Gemeinsames Sorgerecht – ja oder nein? Familienanwälte machen manchmal alles nur schlimmer

Während Mutter und Vater es haben, erscheint es beiden manchmal wie die Hölle: das gemeinsame Sorgerecht. Obwohl eigentlich über nur wenige Punkte gemeinsam entschieden werden muss, können diese Punkte zu aufwühlenden Dramen führen. „Die Mutter stellt das Kind mit Ritalin ruhig, aber ich will das nicht“, sagt der Vater. „Der Vater besucht mit meinem Kind eine radikal-christliche Gemeinde – das geht nicht!“, sagt die Mutter. Über Monate und Jahre sind Mütter und Väter manchmal mit einem inneren und äußeren Kampf beschäftigt, der viel Kraft kostet. Es ist genau die Kraft, die ihnen für das Kind fehlt. Wäre es da nicht einfacher, wenn man das alleinige Sorgerecht hätte? Denkt der Vater. Und die Mutter.

Während man in einem kraftraubenden Kampf steckt, ist die Vorstellung, das alleinige Sorgerecht zu haben, so verlockend. „Der Kampf um das alleinige Sorgerecht kann sich möglicherweise über Jahre hinziehen“, sagt die Familienrichterin. „Ist mir egal“, sagt die Mutter. „Ich will einfach nur aus dieser Hölle raus, aus diesem Zwang, mich mit meinem größten Feind über mein Kind verständigen zu müssen.“ Verzweifelte Sätze wie diese hören Anwälte und Richter ständig. Besonders wenn Mutter oder Vater einen Anwalt kontaktieren, erscheint es sehr verlockend, das alleinige Sorgerecht zu beantragen. „Dann ist endlich Ruhe im Karton“, so denkt sich die Mutter. Und der Vater.

Das Sorgerecht ist ein Symbol

Sowohl die Mutter als auch der Vater fühlen sich – wenn alles gut geht – zutiefst mit dem Kind verbunden. Es ist ihr „Fleisch und Blut“. Das Kind ist das Herzblut der Mutter und des Vaters. Viele Väter kämpfen bis zum Rande der Erschöpfung um eine gute Bindung zu ihrem Kind, die ihnen oft so erschwert wird. Bindung ist nicht nur eine Frage der „Qualitätszeit“, sondern ganz besonders auch der Menge an Zeit, die man miteinander verbringt.

Für Väter ist es sowieso schon schwer, die Bindung zu ihrem Kind zu halten – wenn ihnen dann noch das Sorgerecht entzogen wird, sind sie erst recht „in Sorge“. Es macht wütend und ohnmächtig. Mit dem Entzug der „Sorge“ wird auch ein wichtiges Bindeglied gekappt. Es fühlt sich vollkommen unnatürlich an, sich für den Menschen, der einem näher ist als jeder andere auf dieser Welt, nicht mehr einsetzen zu können. Ist das Sorgerecht entzogen, kann der Vater das Kind nicht mehr beschützen – so sein Gefühl. Das Sorgerecht als Symbol der natürlichen Verbindung zu kappen bedeutet, auch innerlich einen Bruch in der Beziehung zum Kind herbeizuführen.

Die Mutter ist eingeschnürt

Auch viele Mütter bangen darum, dass ihnen das Sorgerecht entzogen wird. Die Bindungsforschung hat gezeigt, dass Väter eine ebenso enge Bindung zu ihren Kindern aufbauen wie Mütter (siehe www.khbrisch.de). Und doch sind Mütter gerade in der Anfangszeit durch das Erleben der Schwangerschaft und Stillzeit auf eine gewisse Art noch enger mit dem Kind verbunden. Das Attunement zwischen Mutter und Kind ist gerade am Anfang oft erstaunlich.

