Kann ich nachträglich Urvertrauen gewinnen?
„Am schlechtesten geht es den Menschen, die ohne innere Mutter leben“, sagte einmal der Selbstpsychologe Heinz Kohut (1913-1981). „Urvertrauen“ ist ein großes Wort und wir machen uns Sorgen, weil wir davon ausgehen, selbst kein Urvertrauen zu haben. Doch der Begriff ist idealisiert, denn wer wünscht sich nicht ein Grundgefühl von „absolutem Vertrauen“ oder ungetrübter Geborgenheit? Ein grundlegendes „Alles-ist-gut-Gefühl“ haben manche vielleicht als ein fast ständiges Grundband. Andere spüren hauptsächlich die Angst als Hintergrundmusik. Doch wenn wir mal punktuell schauen, so können wir vielleicht sagen: Die meisten Menschen kennen das Gefühl von Bettschwere. Das sind dann Momente eines Ur- bzw. Grundvertrauens.
Insbesondere schwer frühtraumatisierte Menschen haben kein Urvertrauen, so das gängige Bild.
Wenn wir Urvertrauen einmal weniger absolut sehen und es auf individuelle Situationen beziehen, dann können wir vielleicht doch sagen, dass wir zumindest für ein paar Momente anhaltendes Urvertrauen spüren können. Manche Menschen haben dieses gute Gefühl, wenn sie allein in der Natur sind. Manche spüren es in einer Gruppe, in der es viele Gemeinsamkeiten gibt, andere beim Sport oder beim Musizieren. Doch das Alleinsein, das Zuzweitsein und das Sein in der Mitte von vielen Menschen ruft bei manchen ungeheure Angst hervor und zeigt ihnen, dass ihnen ein Grundvertrauen fehlt. Viele Menschen leiden an einer unangenehmen Grundangst. Sie spüren, dass ihnen das ursprüngliche Vertrauen zur Mutter fehlt und sie fragen sich, ob sie auf dieses Gefühl für immer verzichten müssen.
In einem Internetforum lese ich: „Kann man Urvertrauen nachträglich bekommen?“ Das fragt eine Patientin ihren Psychotherapeuten. Dieser antwortet: „Man kann schon ein gewisses Maß an Vertrauen erwerben, aber Urvertrauen lässt sich nachträglich nicht herstellen, wenn man es als Kind nicht entwickeln konnte.“ Eine enttäuschende Antwort, die so wahrscheinlich niemand hören will, die aber immer wieder zu hören ist.
Insbesondere Körpererfahrungen können uns zum Gefühl von Geborgenheit führen, z.B. wenn wir im Schneidersitz auf dem Boden sitzen und uns nach vorne beugen. Wenn du Yoga machst, dann kannst du vielleicht auch dabei merken, wie du dein Körpergefühl und damit dein Geborgenheitsgefühl wachsen lassen kannst. Wenn du dich in deinem eigenen Körper mehr und mehr zu Hause fühlst, kannst du dich auch leichter bei anderen zu Hause (im positiven Sinne) fühlen.
Meiner Erfahrung nach lässt sich Urvertrauen – oder anders gesagt: die Fähigkeit, ohne Angst zu zweit zu sein – durchaus nachträglich gewinnen. Es ist kein ständiges Dauergefühl, geht immer wieder mal verloren, aber es kann doch mehr und mehr Einzug in das eigene Leben erhalten.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 6.7.2014
Aktualisiert am 30.5.2025
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8 thoughts on “Kann ich nachträglich Urvertrauen gewinnen?”
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Lieber Alexander,
das zahlen die gesetzlichen Kassen. In der Regel 3-mal pro Woche, wenn es notwendig ist aber auch eine Weile lang 4-mal pro Woche. Arbeiten können dabei viele dann noch besser als vorher, weil sie mehr Kraft bekommen. Aber natürlich ist das oft sehr schwierig – man muss dann gute Termine vor oder nach der Arbeit finden. Ich habe auch schon erlebt, dass Gespräche mit Vorgesetzten möglich sind, um die Zeit zu gewinnen. Das ist ja der große Vorteil an der Analyse, dass man fast täglich Therapie hat und arbeiten kann, während man während einer Klinikbehandlung nicht arbeiten kann.
4-mal die Woche? Wer zahlt denn so eine Therapie? Arbeiten kann man dann ja nicht mehr. Nicht, dass ich es mir mit meinem Gehalt leisten könnte.
Liebe Anke, es ist schwierig, darauf zu antworten, weil ich Ihre individuelle Situation nicht kenne. Ich würde raten, genau diese Fragen mit der Therapeutin zu besprechen und am Ball zu bleiben.
Danke für Ihre Antwort. Darf ich noch etwas fragen? Würden Sie raten, die Einzelgespräche evtl. auszusetzen, bis wenigstens zwei Wochentermine möglich sein werden oder gar den Platz zu wechseln? Wegen meiner Ängstlichkeit fällt es mir eh schwer, mich auf die Therapie einzulassen, seit einem Jahr, wobei eine hochfrequentere Behandlung mir sicher helfen würde.
Gibt es außerhalb der Therapie eine Stelle, wo man über solche Dinge mal sprechen kann?
Ja, leider muss man oft lange auf einen Analyseplatz warten. Wenn die Analyse dann beginnt, kann sie sehr oft helfen. Eine Therapie einmal pro Woche würde ich nicht als Analyse bezeichnen.
Was, wenn der Wunsch nach einer hochfrequenten Behandlung von Anfang an im Raume steht, die Therapeutin auch dafür spricht, leider jedoch auch nach einem Jahr keinen zweiten Wochentermin anbieten kann? Kann Analyse dann überhaupt helfen?
Ist es auch ;-)
Das klingt sehr gut und hoffnungsvoll :)