
„Da musstest Du ja sicher viel lesen und Theorien lernen“, hörte ich manchmal, wenn ich sagte, dass ich eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) gemacht (aber nicht abgeschlossen) habe. Doch diese Ausbildung ist anders als ein Medizin- oder anderes verkopftes Studium. Besonders in Prüfungen – sei es im Vorkolloquium, im Zentralseminar oder im Kolloquium – wird das deutlich. Worauf es in einer Psychoanalyse-Prüfung ankommt, zeigt aus meiner Sicht die wunderbare arte-Dokumentation „Dirigenten – jede Bewegung zählt“. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Dirigenten, der an einem Wettbewerb teilnimmt und weit hinten landet, obwohl er über Talent, Musikalität, Technik, Wissen und Können verfügt. Er solle es noch einmal in zwei Jahren versuchen, wird ihm gesagt. Weiterlesen

In der psychoanalytischen Ausbildung stellt man seinen Patienten („Ausbildungsfall“) bzw. die Behandlung regelmäßig seiner Ausbildungsgruppe vor. Bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) und der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) wird hierfür der Begriff Kasuistisch-technisches Seminar („KT“ oder „KTS“) benutzt. Es ist ein Pflicht-Seminar, das Ausbildungskandidaten (AK) nach dem Vorkolloquium einmal pro Woche besuchen. Alle Kandidaten behandeln ihre Patienten (Ausbildungsfälle) drei bis vier Mal pro Woche, meist im Liegen auf der Couch – es sei denn, sie haben gerade erst das Vorkolloquium bestanden und suchen noch nach einem geeigneten Patienten.
Auch wenn man noch keine eigenen Fälle hat, kann man als Ausbildungskandidat*in nach dem Vorkolloquium am KT teilnehmen und sich mit seinen Ideen am vorgestellten Fall beteiligen. Geleitet wird das Seminar von Lehranalytikern.
Ein Ausbildungskandidat stellt seinen Patienten vor. Er berichtet aus einer Psychoanalyse-Sitzung, von seinen Phantasien dazu und von seinen Gegenübertragungen. Er erzählt etwas zur Lebensgeschichte des Patienten, der immer anonym bleibt. Die anderen Kandidaten sagen, welche Phantasien bei ihnen entstanden sind. Es ist immer wieder erstaunlich, wie treffend diese Phantasien sein können und wie sehr sie dem Kandidaten, der seinen Fall vorstellt, damit helfen. Bei dieser Arbeit kann sich jeder ganz seinen Einfällen, Ideen und inneren Bildern überlassen. Ohne Ziel, ohne System. Es ist wie Spielen. Ein kreativer Prozess, der beiden hilft: dem Patienten und dem angehenden Analytiker.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 5.5.2015
Aktualisiert am 17.7.2023
Es ist still. Nur der Atem geht. Einer schlägt die Beine übereinander. Einer streicht sich mit der Hand durch das Gesicht. Schlucken. Die Uhr tickt. Ein Räuspern. Darmgeräusche. Spannung auf der Haut. Leichte Übelkeit. Schwindet wieder. Wechselt mit Wohlgefühl. Die Ohren lauschen. Die Augen geschlossen. Wieder offen. Wo sind die Grenzen? Über dem Körper eine Schicht, die man nicht sieht. Ob der andere wohl darauf blickt und starrt und beobachtet? Ob er nur schaut? Oder sich lustig macht? Ob er gleich angreift – im Guten wie im Bösen? Oder gar schläft? Weiterlesen
„Wenn jemand in Hypnose ist, müssen Sie in kurzen Sätzen sprechen“, sagt die Hypnoselehrerin. „Dieser eine Satz hat mir den Rest gegeben!“, sagen wir nach dem Streit. Kurze Sätze bleiben haften. Sie erreichen unser Innerstes – vor allem dann, wenn wir uns in einem meditativen Zustand befinden, wie es z.B. in der Psychoanalyse häufig der Fall ist. Ein Satz kann viele Gefühle, Phantasien und Assoziationen wecken. Er kann stark wirken. Es sitzt. In der Psychoanalyse-Ausbildung kennen Ausbildungskandidaten die Wirksamkeit kurzer Sätze aus der eigenen Lehranalyse. Doch wenn die ersten eigenen Patienten kommen, stehen viele unter Druck: „Ich muss dem Patienten doch was Gutes sagen, ich muss ihm doch etwas erklären, ihm mit auf den Weg geben“, denkt man. Oder: „Die nächste Supervision ist schon am Montag, da muss ich doch jetzt noch was Schlaues sagen.“Weiterlesen