In einer gesunden Beziehung würde der Vater die Mutter darin unterstützen, diese enge Bindung zum Kind zu pflegen. Nach einer Trennung jedoch empfinden sich Mutter und Vater als Feinde. Der Vater scheint mit seinen Wünschen und Einwänden immer in die Harmonie zwischen Mutter und Kind zu preschen. Das empfinden die Mütter als unglaublich störend und auch die Kinder leiden darunter, weil die Mütter in der Zeit der Auseinandersetzung mit dem Vater emotional nicht ansprechbar sind. Die Vorstellung, allein mit dem Kind sein zu dürfen, also ohne Mitspracherecht des Vaters, erscheint den Müttern zunächst wie der Himmel auf Erden.

Der Zeitpunkt der Konflikte

Interessant ist, dass oftmals die Frage um das Sorgerecht in einer bestimmten Entwicklungsphase des Kindes auftaucht: Häufig im Alter von 2 bis 6 Jahren. Aus analytischer Sicht durchläuft das Kind in dieser Zeit die Entwicklungsstufe der Ödipalen Phase. In dieser Zeit wird das Thema Triangulierung besonders aktuell. Das Kind fühlt sich mal mehr zum Vater, mal mehr zur Mutter hingezogen.

Die Gefühlswelt der Eltern

Die Eltern kämpfen besonders während der ödipalen Phase des Kindes mit den Gefühlen der Eifersucht: „Ich tue den ganzen Tag alles für mein Kind und doch will es nur zum Papa“, klagt die Mutter. Das Kind ist innerlich wiederum damit beschäftigt, Vater und Mutter seine Liebe zu zeigen. Der häufig genannte „Loyalitätskonflikt“, der bei Trennungen auftaucht, taucht auch in der gesunden Mutter-Vater-Kind-Beziehung auf. Während der Trennungszeit wird er nur verschärft, aber er lässt sich nicht verhindern. Der Anspruch, keinen Loyalitätskonflikt aufkommen zu lassen, steckt oft hinter dem erhobenen Zeigefinger der Jugendamtsmitarbeiter, Erzieher, Psychologen, Anwälte und Richter. Aber dieses Idealbild wird sich in der Wirklichkeit nicht herstellen lassen.

Der Kampf dauert nicht ewig

In der Zeit des Kampfes mit dem anderen Elternteil erscheinen wenige Tage manchmal wie eine Ewigkeit. Doch die Sorgen, die inneren und äußeren Kämpfe werden nicht ewig dauern – sondern „nur“ ein paar Jahre. Und auch häufig „nur“ in bestimmten Phasen. „Bei uns ist es aber anders – da ist es besonders extrem“, denken viele Mütter und Väter in dieser Zeit. Es fühlt sich unter anderem so extrem an, weil Mutter und Vater trotz aller Hilfsangebote häufig nicht gut genug aufgefangen werden. Die Endlichkeit dieser aufwühlenden, oft krankmachenden Situation darf man sich aber dennoch ruhig vor Augen führen.

Psychotherapie kann entlasten

Besonders der Mutter hilft es in dieser Zeit oft, sich von einem Psychotherapeuten begleiten zu lassen. So ist sie mit ihren Entscheidungen, Sorgen und Ängsten nicht allein und stellt so etwas wie eine Triangulierung im Alltag her. Nach einigen Jahren lassen die Kämpfe oft tatsächlich wieder nach. Manchmal gibt es dann sogar wieder Situationen, in denen der andere Elternteil als Entlastung oder Schutz empfunden werden kann. Das alleinige Sorgerecht zu beantragen, mag für den Moment wie die beste Lösung erscheinen. Auf Dauer hören die Kämpfe jedoch oft nicht auf. So sagt eine Frau, die im Familiengericht als Übersetzerin arbeitet:

„Häufig treffen sich Mutter und Vater im Sorgerechtsstreit und auch danach viele Jahre lang vor Gericht. In all den Jahren ändert sich nichts – außer, dass die Kinder älter werden.“

Was in der anstrengenden Zeit der Kämpfe helfen kann:

