Sexueller Missbrauch in der Kindheit führt nicht selten zu einem langen Single-Leben. Auch Vojta-behandelte Kinder sind oft betroffen.

Ein strenges Gewissen, also ein strenges Über-Ich, kann einerseits entstehen, wenn ein Kind sehr streng erzogen wird. Andererseits kann es aber auch dann entstehen, wenn die Eltern die Grenzen zum Kind nicht einhalten, das heißt, wenn Vater und/oder Mutter das Kind z.B. sexuell missbrauchen. Viele missbrauchte Kinder leben oft mit Schuldgefühlen, weil sie das Gefühl haben, irgendwie den Missbrauch hervorgerufen zu haben. Sie sind selbst „beteiligt“ gewesen – daher das Schuldgefühl, das innerpsychisch logisch ist, jedoch trifft sie keine Schuld.

Natürlich entwickelt sich das kleine Mädchen auch sexuell und nähert sich dem Vater lustvoll an. Aber es ist Aufgabe des Vaters, „Nein“ zu sagen und der Spannung die Luft rauszunehmen, z.B. durch gemeinsames Toben und Lachen. Was passiert, wenn Eltern sich dem Geschehen völlig „freien Lauf“ lassen? Dann vermisst das Kind das „Nein“ der Eltern – und baut das „Nein“ in sich selbst auf. Dieses innere „Nein“ ist oft viel strenger als jedes äußere Verbot. Viele missbrauchte Mädchen verbieten sich später selbst, auf Jungen zuzugehen. Manche vermeiden es, sich attraktiv zu zeigen, weil sie die Befürchtung haben, dass sie allein schon durch ihr Hübschsein einen Mann bis auf’s Äußerste reizen könnten. Im speziellen Fall der Vojtatherapie, ist es oft die Mutter, die durch das Ausführen der Therapie sexuelle erregt sein kann. Seltener ist der Vater der behandelnde Elternteil.

Die Sehnsucht nach dem „Nein“, das von außen kommt

Ist das Mädchen erwachsen geworden, sehnt es sich nach einer eigenen Familie und Partnerschaft. Doch es kann passieren, dass die junge Frau sich selbst durch ihr „inneres Nein“ behindert. Es kann auch sein, dass sie Beziehungen durch ihr Verhalten so inszeniert, dass der potenzielle Partner „Nein“ sagt. Sie erfährt von Aussen endlich das „Nein“, nach dem sie sich so lange gesehnt hat, aber jetzt ist es Fehl am Platz – die Annäherung geht nicht über in eine Partnerschaft. Erst mühsam lässt sich lernen, sich achtsam anzunähern.

Missbrauch in der Kindheit kann dazu führen, dass der Zug im Erwachsenenalter ohne die Betroffene abfährt und sie allein zurücklässt, während die Freunde um sie herum Partnerschaften eingehen und Familien gründen.

Viele Betroffene erfahren erst in einer Psychoanalyse das beruhigende „Nein von außen“: Berührungen vom Analytiker gibt es nicht. Es ist entlastend zu merken, dass man selbst nicht mehr alleine auf alles aufpassen muss. Das kann bewirken, dass das „innere Nein“ lockerer wird. Es bedeutet: Der übergriffige Vater/die übergriffige Mutter von damals bleibt draußen. Doch der passende Partner darf endlich eintreten.

Nicht wenige Mädchen leiden darunter, dass sie als Kind zu viel sexuelle Atmosphäre um sich herum hatten. Sie sehnen sich dann nach einem sicheren inneren Raum. Sie fühlen sich möglicherweise löchrig und sind ständig damit beschäftigt, von innen die Löcher zu stopfen. Sie setzen einen Zaun um sich herum, damit die Sexualität draußen bleibt. Sexuelle Bemerkungen im Dunst einer aufgeladenen Atmosphäre, zufällig eine Hand, die komisch berührt, merkwürdige Geräusche – kommt das häufiger vor, kann das für ein Mädchen schlimme Folgen haben. Verwirrung und Misstrauen machen sich breit. Das Mädchen sehnt sich nach Ruhe und einem sicheren Hafen. Wo kann es hingehen? Wie kann es seine eigene Sexualität schützen?

Der Vater ist der Beschützer

Der gesunde Vater ist der Beschützer. Er ist es, der die Grenzen aufrecht erhält – als inneres Objekt auch ein Leben lang. Ein Mädchen kann zum gesunden Vater laufen und sich sicher sein, dass es bei ihm nur Schutz erhält. Es kann auch erregt sein – beim gesunden Vater erfährt das Mädchen, dass nichts passieren wird. Das gibt dem Mädchen Freiheit im eigenen Körper. Will das Mädchen den Vater „kess verführen“, weist der gesunde Vater das Mädchen in seine Schranken zurück. Das Mädchen kommt zur Ruhe. Die Tochter eines gesunden Vaters weiß: Es kann einschlafen und beschützt sein vom, aber auch vor dem Vater. Dem Mädchen wird nichts geschehen. Der Vater hält das Böse von draußen fern, er kennt aber auch seine eigenen Grenzen und kann seine eigenen Triebe beherrschen.