Wer eine Psychoanalyse-Ausbildung macht, betreibt täglich eine Art Hochleistungssport. Man braucht ein gutes Durchhaltevermögen, das nur aufrecht erhalten kann, wenn es mehr Freud als Leid gibt. Die Abhängigkeit von Patienten, Gutachtern, Krankenkassen, Supervisoren, Institutsleitern, Lehranalytikern und den Finanzen lehrt einen, mit Ungewissheiten zu leben. Man ist wieder Schüler und stellt sich selbst in Frage. Man lernt, dass auch Psychoanalytiker nur Menschen sind, die die Institutsstrukturen mitgestalten und unter Systemen leiden. Weiterlesen
„No memory, no desire, no understanding“ (nichts erinnern, nichts wünschen, nichts verstehen) – wenn es dem Psychoanalytiker gelingt, diese Haltung einzunehmen, kann er sich ganz auf das Hier und Jetzt der Analyse-Sitzung einlassen. Geprägt wurde der Begriff von Wilfred Ruprecht Bion (1897-1979). Doch in der Ausbildung zum Psychoanalytiker ist man häufig so angespannt, dass diese Haltung ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint. Anstatt sich der Stunde abwartend und wunschlos hinzugeben, denkt der Ausbildungskandidat: „Ich muss dem Patienten doch jetzt eine kluge Deutung geben, damit er bei mir bleibt. Schweige ich schon zu lange? Was wohl der Supervisor dazu sagen wird? Wann der Patient wohl endlich dazu bereit sein wird, sich auf die Couch zu legen? Und wann war nochmal das nächste Gespräch mit der Bank?“
Fest steht: Diese Gedanken und Ängste lassen sich nicht ausschalten. So manche Analyse-Stunde ähnelt einer Meditation, in der man versucht, die negativen Gedanken irgendwie handzuhaben. Aufziehen und wieder gehen lassen? No way. Also bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als sich von diesem hohen Ideal zu verabschieden und sich mit seinen Ängsten und Sorgen näher zu befassen. „If you don’t have a stomach for anxiety, you’re in the wrong profession“, sagt die Psychoanalytikerin Edna O’Shaugnessy in dem Film „Encounters through Generations“.
Die Ängste, Sorgen und Abhängigkeiten sind da, die Regeln und Erwartungen ebenfalls. Es macht unzufrieden, wenn man mit dem Patienten immer nur unter Druck zusammen ist.
Es hilft vielleicht die grundsätzliche Einstellung, dass die Psychoanalyse-Ausbildung lange dauern kann – sehr lange. Die Geldsorgen mögen drücken, aber es lassen sich immer wieder neue Wege finden. „Schau nicht auf die Früchte“, höre ich meinen Yogalehrer sagen. In jeder Stunde gilt es, gute Arbeit zu leisten – so gut, wie es einem möglich ist. Irgendwann hält man auf einmal eine reife Frucht in der Hand und man ist völlig überrascht.
Wenn man das Ziel, Analytiker zu werden, nicht ständig anstarrt, dann kann man schon in der Ausbildung ein guter Analytiker sein.
Jede Psychoanalysestunde bringt einen weiter – sowohl die eigene Lehranalyse als auch die Patientenbehandlung und die Supervision. Das, was man dadurch gewinnt, geht nicht mehr verloren. Als Autorin denke ich manchmal: „Egal, was passiert: Ich kann ja darüber schreiben.“ Ähnlich ist es in der Psychoanalyse-Ausbildung: Hier geschieht nichts, was einen nicht persönlich weiterbringen würde.
„Wünsche dir alles, erwarte nichts und werde reich beschenkt“ – so heißt das Buch des Yogalehrers Sriram. Bücher wie diese können in der Ausbildung sehr inspirieren. Aus diesem Buch habe ich ein wenig diese Einstellung gewonnen: „Wenn ich sorgfältig arbeite und das mir Mögliche tue, dann werde ich sehen, wohin es geht.“ In der Ausbildung lernt man die persönlichen Schwächen kennen. So kann auch der Zweifel daran wachsen, ob man diesem Beruf überhaupt gewachsen ist.
Es gibt ein schönes Video der gehörlosen Schlagzeugerin Evelyn Glennie. Sie wurde zunächst nicht an der Musikhochschule angenommen. Sie sagt: „Ich konnte das nicht akzeptieren. An der Musikhochschule abgelehnt zu werden, nur, weil ich nicht hören kann, sah ich nicht ein.“ (TED-Talk 2007: Wie man hinhört)
Man kann das Zusammenspiel von Ausbildungssituation und der Haltung „no memory …“ als eine sportlich-geistige Herausforderung sehen. Es hilft dabei tatsächlich, das Meditieren zu üben. Es lässt sich immer wieder zurück zum eigenen Atem finden, auch, wenn der innere und äußere Aufruhr groß ist. Es entstehen immer wieder zutiefst befriedigende Stunden, die das Gefühl aufkommen lassen: Jetzt ist es gut so wie es ist.
Dieser Beitrag wurde erstmals verfasst am 17.5.2017
Aktualisiert am 21.8.2022