
„Why can’t some people remember their dreams?“, lautet der Titel eines Beitrags von Stephen Dowling auf BBC.com vom 17.5.2019. Hier erklärt die Traumforscherin Deirdre Barrett zum Beispiel, dass die Traumbilder zu durcheinander sind, als dass wir sie uns merken könnten. Je mehr Ordnung und hervorstechende Details es im Traum gebe, desto besser könnten wir ihn uns merken. Die Fähigkeit, sich an einen Traum zu erinnern hängt auch davon ab, wieviel „Portion Bewusstsein“ dazugemischt ist. Träume, die wir vor Mitternacht haben, sind oft besonders tief, weil der Schlaf so tief ist. Da ist luzides (also gesteuertes) Träumen kaum möglich – unser Bewusstsein, so wie wir es vom Tag her kennen, ist da quasi ausgeschaltet.
Nur, wenn wir durch den Schrecken des Alptraums wach werden, ist direkt genug „Bewusstsein“ zugemischt, sodass uns wir beim sofortigen Erwachen durch den Schrecken erinnern können. Der Unterschied zwischen Traum und Realität ist dann sofort klar. Ob der Traum dabei „geordnet und ordentlich“ oder konfus war, spielt da keine Rolle.
Die Schlafforscherin Francesca Siclari erklärt: Im Traum sind die Hirnrinde (= der Cortex) und das limbische System (= das „Gefühlszentrum“) aktiv. Was aber nicht aktiv ist, ist das Frontalhirn – unsere Denkzentrale, die sortiert, kritisiert und vernünftig ist. Im Traum nehmen wir also alles unkritisch hin.
Der Traum ist der Hüter des Schlafes.
„Ich erwachte und musste konstatieren, dass der Schmerz des Traums als realer Leibschmerz andauere … Der Traum hatte mir als ‚Hüter des Schlafes‘ die Erfüllung meines Wunsches, im Bette zu bleiben … vorgetäuscht.“
Sigmund Freud: Die Traumarbeit: Darstellung von Redewendungen. Gesammelte Werke, Band II-III, Fischer Verlag, 1961: S. 415
In den REM-Phasen träumen wir heftig
Am meisten träumen wir anscheinend während der REM-Phasen (REM = Rapid Eye Movement), also in den Phasen, in denen sich die Augen schnell bewegen, die Muskeln aber völlig gelähmt sind. Doch auch unsere Muskeln sind wichtig, wenn wir uns Dinge merken wollen.
Manchmal können wir uns wieder an einen Traum erinnern, wenn wir nachts genau die Körperposition und Kopfhaltung einnehmen, die wir hatten, als wir träumten. Wenn wir uns an unsere Träume erinnern wollen, ist es wichtig, beim Aufwachen ganz ruhig in der Aufwachposition liegen zu bleiben und am besten auch die Augen zuzulassen.
Wir können uns gut an unsere Träume erinnern, wenn beim Träumen unser Bewusstsein noch etwas „wach“ ist. Träume, die wir in den frühen Morgenstunden haben, können wir manchmal sogar gut steuern („Luzides Träumen“) und wir können uns recht gut daran erinnern. Frühmorgens ist unser Schlaf meistens nicht mehr so tief wie in der ersten Nachthälfte. Auch, wenn wir beim Einschlafen geweckt werden, können wir uns meistens an die ersten Traumbilder erinnern, die beim Übergang vom Wachen zum Schlafen entstanden sind, weil das Bewusstsein sozusagen noch nicht ganz schläft. Ebenso können wir uns an unseren Traum erinnern, wenn wir während des Traums geweckt werden – unser Bewusstsein ist dann sofort als Zeuge zur Stelle.
Manchmal können wir uns an unsere Träume auch nicht erinnern, weil die Traumgedanken und -bilder stark zusammenhängen mit unseren Tagträumen. Sie spiegeln unser „wirkliches“ unbewusstes Denken und Phantasieren wider. So werden die Träume gar nicht als etwas Ungewöhnliches „markiert“, sondern sie sind Teil unseres normalen Gedankenstroms, den wir sowieso schon haben.
Ein Kind erzählte mir einmal, dass es als kleines Kind dachte, dass ein Baby im Mutterleib auch wieder ein Baby in sich trägt. Erst als es sich irgendwann bewusst wurde, dass es anders ist, fiel ihm auf, dass es etwas (relativ) Unrealistisches gedacht hat. Ich fragte: „Warum hast Du mir das nicht schon früher erzählt?“ Und das Kind sagte: „Weil es so normal für mich war, dass es mir nicht auffiel. Du erzählst ja einem anderen auch nicht, dass der Himmel blau ist, weil es eben so normal ist.“ Erinnerung entsteht also auch durch „Unterscheidung“ – solange diese fehlt, „schwebt“ ein Gedanke oder eine Vorstellung sozusagen einfach in uns herum.