Sexueller Missbrauch bedeutet nicht immer offensichtliche Gewalt. Sexueller Missbrauch kann schon der erregte Blick des Vaters auf das kleine Mädchen sein. Es sind Bemerkungen zu Figur und zum Aussehen. Es sind komische Berührungen. Es ist das alkoholisierte, sexualisierte Klima, das krank macht. Wenn Du betroffen bist, fühltest Du Dich vielleicht schon in Deiner Jugend unwohl in Deiner Haut. Du littest vielleicht besonders stark unter Akne oder dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Vielleicht hast Du Dich aber auch kompensatorisch ganz besonders schick gemacht. Oder Du merktest, dass es Dir nur schwer gelang, die richtige Kleidung für Dich zu finden. Wo andere schon längst einen ersten Freund hatten, war für Dich noch lange nicht daran zu denken.

Oder aber Du hast Dich vielleicht auf „jeden“ eingelassen, um gegen Dein inneres Zaudern anzukämpfen – vielleicht in der Hoffnung, etwas Ungutes in etwas Gutes verwandeln zu können. Und als Erwachsene fühlst Du Dich vielleicht auf einmal einsam und beziehungslos.

Der Vater stand vielleicht nicht mehr als Vater zur Verfügung und zur Mutter konntest Du vielleicht mit Deinem Kummer nicht gehen. Vielleicht war es auch umgekehrt. Beide Eltern sind am Missbrauch beteiligt, auch wenn nur ein Elternteil aktiv handelt. Besonders Mütter fühlen sich häufig wie gelähmt in dem Wissen, dass der Vater die Tochter missbraucht. Es war vielleicht eine ganz merkwürdige Lähmung, die es Deiner Mutter tatsächlich unmöglich machte, dir zu helfen. Dennoch ist die Wut auf sie eine natürliche Folge dessen, was Du erlebt hast. Wenn du als Kleinkind die Vojtatherapie erlitten hast, fühlst du dich vielleicht vergewaltigt, obwohl es nie eine Vergewaltigung, so wie es die Menschen verstehen, gegeben hat.

Du fühltest Dich ohnmächtig, aber manchmal vielleicht auch auf eine merkwürdige Art allmächtig: Du dachtest, Du kannst alles aushalten. Dann wiederum kamen vielleicht Schuldgefühle und Du dachtest, der Missbrauch sei Deine Schuld gewesen. Dieses Scham- und Schuldgefühl wurde vielleicht dadurch verstärkt, dass die Missbrauchssituation auch bei Dir als Kind möglicherweise zur Erregtheit geführt hat. Dafür schämst Du Dich vielleicht zutiefst, doch es liegt in der Natur der Sache. Vielleicht hindern Dich die Erinnerungen an Deine Erregung sogar daran, Worte zu finden und Hilfe zu suchen. Vielleicht hilft Dir das Wissen, dass Deine mögliche Erregung etwas Menschliches und Natürliches war und ist.

Vieles wird mit Sexualität verbunden

(Auch Männer sind häufig von Missbrauch betroffen. Hier kann die Website von Norbert Denef hilfreich sein. Im Folgenden sind jedoch Beispiele für Gefühlslagen aus der Sicht betroffener Frauen beschrieben.)
Männer, die sich liebevoll annähern, werden leicht als „schmierig“ erlebt. Komplimente werden gedeutet als eine Falle. Alles ist Verführung. Die Frage lautet stets: „Was will der wohl von mir?“ Was andere tun oder sagen, bekommt leicht einen sexuellen Anstrich.

Für Opfer sexuellen Missbrauchs kann ein ganz normaler Arztbesuch zur Mutprobe werden, weil auch hier rasch (oft unbewusste) Gedanken an die Sexualität auftauchen.

Ekel ist leicht erweckt, weil alles schnell zu nah erscheint. Neutrale Alltagssituationen wie Essen oder Sport werden allzuleicht mit Sexualität verknüpft. Vielleicht fühlst Du Dich als Betroffene selbst „schmutzig“ und meinst, Du könntest niemals mehr richtig sauber werden. Hier hilft es Dir vielleicht, Dich über die Zeit mit der „natürlichen Schmutzigkeit“ vertraut zu machen. Schon seit der Antike heißt es: „Inter faeces et urinam nascimur“ – zwischen Stuhl und Urin werden wir geboren. Auch können reinigende Elemente im Alltag helfen, wie z.B. täglich morgens nach dem Aufwachen erst einmal ein Glas Wasser zu trinken oder frisch gewaschene Wäsche an der Luft zu trocknen, damit sie frischer riecht. Viele kleine Mini-Schritte können Dir zu mehr „Reinheitsgefühl“ verhelfen.

