Psychoanalyse und Musik: Warum im Himmel die Harfen sind
„Wenn ich singe, ist mein ganzer Körper beteiligt. In der Musik komme ich zur Ruhe“, sagt ein Geiger. „Wenn ich bei meinem Patienten sitze und in mich auf ihn einlassen kann, dann bin ich glücklich“, sagt ein Psychoanalytiker. Psychoanalytiker und Musiker empfinden das, was sie da tun, als Kunst. Es ist eine Freude, ein Spielen, ein Ausprobieren und auch ein Stück Freiheit.
Als Kind haben wir es uns so schön vorgestellt: „Ich werde Lehrer, Sänger, Schlagzeuger, Psychotherapeut.“ Und dann kommen wir mit der Realität in Berührung und der Traum zerfällt in abertausende Schnipsel oder wird gar zum Trauma. Musiker klagen über großen Konkurrenzdruck und wenig Anerkennung. Viele Psychoanalytiker und Musiker klagen besonders in der Ausbildung über finanzielle Nöte und Existenzangst. Das Geschäft ist ein unsicheres und man weiß nie, was morgen kommt und ob man es schafft.
So mancher findet am Ende nicht das vor, was er gesucht hat und wendet sich enttäuscht ab: „In der Musik geht es nicht mehr um die Musik!“ Als Psychoanalytiker ist man plötzlich unzähligen Abrechnungs- und Diagnosenummern ausgesetzt, schlägt sich mit Formularen und Gutachtern herum, fühlt sich von Supervisoren gekränkt und soll auf einmal vieles in ein Schema drücken, obwohl man sich doch einen Beruf ausgesucht hat, in dem es um Intuition geht.
Der Traum wird mit Realität vergiftet
Schon öfter habe ich von Musikern oder Psychoanalytikern Sätze gehört wie diese: „In der Ausbildung hat man mir meine Musik/meine Psychoanalyse kaputt gemacht.“ Wie kann es gelingen, sich unter dem Druck dennoch ein Stück Freiheit zu bewahren? Nach jahrelangem Träumen von seinem Beruf ist man besonders während der Ausbildung ständig mit Desillusionierung beschäftigt.
„Viele von ihnen (den Sängern) sind nicht auf die Rahmenbedingungen vorbereitet, die das System ihnen abverlangt“, sagt die Psychiaterin und Expertin für Musikerleiden Dr. Déirdre Mahkorn (siehe www.elisabethkulman.com/gastkommentar…). Die Sänger und Sängerinnen kämpften in einem System, „welches nicht immer respektvoll mit ihnen umgeht.“ Genau das kennen Psychoanalytiker auch. In der Musik und in der Psychoanalyse ist die Spanne zwischen „Traum, Kunst und Wirklichkeit“, zwischen „Erwartung und Realtität“ sicher besonders groß.
Wie geht’s?
In der Musik geht es wie in der Psychoanalyse (und beim Schreiben übrigens auch) unter anderem um Technik. Technik, Technik. Und dann immer wieder um den „Kampf“ mit Kollegen und Vorgesetzten. Wo bleibt da der „Freigeist“? Den findet man bei Lehrern und Vorbildern, die sich ihre innere Freiheit bewahrt haben. Sicher, das System könnte entschieden geschmeidiger werden. Mehr Vertrauen, weniger Kontrolle ist vielerorts vonnöten. Und doch findet man innerhalb ein und desselben Systems unterschiedliche Vorgehensweisen: Da ist Bäckerin A, die unter den Umständen X immer gehetzt wirkt. Bäckerin B gelingt es unter denselben Umständen, noch genügend Zeit für zufriedenstellende Gespräche mit Kunden zu finden.
Es kommt …
Nach dem mühseligen Erlernen von Techniken freut man sich, wenn man hier und da merkt, dass man „den Dreh“ raus hat. Auf einmal werden die Dinge leichter. Die Nummern sind auswendig gelernt und manchmal sogar praktisch. Irgendwann wird klar: An allem sind „nur“ Menschen beteiligt. Ruft man ärgerlich bei der Krankenkasse an, ist da eine freundliche Sachbearbeiterin am Apparat, die erklärt, dass sie auch nur den Zwängen von oben unterliegt. Lernt man den harschen Flötisten näher kennen, wird wieder deutlich, dass er auch er nur Angst um seine Stelle hat. „Der Mensch ist gut, nur die Leute sind schlecht“, sagte Karl Valentin. Da ist die Musik und die Psychoanalyse. Beides bleibt, auch wenn die Umstände schwierig sind.
