Reizdarm: Besser (nichts) zwischendurch essen? Und was sonst noch hilft.

Wir haben nur noch fünf Minuten Zeit, bis der nächste Klient kommt und stecken uns noch rasch einen Keks in den Mund – nur, um es schon kurz danach zu bereuen: Der Durchfall kommt. Wir merken, wie eng Mund, Magen und Darm zusammenhängen. Kleine Babys entleeren sich oft während des Stillens. Der Magen-Darm-Trakt ist ein zusammenhängender Schlauch aus glatter Muskulatur. Beruflicher Stress beschleunigt die Unruhe im Darm: Der Psychotherapeut Daniel Mackler beschreibt auf Youtube (Why I Quit Being a Therapist), wie sein Reizdarm aufhörte, nachdem er seinen Beruf als Psychotherapeut aufgab.
Wird die glatte Muskulatur aktiviert – egal, ob „oben oder unten“, dann reagiert das andere Ende gleich mit. Auch die Gebärmutter besteht aus glatter Muskulatur. Daher neigen manche Frauen zu beschleunigter Verdauung, wenn sie ihre Tage bekommen: Darm und Gebärmutter regen sich gleichzeitig zur Bewegung an.
Nach der chinesischen Organuhr ist der Dickdarm besonders zwischen 5 und 7 Uhr morgens aktiv. Es hilft, morgens so spät wie möglich arbeiten zu gehen.
Bei gesunden ausgeglichenen Erwachsenen sind solche Zusammenhänge oft nicht so deutlich ausgeprägt. Doch wenn wir an Reizdarm leiden, ist das gesamte System empfindlicher, ähnlich wie bei einem Kind. Daher hilft es manchen, vor wichtigen Terminen nichts zu sich zu nehmen – bei anderen wiederum ist es umgekehrt. Es kann sich auch im Laufe der Zeit verändern: Während man eine Zeitlang besser ohne Zwischenmahlzeiten hinkommt, kann es in einer anderen Phase sogar helfen, fünf oder mehr kleine Mahlzeiten am Tag zu haben.
In der mdr-Sendung „Hauptsache gesund“ (7.6.2018) wurde das Thema „Reizdarmsyndrom: Wie ayurvedisches Essen hilft“ besprochen. Das Prinzip: Dreimal täglich essen und zwar um 7, um 12 und um 18 Uhr, möglichst leicht bekömmlich, möglichst warm. Mittags darf am meisten gegessen werden, weil das Verdauungsfeuer („Agni“) hier am aktivsten ist. Um festzustellen, ob es hilft, muss man es etwa drei Wochen lang ausprobieren.
Was bei Reizdarm auf die Schnelle sehr entspannend wirken kann, ist ein warmer Druck von unten. Tränke einen Waschlappen oder Toilettenpapier unter dem Wasserhahn mit sehr warmem, fast heißem Wasser. Drücke dann das warmfeuchte Tuch mit sanftem Druck gegen die Dammregion. Du wirst wahrscheinlich direkt eine entspannende Wirkung merken.
Das Reizdarmsyndrom (Colon irritabile, englisch: Irritable Bowel Syndrome, IBS) betrifft möglicherweise viele Menschen, die sexuellen Missbrauch erlebten. Französische Wissenschaftler um Anne-Marie Leroi (1995) befragten in ihrer Studie 344 Patienten und Patientinnen, die sexuell missbraucht worden waren. 40% dieser Patienten litten an funktionellen Problemen des unteren Darmtraktes, also Durchfall und Verstopfung – „funktionell“ bedeutet, dass sich kein körperlicher Schaden feststellen lässt.
Auch bei Fibromyalgie, Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) und Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS, chronisches Erschöpfungssyndrom) findet sich häufig auch ein Reizdarmsyndrom (Leslie A. Aaron et al., 2000). Daraus lässt sich möglicherweise schließen, dass diese Erkrankungen gemeinsame Mechanismen haben. Die Betroffenen spüren, dass dies alles zusammenhängt – doch wo soll man anfangen, damit es einem besser geht?
Es bestehen Kiefer-, Zahn- und Kreuzschmerzen und manchmal ein schweres, fiebriges Krankheitsgefühl. Die Betroffenen fühlen sich kaum fähig, den Tag zu überstehen, doch die Besuche beim Arzt sind oft fruchtlos. Der Arzt untersucht die Schilddrüse und Nebenschilddrüse, den Hormonstatus und die Nebennieren – oft ohne krankhafte Befunde. Da hilft es nur, sich eigenständig auf eine lange Reise zu begeben und nach Lösungen zu suchen.