Die Weiblichkeit wird verhüllt

Die Anstrengung beginnt vielleicht schon bei der Kleiderwahl. Nicht selten kleiden sich ehemals missbrauchte Frauen wie graue Mäuschen. Vielleicht möchtest auch Du auf keinen Fall, dass ein Mann Deine attraktiven Formen wahrnimmt. Sonst kommt es Dir vielleicht direkt so vor, als würden die Männer gierig starren und Dir alles weggucken. Es dauert lange, bis die Du merkst, dass längst nicht alle Männer so sind, wie der Mann, mit dem Du den Missbrauch erlebst hast. Es dauert lange, bis Du Dich schick kleiden kannst und das Gefühl hast, dass Du dennoch Deinen Körper für Dich behalten darfst. Und dass es nicht bedeutet, jemanden zu verführen oder selbst schwach zu werden, nur, weil Du Dich schick anziehst.

Eine Psychotherapie oder die Beschäftigung mit z.B. Yoga kann Dir dabei helfen, neuen Spielraum zu gewinnen. Du kannst mit der Zeit Deine eigenen sexuellen Wünsche und Regungen bewusster wahrnehmen, sodass Du sie nicht immer abwehren musst. Je mehr Du Deine eigenen Regungen wieder wahrnehmen kannst, desto weniger hast Du wahrscheinlich das Gefühl, die anderen hätten überstarke sexuelle Wünsche. Du erfährst vielleicht, dass Du mit Deinen eigenen Erregungen in sicheren Grenzen umgehen kannst, ohne das Gefühl zu haben, das Gegenüber könnte „alles merken“. Alltagsdinge können so neutralisiert und von der Sexualität wieder getrennt werden, weil man Du die Erregung wieder bei Dir selbst verspürst und verorten kannst.

An wen sich wenden?

Vielleicht fragst Du Dich, ob das, was Du erlebt hast, überhaupt als „Missbrauch“ zu bezeichnen ist. Du befürchtest vielleicht, aus „falschen Gründen“ Hilfe aufzusuchen. Es gibt vielleicht auch Szenen aus der Kindheit, die nicht klassischerweise als „Missbrauch“ bezeichnet würden. Wenn Du z.B. als kleines Kind Therapien erleiden musstest wie z.B. die Festhalte- oder Vojtatherapie, dann fühlst Du Dich „missbraucht“ obwohl es „nur Therapie“ war. Du hast natürlich auch dann das Recht, Dir Hilfe zu suchen.

Vielleicht hast Du eine Diagnose erhalten wie Borderline, Posttraumatische Belastungsstörung oder Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Diese und andere Diagnosen können Etiketten sein, die auf das Geschehene hinweisen. Andererseits scheinen positive Aspekte, wie z.B. beruflicher Erfolg, vielleicht nicht zu Deiner problematischen Vergangenheit zu passen. Nicht zuletzt fehlen Dir vielleicht selbst die Worte, vor allem dann, wenn Du auch schon als Kleinkind missbraucht wurdest, als Du noch kaum Worte hattest. Sexueller Missbrauch hat viele Gesichter. Das, was Du erlebt hast, gehört speziell zu Dir, doch auch andere kennen ähnliche Gefühle und Gedanken.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 25.10.2013
Aktualisisert am 6.11.2025

2 thoughts on “Sexueller Missbrauch in der Kindheit führt nicht selten zu einem langen Single-Leben. Auch Vojta-behandelte Kinder sind oft betroffen.

  1. Sarah sagt:

    So ist das innerhalb der Psychoanalyse auch keinesfalls gemeint.

    Mädchen nähern sich ihrem Vater an, weil sie Zärtlichkeit suchen. Kein Mädchen sehnt sich danach eine genital-sexuelle Beziehung mit ihrem Vater einzugehen.

    Mit dem „Nein sagen“ ist gemeint, dass der Vater ungefragt die Grenzen dieser normalen zärtlichen Vater-Tochter-Beziehung aufzeigt und einhält, damit sich das Kind sicher fühlen kann. In Richtung: „Ich darf mir wünschen, dass mein Vater mich auf den Schoß nimmt und in den Arm nimmt und kann mir sicher sein, dass er mir nicht weh tut.“

    „Lust“ bezeichnet in der Psychoanalyse übrigens nicht Lust im Kontext einer sexuellen Erregung, sondern im Sinne von „Lust“ und „Unlust“, womit grob gesagt angenehme und unangenehme Gefühle getrennt werden.

  2. someone sagt:

    Nein, das Mädchen nähert sich NICHT lustvoll dem Vater! Das ist einfach nur eine Deutung der Psychoanalytiker, die endlich einmal aus der Welt geschafft werden sollte! Und deshalb ist es auch nicht nötig, dass der Vater dem Töchterchen sagt „Nein, mein liebes Töchterchen, es gibt leider keine lustigen Erlebnisse zwischen uns, auch wenn Du Dich danach sehnst!“ weil: ein Mädchen sehnt sich nicht danach mit dem Vater eine sexuelle Beziehung einzugehen.
    Manche Väter steigen nämlich des Nachts auch einfach in die Kiste ihrer kleinen Töchter und machen Dinge, die die Tochter ja so überhaupt garnicht will und schon gleich hundertausendmal NICHT mit dem eigenen Vater! Denn: sie will nur einen Vater!

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