Zarte Klänge
„Bei einer Panikattacke hilft es mir, wenn im im Radio überraschend eine Musik kommt, die mich anspricht“, erklärt eine Patientin. Es gibt tatsächlich Klänge, die uns rasch von unangenehmen psychsichen Zuständen befreien können. Wie die Seele da berührt wird, lässt sich nicht so genau sagen, doch häufig sind es insbesondere Klänge vom Xylophon, von der Zitter, vom Cembalo oder von der Harfe, die viele Menschen sehr ansprechen.
Wahrscheinlich lassen sich unzählige Erklärungen dafür finden, warum wir uns durch zarte Klänge beruhigen können. Doch es klappt nicht immer: Wenn wir eine Panikattacke haben, können wir uns noch so schöne Musik aussuchen – sie wird dann oft nicht helfen. Wichtig ist möglicherwesie der Überraschungseffekt: Wenn uns eine Melodie plötzlich begegnet, dann kann sie eine starke Wirkung haben.
Auch das Singen selbst kann beruhigen, denn Ohr und Kehlkopf (Stimmbänder) sind unmittelbar miteinander verbunden.
Die Polyvagaltheorie könnte eine von unzähligen Erklärungen sein. Über unser Ohr (insbesondere über das Trommelfell) können wir unseren Nervus vagus erreichen. Zarte Klänge können ihn manchmal erstaunlich rasch beruhigen – wie die Stimme der Lieder-summenden Mutter. Auch durch das Chanten im Yoga oder ähnliche Gesänge, die wohl in allen Kulturen bekannt sind, lässt sich Beruhigung herstellen. Kein Wunder, dass wir uns den Himmel voller Harfen vorstellen.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Links:
Ambulanz für Musikermedizin, Uni Düsseldorf
Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.7.2017
Aktualisiert am 21.11.2025
One thought on “Psychoanalyse und Musik: Warum im Himmel die Harfen sind”
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Als Praktikant habe ich am Praktikumsende ein Arbeitsvertrag als Polsterer bekommen, obwohl fuer mich klar war, dass ich auf dem zweiten Bildungsweg mein Abitur nachholen werde.
Auf diesem zweiten Bildungsweg habe ich dann irgendwann das erste Lehrjahr Elektrotechnik absolviert und man attestierte mir, sofort als Dreher (Zerspanungsmechaniker) in einem Industrieunternehmen anfangen zu koennen, da ich in Maschinenbau offensichtliches Talent bewies.
Irgendwann studierte ich Informatik, doch eigentlich galt damals schon meine Leidenschaft meiner Taetigkeit in einem Startup-Unternehmen und ebenso meiner ehrenamtliche Taetigkeit in Open Source Projekten.
Heute besitze ich vermutlich eine der groessten Pflanzensammlungen, mediteraner Pflanzen in Deutschland.
Bei alldem war es immer so, dass im beruflichen Kontext, egal was ich gemacht habe, Leidenschaft und Freigeist immer irgendwo in ein Korsett gepfercht wird. Das liegt vermutlich schlicht darin begruendet, dass in unserer Gesellschaft alles oekonomisiert wird.
Selbst die Pflanzensammlung ist irgendwo dadurch begrenzt, dass nicht unendlich viel Platz und Geld fuer den Unterhalt der Pflanzen vorhanden ist. Trotzdem habe ich da die groesste „kuenstlerische“ Freiheit.
Ich vermute selbst in einer Therapie wird Leidenschaft, Engagement und Freigeist eines Klienten relativ schnell an die 50 Minuten Grenze der jeweiligen Sitzung bzw. an die Grenze des jeweiligen Settings stossen. Warum sollte das dann fuer das Pendant, den Therapeuten, anders sein? :)