Wie werde ich Psychoanalytiker*in? Den Rahmen halten.

„Mir ging es am Ende der Stunde wirklich nicht gut und dennoch hat mein Analytiker die Sitzung pünktlich beendet. Manchmal hat dieser strenge Rahmen etwas Grausames.“ Die Psychoanalyse ist für ihren strengen Rahmen bekannt: Die Stunden fangen pünktlich an und hören pünktlich auf (nicht so bei Lacan allerdings).

Es gibt in der Psychoanalyse keine Berührungen außer dem Händeschütteln am Anfang und am Ende der Stunde. Die Stundenzahl ist festgelegt auf drei, vier oder fünf Sitzungstermine pro Woche. Normalerweise liegt der Patient auf der Couch, der Analytiker sitzt dahinter. Was gesagt wurde, unterliegt der Schweigepflicht. Muss der Patient eine Stunde absagen, wird bei vielen Psychoanalytikern ein Ausfallhonorar fällig.

Die Psychoanalyse braucht diesen Rahmen, weil sie dem Unbewussten Raum gibt. Das Unbewusste ist unbegrenzt, es tobt sich aus, es erscheint oft chaotisch, auch wenn es seine eigene Logik hat. Patient und Analytiker setzen unbewusst Dinge in Szene, die in höchstem Maße emotional sind. In der Psychoanalyse geht es um traumatische Erfahrungen, um alptraumartige Zustände, um Hass, Wut, Neid, Alleinsein und Gewalt.

„Über den Rahmen müssen wir nicht sprechen. Der Rahmen ist eine innere Haltung des Analytikers“, sagt eine Psychoanalytikerin. | „Alles entzündet sich am Rahmen“, heißt es. Probleme ergeben sich durch Ferienregelungen, Zeitenregelungen und Honorare.

Der Patient greift den Analytiker mitunter an, will ihn verwirren, nimmt ihn in seinen Bann, quält ihn oder will ihn verführen. Der Patient macht es so, dass sich alles wieder so anfühlt wie früher. Ein sicherer Rahmen ermöglicht es, dass sich diese Szenen entfalten können. Und er ist wie ein Ufer: Patient und Analytiker wissen, dass die schweren und die schönen Stunden ein Ende haben.

Der Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering (1818-1892) sagte zur „Form“, was auch auf den Rahmen der Psychoanalyse zutrifft: „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen.“ Rudolf Jhering: Haften an der Äußerlichkeit. III. Der Formalismus. 45. Nachzulesen bei: www.deutschestextarchiv.de/…

Psychoanalyse ist ein bisschen wie die Tagesschau: (fast) täglich, pünktlich, die Form wahrend.

Rahmenbrüche wirken traumatisch

Die Ferien des Analytikers sind für die Patienten oft eine Herausforderung. Werden die Urlaubstage schlecht abgesprochen, ist dies für die Patienten besonders traumatisch. Rahmenbrüche jeglicher Art sind in der Psychoanalyse gefährlich, können zur (Re-)Traumatisierung und Therapieabbrüchen führen. Der amerikanische Psychoanalytiker Robert Joseph Langs, pep-web.org (1928-2014) schreibt:

(Übersetzt von Voos:) „Der Rahmenbruch an sich – ob im täglichen Leben oder in der Therapie – ist ein weiteres Element, das ganz beachtlich zur traumatischen Ladung einer schmerzvollen Situation beiträgt. Beispielsweise ist die körperliche Attacke, die eine Mutter gegenüber ihrem Kind ausübt, weitaus schlimmer als eine ähnliche Attacke, die von einem Fremden ausgeht. Abweichungen, die vom Therapeuten ausgehen, wie eine Honorarerhöhung, eine Veränderung des Sitzungstermins oder das Gespräch mit einem Verwandten des Patienten, sind immer sehr traumatisch.“ | (Original:) „Frame breaks per se – in everyday life and even more so in therapy – are another element that adds considerably to the traumatic valence of a hurtful situation. For exemple, a physical attack by a child’s mother is a far more traumatic experience than a similar assault from a stranger, while hurtful deviations by the therapist, such as increasing a fee or changing the time of a session or seeing a relative of a patient are, as noted, always strongly traumatic.“ Robert Langs: Science, Systems and Psychoanalysis, Routledge, Karnac Books, New York, 1992: S. 163

Interessanterweise können auch Bemühungen, den Rahmen aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen, in gewisser Weise ebenfalls traumatisch wirken. Robert Langs schreibt:

„Bestimmte Formen von Stress haben stark traumatisierende Wirkung: Hierzu gehören körperliche Angriffe, Krankheit, Rahmenbrüche jeglicher Art und Rahmen-sichernde Momente. Obwohl letztere eigentlich heilsam und nicht-traumatisierend sind, lösen sie auf einer bestimmten Ebene Stress aus. Sie mobilisieren Ängste vor dem Tod, dem Eingesperrtsein und ähnliches.“ | „Particular forms of stress have strong traumatic valences: these include physical attack or illness, frame breaks of any kind, and frame-securing moments that, though inherently curative and non-traumatic on one level, are universally stressful on another – mobilizing death, entrapment and similar anxieties.“
„… For certain vulnerable patients who harbour traumatic memories in their D_UCS-M Systems (Anmerkung: Deep Unconscious Memory System), secure frame moments are paradoxically dreaded because of the terrible images they conjure up – most of them to premature and over-intense exposure to death-related issuses that the system deeply feels unprepared to process (Langs, 1988a).“ (S. 163)
„There is much to be studied regarding the potential for SOL (Anmerkung: System Overload) under secure and deviant frame conditions.“ (S. 168)