So können wir uns dann manchmal plötzlich auch an vergessen geglaubte Träume erinnern, wenn uns tagsüber etwas begegnet, das uns an ein Traumelement erinnert. Dann merken wir: Jetzt sind wir wach, das hier ist Realität und diese unterscheidet sich von unserem Traum. Wir haben dann den Unterschied zum Traumzustand hergestellt und können uns auf einmal erinnern.
In Phasen großer Entwicklungsschritte träumen wir mehr und wir erinnern uns auch besser an unsere Träume. Wenn wir unser altes Ich sozusagen verlassen und uns zu einem neuen Menschen entwickeln, dann werden die Übergänge vom Alten zum Neuen deutlich markiert. Der Traum fällt uns als Traum auf und wir erinnern uns dann auch daran.
Der Psychoanalytiker Felix de Mendelssohn (1944-2016) sagte in einem Youtube-Video, dass wir uns oft nicht an Träume erinnern, weil wir sie nicht wichtig genug nehmen. Schlafen und Träumen sei etwas Geselliges. Früher hätten die Menschen in Gruppen geschlafen und sich Träume nach dem Aufwachen erzählt. Das sei uns heute abhanden gekommen.
Wenn wir einschlafen, gehen Wortgedanken in Bildgedanken über.
Schrecken lässt sich leicht erinnern
Auch Stresshormone wie das Noradrenalin scheinen eine Rolle für die Erinnerungsfähigkeit zu spielen. Wenn wir einen Alptraum haben und viel Stresshormone im Blut sind, wenn also der Schrecken groß ist, dann können wir uns oft gut an unseren Traum erinnern.
Oft nehmen wir die Emotion, die wir im Traum hatten, mit in den Tag.
Im Traum sind die Details sehr wichtig. So, wie sich Paare über die „Zahnpastatube“ streiten, so wird auch im Traum ein Detail oft zum wichtigsten Traumelement. Beispiel: Egal, wie groß die Türe ist: Das Wichtigste ist die funktionierende Türklinke, also das Detail.
Die Erinnerung kann uns etwas anderes vorgaukeln
Doch wenn wir uns an einen Traum erinnern, bleibt auch die Frage, ob wir ihn wirklich so geträumt haben oder ob wir ihn schon verändert erinnern und verändert erzählen. Ähnlich wie wir unseren Ärger, unseren Hass und andere negative Gefühle vor uns selbst verdrängen, so verdrängen wir manchmal auch den „echten Traum“ und formen ihn um, damit wir ihn leichter bejahen können. Sigmund Freud sagte dazu:
„Zweitens aber spricht alles dafür, daß unsere Erinnerung den Traum nicht nur lückenhaft, sondern auch ungetreu und verfälscht wiedergibt. … Auch das Vergessen der Träume bleibt so lange unergründlich, als man nicht die Macht der psychischen Zensur zu seiner Erklärung mitheranzieht.“
Sigmund Freud: Das Vergessen der Träume. In: Die Traumdeutung, Kapitel VII,
https://gutenberg.spiegel.de/buch/die-traumdeutung-907/7
Ich frage mich oft, ob es ein „Vergessen“ der Träume ist oder ein „Nicht-Auffallen“ des Traums.
Wenn wir in der ersten Nachthälfte träumen, dann ist der Schlaf meistens besonders tief und „wir sind ganz Traum“. Der Traum ist dann ebenso tief wie der Schlaf. Wir kommen nicht im Traum darauf, dass wir träumen. An diese Träume können wir uns oft nicht erinnern, weil wir so wenig steuern können. Er geschieht uns. Werden wir nach so einem Traum direkt wach, dann können wir uns erinnern.
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Interessante Links:
http://www.emmanuellafont.com/
Thorsten Schäfer, Marianne E. Schläfke:
Zusammenspiel von Schlaf und Atmung: Untersuchungen zur Atmungsregulation im Schlaf.
Somnologie – Zeitschrift für Schlafforschung und Schlafmedizin
February 1997, Volume 1, Issue 1, pp 21–26
https://link.springer.com/article/10.1007/s11818-997-0006-04
„Der Atemwegswiderstand nimmt zu“ (im Schlaf). (Erholsam sind Atemübungen im Yoga, bei denen der Atemwegswiderstand erhöht wird.)
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 29.5.2019
Aktualisiert am 4.6.2021
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