Auch Asthmatiker leiden häufig an Reizdarm
Die glatte Darmmuskulatur können wir willentlich nicht steuern (höchstens indirekt durch Yoga, Bewegung und Meditation) – sie gehört zum vegetativen Nervensystem. Sind die Darmbewegungen gestört, können auch andere Organe mit glatter Muskulatur betroffen sein. Auch die Bronchien werden von glatter Muskulatur umhüllt. Griechische Forscher um Anastasios Roussos fanden in ihrer Studie mit 150 Asthma-Patienten heraus, dass 41% der Asthmatiker an Reizdarm litten, jedoch nur 20% der 120 Nicht-Asthmatikern dieser Studie. Die Forscher betonten, dass dieses Ergebnis nicht auf die Asthma-Medikamente zurückzuführen ist. Zwischen den Asthma-Medikamenten und dem Reizdarmsyndrom konnten sie keine Zusammenhänge erkennen.
Primärer und sekundärer Durchfall
Durchfälle können sich sehr unterschiedlich anfühlen. Ob der Durchfall primär körperlich bedingt (z.B. Ernährung) oder eher psychisch bedingt ist, lässt sich nicht immer einordnen – manchmal jedoch schon. Man könnte von „primärem und sekundärem Durchfall“ sprechen. Beim „primären Durchfall“ fängt’s plötzlich im Bauch an zu rumoren. Es gibt eine körperliche Ursache, z.B. einen Magen-Darm-Virus. In der Folge können auch Schwitzen, Angst und Wut entstehen. Beim „sekundären Durchfall“, wie ich es bezeichnen würde, ist zuerst die Angst da, z.B. bei einer Angststörung, und dann spürt man, wie alle Schleusen aufgehen und sich im Darm ein Durchfall entwickelt.
Ein gereizter Darm braucht mehr Zeit – ist diese Zeit nicht vorhanden, wird die Verdauung zum Kampf.
Eine starke Angststörung kann zum Durchfall führen, doch der Darm an sich funktioniert meistens normal.
Bei Überforderung fängt das Grummeln im Darm schon bald nach dem Aufwachen an. Hier zeigt sich vielleicht ein empfindlicher Darm, denn man kann auch überfordert und gestresst sein, ohne dass der Darm mit Beschwerden reagiert. Zeitmangel, Schlafmangel, Geldmangel, einengende Beziehungen und besetzte Toiletten sind bei einem empfindlichen Darm besonders Durchfall-triggernd.
Psychotherapie kann helfen
Amerikanische Forscher um Kelsey Laird untersuchten 2015 insgesamt 41 Studien mit der Frage, ob Psychotherapie bei Reizdarm hilft. Die Studien enthielten die Daten von 2290 Teilnehmern mit Reizdarmsyndrom. 1183 von ihnen erhielten Psychotherapie, 1107 Teilnehmer gehörten zur „Kontrollgruppe“ – diese Patienten erhielten Schein-Behandlungen, unterstützende Therapien oder sie wurden wie gewöhnlich vom Hausarzt behandelt. Die Teilnehmer der Psychotherapiegruppe hatten am Ende deutlich weniger Symptome als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Auch ein Jahr nach der Behandlung ging es den Psychotherapie-Patienten besser
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Links:
Anne-Marie Leroi et al. (Universitaire de Rouen, France, 1995):
Prevalence of sexual abuse among patients with functional disorders of the lower gastrointestinal tract.
International Journal of Colorectal Disease, October 1995, Volume 10, Issue 4, pp 200-206
DOI 10.1007/BF00346219
link.springer.com/article/10.1007/BF00346219
Leslie A. Aaron et al. (2000):
Overlapping Conditions Among Patients With Chronic Fatigue Syndrome, Fibromyalgia, and Temporomandibular Disorder
Arch Intern Med. 2000;160(2):221-227. doi:10.1001/archinte.160.2.221
jamanetwork.com/…
Anastasios Roussos et al. (2003):
Increased prevalence of irritable bowel syndrome in patients with bronchial asthma.
Respiratory Medicine, Volume 97, Issue 1, January 2003, Pages 75-79
DOI: 10.1053/rmed.2001.1409
sciencedirect.com/science/article/pii/S095461110191409X
Laird, Kelsey T. et al. (2016)
Short- and Long- Term Efficacy of Psychological Therapies for Irritable Bowel Syndrome:
A Systematic Review and Meta-analysis
Clinical Gastroenterology and Hepatology, Volume 14, Issue 7, July 2016, Pages 937-947.e4
sciencedirect.com/science/article/pii/S1542356515017061
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 8.7.2020
Aktualisiert am 23.9.2025
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