„Ich bin so müde vom Halten des Rahmens“

Den Rahmen zu halten ist oftmals anstrengend – sowohl für den Analytiker, der verantwortlich ist, als auch für den Patienten mit seinen Sehnsüchten, Aggressionen und Schwächen: Jede Stunde pünktlich zu erscheinen, ist für viele Patienten extrem schwierig. Und der Analytiker denkt vielleicht: „Manchmal kommt es mir vor, als müsste ich einen schweren Holzrahmen halten, obwohl meine Arme immer schwächer werden.“

Diese Situation kennen Eltern vielleicht, wenn sie mit ihren Kindern am Ende ihrer Kräfte sind, wenn sie lieber mal nachgeben, anstatt zu diskutieren oder einen Punkt zu setzen und wenn es ihnen schwer fällt, konsequent zu sein. Manche Eltern meinen, sie müssten sich anstrengen, um von den Kindern „Respekt“ zu erhalten. Doch der Respekt kommt von selbst, wenn die Eltern ihr Kind respektvoll behandeln und auch sich selbst ernst nehmen können. Der Vater/die Mutter bleibt der Vater/die Mutter. Der Analytiker ist immer der Analytiker. Die Vorstellung, dass der Rahmen in gewisser Weise auch etwas „Naturgegebenes“ ist, kann erleichtern.

Termine möglichst einhalten

„Fühle ich mich zu krank oder kann ich mich noch in die Stunde schleppen?“ Eine schwierige Frage, die wohl fast jeder Psychoanalytiker kennt. „Werde ich die Stunde durchhalten können?“ Während ich früher im Zweifel die Stunde eher absagte, lasse ich sie heute – besonders bei schwer leidenden Patienten – eher stattfinden. Meiner Erfahrung nach verkraften die Patienten es besser, wenn die Stunde stattfindet, auch wenn man nicht ganz auf der Höhe ist, als wenn man sie absagt. Auch für mich selbst fühlt es sich oft besser an, die Stunde mit Beschwerden „durchzuhalten“, als sie abzusagen. Es braucht ein gutes Körpergefühl, um entscheiden zu können, ob man durch das Weiterarbeiten etwas verschleppt oder ob es gut geht.

„Soll ich mich noch kurzfristig zu dieser Veranstaltung anmelden und die Sitzung verschieben, oder auf den interessanten Vortrag verzichten?“ – das ist eine ganz andere Frage. Hier ist es eher sinnvoll, auf die interessante Veranstaltung zu verzichten. Gerade schwer traumatisierte Patienten sind unglaublich empfindlich, was das Nicht-Einhalten von Stunden angeht. Der gesamte analytische Prozess wird durch ausgefallene Stunden gestört.

Manche Analytiker sagen, es sei leichter, eine Stunde ganz ausfallen zu lassen, als einen Ersatztermin anzubieten, andere sehen es anders. Die Antwort ist auch abhängig davon, wie oft der Patient pro Woche kommt, ob er sich in einer Krise befindet, ob er schon lange in Analyse ist oder ob er noch ganz am Anfang steht.

Ankündigungen

Ferientage sollten relativ lange Zeit im Voraus angekündigt werden. Wird der Patient überraschend und zu spät mit Praxisferien konfrontiert, kann es sogar dazu kommen, dass er die Therapie abbricht. Ein Außenstehender wird sagen: „Das ist doch völlig übertrieben!“, doch wer sich als Patient im psychoanalytischen Prozess befindet, der weiß, wie empfindlich dieses System ist. Die Psychoanalytiker Robert Langs (1928-2014), William Meissner (1931-2010) und der Neurowissenschaftler KarlPribram.com (1919-2015) schreiben in ihrem Buch „Science, Systems and Psychoanalysis“ (Routledge, 1992) darüber.

„Mir hat das gar nichts ausgemacht“, sagt so mancher Patient zuerst, wenn der Therapeut „vergessen“ hat, freie Tage rechtzeitig anzukündigen. Doch im Laufe der weiteren Analyse zeigt sich oft, wie sehr er doch darunter leidet.

Regression bedenken. Ein Patient, der sich auf die Analyse eingelassen hat, befindet sich in einem regressiven Zustand. Er ist empfindlich – das Bewusstsein dafür entwickelt sich meistens in der Ausbildung. Doch auch, wenn man selbst spürt, wie empfindlich man selbst in der Lehranalyse ist, kann es sein, dass man den Patienten für robuster hält als sich selbst.

Allein die Stabilität wirkt heilend

Wie die Stunden verlaufen, ob es „gute“ oder „schlechte“ Stunden sind, was der Analytiker sagt oder nicht sagt – all das ist natürlich wichtig für die Analyse. Aber unabhängig von all dem wirkt sich auch die sichere Regelmäßigkeit der Stunden heilsam aus. Finden die Sitzungen so gut wie immer statt, gewinnt der Patient Sicherheit. „Mein Therapeut wird da sein. Er ist gesund, ich muss mir keine Sorgen machen“ – dieses sichere Gefühl kann der Patient nur entwickeln, wenn die Sitzungen so gut wie immer stattfinden.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Dieser Beitrag wurde erstmals verfasst am 11.5.2018
Aktualisiert am 5.12.2025

Schreibe einen Kommentar