  • Gesund bleiben ist oberstes Gebot.
  • Innerer Raum ist wichtig. Nicht sofort reagieren, sonst fliegen die Mails, SMS und Vorwürfe nur so hin und her. Raum schaffen zum Überlegen. Spannung aushalten lernen.
  • Hinter der Entwertung des anderen stecken oft Gefühle, die man nicht spüren will. Es kann hilfreich sein, sich auf die Suche nach den Gefühlen hinter der Entwertung zu begeben. Das schafft man oft leichter in einer psychoanalytischen Therapie.
  • Wenn man einmal in das „Gefühl der Dringlichkeit“ hineinspürt und versucht, das auszuhalten, merkt man, wie es wieder nachlässt.
  • Einen größeren Zeitraum im Blick zu behalten, hilft. Es ist nicht alles verloren, wenn man jetzt gerade Schaden nimmt.
  • Sich mit guten Menschen umgeben.
  • Sich von Idealbildern verabschieden.
  • Sich Zeit nehmen, zu trauern.
  • Langsam werden und immer nur auf den nächsten Schritt schauen.
  • Sich Kraft in der Natur holen. Barfuß über die Wiese laufen. Schwimmen gehen und das Wasser dabei beobachten. Immer wieder die „Stressachse“ (HPA-Achse) entlasten.

Die Crux mit den Familienanwälten

„Die Mutter gibt meinem Sohn Ritalin, aber das ist falsch!“, sagt der verzweifelte Vater. „Der Vater setzt meine 4-jährige Tochter auf’s Motorrad!“, sagt die Mutter. Getrennte Eltern leiden fast immer unter einem unerträglichen Gefühl: der Angst. Je jünger das Kind, umso größer die Angst. Suchen die Eltern Beratungsstellen auf, finden sie oft BeraterInnen vor, die zu „lösungsorientierten Ansätzen“ neigen – und das in Problemfällen, in denen es manchmal keine Lösung gibt. Die Fronten verhärten sich. Aus strittigen Eltern werden sogenannte „hochstrittige Eltern“, die dann nur noch die Lösung darin sehen, sich einen Anwalt zu suchen und vor das Gericht zu gehen – doch ist dieser Schritt wirklich hilfreich?

„Abwehr“ ist der Begriff, den Psychoanalytiker für Gedanken oder Handlungen verwenden, die ein Mensch gegen seine Angst einsetzt. Unangenehme Gefühle wehren wir ab, indem wir psychische Schutzmauern aufbauen. Beispiel: Der Vater holt das Kind von der Mutter zum Besuchswochenende ab. In der Mutter entstehen zaghafte Gefühle der Trauer: „Wir könnten eine Familie sein …“ Doch diese Trauer ist kaum auszuhalten. Blitzschnell werden die Gedanken und Gefühle abgewehrt: „Dieser Blödmann schnallt mein Kind noch nicht mal an, bevor er losfährt“, könnte die bewusste Reaktion sein.

Manche Menschen schimpfen und beschweren sich, um etwas abzuwehren, andere lenken sich ab, werden depressiv, alkoholkrank oder esssüchtig. Prinzipiell kann alles zur Abwehr benutzt werden. Auch Familienanwälte und Gerichtsverfahren können ein „Abwehrvorgang“ sein – das Gerichtsverfahren stresst so, dass alle ursprünglichen Gefühle und Phantasien verdeckt werden. Leider sind die sogenannten Helfer nicht gut genug ausgebildet, um hier wirklich helfen zu können. Sie machen alles oftmals schlimmer.

Schriftsätze der Anwälte führen den vorher geführten Streit fort, aber meistens in einer noch härteren Form. „Der spinnt doch“, sagt die Anwältin zur Mutter. „Die arbeitet mit allen Tricks“, sagt der Anwalt zum Vater. Würde man Mutter und Vater einmal dabei zuschauen, wieviele Tränen sie während einer psychoanalytischen Therapiestunde vergießen, welche Wünsche, Ängste und Absichten wirklich der Motor für ihr Handeln sind, dann würde man sofort aufhören, von „Spielchen, Stalking, Spinnereien, Kontrollzwang, Instrumentalisierung, Überbehütung, Leichtsinn“ zu sprechen.

