter, die aus mir spricht“, oder: „Das will ich doch eigentlich gar nicht.“
Manchmal ist das „Täterintrojekt“ oder das „Maligne Introjekt“ mit dem eigenen Ich ganz eng verpappt. Vielleicht könnte man es so beschreiben: Manchmal merke ich körperlich und psychisch: „Da ist es wieder!“ Da ist dann diese Kraft in mir, die sich mich scheußlich fühlen lässt. Diese Kraft ist fast ungetrennt von mir selbst und doch scheint es, als wäre da eine dünne Pappschicht zwischen dieser Kraft und mir. Es ist dann vielleicht, als würde ich innerlich verbrennen oder als würde sich eine dunkle Flüssigkeit in mir ausbreiten oder als müsste ich mir weh tun, um ein Gegengift von außen gegen den inneren Schmerz bereitzustellen. Ich kann nichts tun außer zu warten, dass dieser Zustand vorübergeht. Dieser Zustand ist wie eine wachgewordene Erinnerung.
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- Todestrieb
Link:
Paul Williams:
Invasive Objects: Minds under Siege
Routledge 2010
www.taylorfrancis.com/books/9781135844929
amazon
Peter Kutter
Affekt und Körper: Neue Akzente in der Psychoanalyse
Vandenhoeck und Ruprecht 2001
M.I.P. Mitteldeutsches Institut für Psychoanalyse Halle e.V.
Psychotraumatherapie SPIM 30
Somatisch-Psychologisch-Interaktives-Modell in der Standardversion 30
für komplextraumatisierte/dissoziative Störungen
mip-halle.de/…
Ralf Vogt (Hrsg.):
Täterintrojekte. Diagnostische und therapeutische Behandlungsmodelle für dissoziative Strukturen.
Asanger, Kröning 2012
asanger.de…
Gaby Breitenbach und Harald Requardt:
Dissoziative Strukturen: Zeit und Bindungsbereitschaft
aerzteblatt.de, PP 11, November 2012, Seite 523
www.aerzteblatt.de/archiv/132453/Dissoziative-Strukturen-Zeit-und-Bindungsbereitschaft
„Ein Verdienst dieser Arbeit ist es, zu verdeutlichen, dass mit zunehmender Gewalt introjeziertes Material immer Ich-dystoner, unbewusster und immer weniger distanzierbar wird, so dass es sich eben tatsächlich um „fremdes“ Material handelt, das Menschen (von einem Täter) erzwungenermaßen in sich aufnehmen mussten.“
Vogt, Ralf (2004):
Beseelbare Therapieobjekte.
Strukturelle Handlungsinszenierungen in einer körper- und traumaorientierten Psychotherapie.
Gießen: Psychosozial-Verlag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 6.7.2012
Aktualisiert am 9.11.2025
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2 thoughts on “Malignes Introjekt und Täterintrojekt: was tun mit dem Bösen in uns?”
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Liebe Gabriele,
vielen Dank für Ihren bewegenden Kommentar. Meiner Meinung nach hilft bei Problemen, wie Sie sie schildern, die Psychoanalyse („Analytische Psychotherapie“ in der Sprache der Krankenkassen) tatsächlich am besten. Ich empfehle da besonders gerne die hochfrequente Psychoanalyse im LIegen auf der Couch mit vier Terminen pro Woche. Aus meiner Sicht lassen sich die heilsamen Effekte der Psychoanalyse bei sehr schweren Störungen nicht online erreichen, weil die körperliche Anwesenheit von Patient und Analytiker in einem Raum unerlässlich ist. Auch Unterbrechungen der Analyse sind bei so schwerem Leiden oft schwer für die Betroffenen auszuhalten. Stationäre Aufenthalte können aus meiner Sicht nicht mehr als einen Impuls bieten und Motivation sein für eine oft langjährige Psychotherapie danach.
Alle guten Wünsche!
Dunja Voos
Beim Lesen Ihres Artikels „Komplexe PTBS“ habe ich mich so sehr angesprochen gefühlt, dass ich mich erstmal mit kaltem Wasser regulieren musste.
Nach dem Lesen der Artikel
– Typ-2-Trauma
– Thought-Action-Fusion
– Malignes Introjekt
will ich nur noch laut „HIER“ schreien. Vor allem das destruktive Introjekt, die rasende Wut, die Vergeltung und alles vernichten möchte, Selbsthass und Schuld, vermiesen mir das Leben. Ich bin in analytischer Therapie (derzeit coronabedingt leider nicht engmaschig) und sehe wieder diesen riesigen Berg vor mir, den ich nicht mehr sicher bin, jemals überwinden zu können.
Gibt es Therapiekonzepte (auch stationär), die Sie für die o.g. Merkmale empfehlen würden?
Danke vorab und viele Grüße