„Wenn’s mir gut geht, geht’s mir schlecht.“

„Wenn ich mich entspanne und mich eigentlich wohlfühle, geht’s mir auf einmal ganz schlecht“, sagst du vielleicht. Manche fühlen sich depressiv, kurz nachdem sie von körperlichen Schmerzen befreit worden sind oder wenn eine beschwerliche Zeit beendet ist. Die Psyche hat da manchmal ihre ganz eigene Logik. Wer von der Mutter früh und andauernd gequält wurde, der empfindet unter Umständen unbewusst: Abwesenheit von Schmerz gleich Abwesenheit der Mutter.
Der Schmerz, um den man sich kümmern muss und der einen „im Griff“ hat, ist etwas, das „da“ ist – auch, wenn man ganz alleine ist. Fehlt er, kann das unangenehme Gefühl des Verlassenseins auftauchen. Da irgendwie Bindungen und Zusammenhänge zu fehlen scheinen, kannst du in guten Situationen vielleicht sogar das Gefühl haben, verrückt zu werden. Dieses Gefühl entsteht oft, wenn Zusammenhänge fehlen, wie wenn du z.B. ein Wort lange anschaust und es dadurch aus dem Satz herausnimmst.
Es kann auch sein, dass du nicht gefunden hast, was du wirklich suchtest oder dass dir die glückliche Situation irgendwie das Gefühl gibt, du müsstest dich jetzt freuen. Vielleicht bist du auch glücklich, weil du verliebt bist, doch dann kommt sofort die Phantasie hinterher, dass du dich nicht mehr frei bewegen dürftest und dein Leben nicht mehr leben dürftest. Es kann auch sein, dass du meinst, nun alles Schlechte verstecken zu müssen und keinen Gesprächsraum mehr für deine inneren Qualen findest. Wenn es uns schlecht geht, dann fühlen wir uns wenigstens vom schlechten Wetter verstanden. Wenn es uns gut geht, fühlen wir uns vielleicht wie auf einem Zehnmeterbrett.
Die glückliche Situation ist nur schwer zu ertragen: Du glaubst, du müsstest dich nun überanpassen und dürftest das Wahre nicht mehr zeigen. Es kann helfen, das Glück etwas aus der Ferne zu betrachten – so wie wir einen geliebten Menschen wieder mehr spüren können, wenn wir einen Schritt zurückgehen, anstatt ihn verschlingen und kontrollieren zu wollen. Manchmal lässt sich das Unglücklichsein im Glück auch gar nicht erklären. Wir können es vielleicht aber immerhin beobachten.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 6.2.2018
Aktualisiert am 12.8.2025