Eltern wollen eigene negative Kindheitserlebnisse vom Kind fernhalten

Kinder wollen häufig ihre Eltern heilen. Und umgekehrt: Eltern wollen, dass ihrem Kind nicht das widerfährt, was ihnen widerfahren ist. Die Mutter hatte strenge Eltern, also möchte sie dem Kind viele Freiheiten lassen. Der Vater hatte vernachlässigende Eltern, also möchte er dem Kind Strenge, Grenzen und Struktur zukommen lassen. Das Ziel beider Eltern ist oft dasselbe: Sie wollen heilen, sie wollen wiedergutmachen, sie wollen, dass es ihrem Kind gut geht. Wenn sie erleben, dass es ihrem Kind besser geht, als es ihnen ergangen war, dann erleben sie auch eine eigene „innere Heilung“. Wenn Eltern sich lieben und zusammenleben, dann können Vater und Mutter wechselseitig auch einmal dem anderen zuliebe auf die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen verzichten. Wenn aber der andere während der Trennung zum Feind wird, verstärkt sich die Sehnsucht, dem eigenen Kind nur das eigene (phantasierte) Gute zukommen zu lassen.

Die Vorstellungen von Vater und Mutter sind dann in vielerlei Hinsicht nicht mehr vereinbar. Von dem Gericht erhoffen sich Vater und Mutter, dass ein Richter sagt: „Hier geht’s lang – und daran halten sich beide.“ Das kann erst einmal wie Erlösung und Erleichterung aussehen. Doch dann drückt irgendwann der Schuh der Fremdbestimmung. Vater und Mutter haben dann unter Umständen nun beide das Gefühl, irgendwie nicht zu ihrem Recht zu kommen. Vielleicht „gewinnt“ mal der Vater und mal die Mutter, was dann wieder zu neuen Streitrunden anregt – solange das Geld reicht.

Wie auch immer die Eltern es drehen, was auch immer sie tun: Am Ende bleibt oft ein Gefühl des Unbefriedigtseins. Mich stimmt der Satz einer Kollegin nachdenklich, die als Übersetzerin am Familiengericht arbeitet:

„In den Familiengerichtsverfahren gibt’s immer sehr viel Aufregung. Es geht drunter und drüber. Aber am Ende passiert nichts – außer, dass die Kinder älter werden.“

Am besten helfen befriedigende Beziehungen. Mutter und Vater finden vielleicht bei ihren Therapeuten Halt. Oder es finden sich gute Verwandte oder Freunde, die beide Seiten gut kennen und die Innenwelten von Vater und Mutter verstehen. Menschen, die sehen, dass die Eltern hier nicht die „Erwachsenen“ sind, sondern dass es bei den Eltern um eigene kindliche Gefühle geht, können ihnen wirklich beistehen. Manchmal wird eine Art innere Versöhnung möglich, oft wird auch die Trennung lebbar. Der andere ist dann nicht mehr nur der „Böse“ und die Angst um das Kind wird erträglich.

Soll ich vor Gericht ziehen?

„Mein Ex-Mann gibt dem Kind seine Medikamente nicht.“ – „Der Vater schleppt das Kind am Wochenende mit in eine radikal christliche Gemeinde.“ – „Der Vater versetzt mich immer in Angst: Er droht mir ständig, das Kind wegzunehmen.“ Viele Alleinerziehende – Väter wie Mütter – stehen früher oder später vor der Frage: „Soll ich vor Gericht ziehen?“ Gerade wenn die Kinder noch klein sind, machen sich viele Eltern unglaublich große Sorgen. Wer allein mit dem „drohenden Vater“ oder der „verrückten Mutter“ ist und sieht, was alles schief geht, der erhofft sich von einem Dritten die Rettung. Doch manchmal ähnelt der Weg zum Anwalt dem hoffnungsvollen Weg zu einem Arzt: Mit der schweren chronischen Krankheit merkt man bald, dass es sehr schwierig ist, den richtigen Arzt zu finden.

Portale wie „www.re-empowerment.de“ und Bücher wie „Die Masken der Niedertracht“ sind einerseits sehr wichtig. Andererseits können diese Angebote hier und da einen ähnlichen Effekt erzeugen wie die Diskussionen um Kindesmissbrauch und sexuelle Gewalt in der Kindheit: Zwar wird man endlich aufmerksam, doch zwischen dem eindeutigen Gut und Böse bleibt vieles ungeklärt. Die Probleme sind in der Tat riesig – viele Frauen und Männer fühlen sich bedroht und haben das Gefühl, nicht mehr frei atmen zu können. Dieses Gefühl, keinen Ausweg zu sehen, ist furchtbar.

Eine Etage höher

Oft führt der erste Weg zu einer Paarberatung, einer Erziehungsberatungsstelle oder zum Jugendamt. Doch immer wieder gehen die Eltern unbefriedigt nach Hause. Viele Eltern landen irgendwann beim Anwalt. Der soll nun dem anderen endlich zeigen, dass es so nicht weiter geht. Dann kommt das Gericht dazu, eventuell auch ein Verfahrenspfleger. Und schließlich sind die Eltern umzingelt von helfen-wollenden Menschen. Die Schriftsätze der „Gegenseite“, die ins Haus flattern, machen alles nur noch schlimmer. Keiner erkennt sich in diesen Schriftsätzen wieder. Alles scheint gelogen und aufgebauscht. Da wird taktiert, da ist System.

Oftmals empfinden Vater und Mutter die Anwaltsschreiben schlimmer als die Mails und Beschimpfungen, die sich die Eltern zuvor persönlich lieferten. Der gesamte Streit geht weiter – er wird mit dem Einschalten des Gerichts oft nur auf eine andere Ebene gehoben. Auch, wenn das Gericht oft helfen kann, so macht es eben genauso oft auch alles nur schlimmer. Der Grat dazwischen kann sehr schmal sein.

Krank

„Der Vater ist ein Narzisst.“ – „Die Mutter ist eine Borderlinerin.“ Festzustehen scheint: Beide Eltern sind wohl krank. Wie sonst könnten sie sich so „benehmen wie Kinder“? „Reißen Sie sich doch zum Wohle des Kindes zusammen“, lautet die unausgesprochene Aufforderung der „Helfenden“. „Wie die Kinder“, urteilen viele über die Eltern. „Ein Rosenkrieg“, sagen andere. Viele Berater, Anwälte, Verfahrenspfleger, Familienrichter sind unglaublich bemüht. Doch der moralisierende Zeigefinger bleibt erhoben. Die „Helfer“ erwarten, dass die Eltern sich „erwachsen“ verhalten. Was die Eltern jedoch oft vermissen, ist ein echtes Verstanden-Werden.

Es geht tatsächlich oft um kindliche Gefühle und kindliche Nöte im Erwachsenen. Diese Nöte fühlen wohl alle Erwachsenen immer wieder. Das, was wir als Kinder erfahren haben, prägt uns. Vater und Mutter wollen, dass ihr Kind nicht das erleiden muss, was sie selbst erlitten haben. Vater und Mutter vertrauten sich einst als Paar und sie liebten sich. Sie konnten Kompromisse eingehen. Oft war der Weg zur Trennung lang. Der Argwohn wuchs über lange Zeit.

Was der Vater sich für das Kind wünscht, wünscht sich die Mutter oft nicht – und umgekehrt. Die Mauer zwischen den beiden wächst. Jeder hat Angst. Jeder verstärkt die Abwehr. Nachgeben ist bald unmöglich. Die inneren Konflikte und die inneren Spannungen sind genauso groß wie die äußeren Konflikte. Mit „Vernunft“ und „Erwachsensein“ hat das wenig zu tun. Eher mit der Frage von „Gehaltensein“, „Geborgensein“ und „Frei sein“.

Die Mutter befürchtet, der Vater könnte das Kind nicht zurückbringen. Der Vater befürchtet, die Mutter könnte ihm das Kind entziehen – oder umgekehrt. Das sind elementare Ängste. Sie sind den Ängsten des Kindes, es könnte Mutter oder Vater verlieren, mitunter sehr ähnlich.

Das Wohl der Eltern ist das Wohl des Kindes

Gute „Helfer“ sehen, dass das Wohl des Kindes nur möglich ist, wenn es beiden Eltern gut geht. Wenn die Eltern weitgehend angstfrei sind und wenn es jemanden gibt, der Mutter oder Vater oder am besten Mutter und Vater versteht. Dabei geht es oft nicht um das Verstehen der sachlichen Argumente und der äußeren Realitäten. Vielmehr müssten die unbewussten Ängste, die Phantasien, Wünsche und Ohnmachtsgefühle von Vater und Mutter betrachtet werden. Das Kind ist ein Teil des Herzens von Vater und Mutter. Jedes Elternteil schmerzt es unglaublich, wenn ihm ein Teil seines Herzens entrissen wird. Zu diesem Entreißen kann auch gehören, dass ein Elternteil mit ansehen muss, dass das Kind teilweise so lebt, wie man es sich selbst für das Kind nicht gewünscht hätte.

Menschen

Es ist schwierig, es einmal auszuhalten, Vater und Mutter nicht abzustempeln, nicht zu entwerten. Was, wenn der Vater kein Narzisst ist? Was, wenn die Mutter nicht krank ist? Wenn man beide einfach als Menschen betrachtet, die das Gefühl haben, sich und ihr Kind schützen zu müssen? Was, wenn der „Stalker“ einfach nur Angst hat? Neugierig ist? Sich grenzenlos um sein Kind sorgt? Wenn Begriffe wie diese nur die Sache verschlimmern, statt sie zu verbessern? Die Etiketten machen es den Eltern manchmal möglich, der Situation einen Namen zu geben und alles fassbarer zu machen. In einem Schwebezustand fühlt man sich schließlich schon oft genug.

Doch wenn Vater und Mutter wirklich Unterstützung bekommen, dann kann ein neuer Raum entstehen. Diese Unterstützung kann ein neuer Partner liefern, ein Therapeut, ein Freund, ein weiser Jugendamtsmitarbeiter – leider ist es oft schwierig, die richtigen Menschen zu finden, die es ermöglichen, dass es dem Vater und der Mutter wieder besser geht.

Raum schaffen

Sind die Spannungen groß, dann haben Vater und Mutter stets das Gefühl, sofort reagieren zu müssen. Hin und her gehen dann die Entscheidungen, die Worte, die Angriffe. Man reagiert schnell und fühlt sich hinterher doch nicht besser. Sind Vater und Mutter jeweils selbst gut geborgen, dann fällt es ihnen leichter, wieder mehr Raum zu lassen. Dann fällt es leichter, wieder über die Dinge nachzudenken oder Schwebezustände und Ungewissheit auszuhalten. Der Richter muss dann nicht mehr schnell mit dem Hammer eine Entscheidung fällen. Sind die Eltern gehalten, dann können sie es aushalten, einmal zu schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Es ist ein Kraftakt. An Schlaf ist da oft nicht mehr zu denken.

Doch die Zeit hilft – werden die Kinder älter, lässt oft die Dramatik nach. „Kleine Kinder große Sorgen, größere Kinder, kleinere Sorgen“ könnte man hier sagen. Den meisten Eltern gelingt es wohl, sich zu sortieren und wieder zu sich zurückzufinden. Die Suche nach Unterstützung ist wichtig. Bei Gericht ist sie jedoch oft nicht zu finden. Die Menschen, die wirklich hilfreich sind, sind manchmal ganz in der Nähe.

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Diesen Beitrag habe ich erstmals veröffentlicht im November 2014.
Aktualisiert am 8.6.2015

One thought on “Gemeinsames Sorgerecht – ja oder nein? Familienanwälte machen manchmal alles nur schlimmer

  1. Wüstenblume sagt:

    In einer für mich und mein Kind furchtbaren Zeit haben Ihre Zeilen einen erfrischenden Effekt. Vielen Dank!

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