Psychoanalytische Angsttheorien bei Freud, Klein und Bion. Angstformen nach Plänkers
Sigmund Freud, Melanie Klein und Wilfred Bion haben mit ihren über viele Jahre entwickelten Angst-Theorien dafür gesorgt, dass Psychoanalytiker und Psychotherapeuten heute mit diesen Grund-Theorien im Hintergrund analysieren und therapieren können.
Erste Angsttheorie von Sigmund Freud, 1895: Dass die nicht ausgelebte Libido (Lust am Leben, an der Sexualität) sich einfach umwandelt in Angst, das glaubte Sigmund Freud (1856-1939) zunächst. Man kann sich das vorstellen wie Milch, die sauer wird: Die gehemmte Libido verwandelt sich quasi automatisch in Angst. Später ging Sigmund Freud davon aus, dass es die Triebe generell sind, die zur Angst führen können. Die Triebregungen in uns (z.B. „Ich will mit meinem Chef schlafen“) lösen Angst in uns aus, wenn sie unangemessen sind. Wenn wir unsere Triebe verdrängen, entsteht Angst, weil der Trieb sozusagen „durchbrechen“ will. Diese Entstehung der Angst hängt eng mit unserem Über-Ich zusammen. Unser Über-Ich verbietet uns, unserem Trieb nachzugehen.
Die Angst als Reaktion auf einen „verbotenen Trieb“ nannte Freud auch die „Signalangst“. Der verbotene Trieb war das „Signal“, die Angst ist die Reaktion darauf. „Signalangst“ heißt sozusagen: „Vorsicht, darunter ist ein Trieb!“
Geburtsangst: Dass die Angst unbedingt mit der Geburtsangst/dem Geburtstrauma zu tun habe, glaubte Sigmund Freud im Gegensatz zu dem Psychoanalytiker Otto Rank nicht. Sein Argument gegen die generelle Verknüpfung von Angst und Geburtstrauma war die Beobachtung, dass kleine Kinder erst im Laufe der Zeit verschiedene Ängste entwickeln.
1926 entstand Freuds Signalangsttheorie: Die Angst ist der Motor der Verdrängung. Das Ich ist dabei die Angststätte: Freud unterscheidet zwischen Realangst, neurotischer und traumatischer Angst. Angst entsteht im Rahmen des Ödipuskomplexes als Kastrationsangst. Es gibt innere Gefahren, die mit Entwicklungskonflikten verbunden sind. Die Signalangsttheorie enthält eine entscheidende Neuerung: Hatte Freud bei der ersten Angsttheorie noch ein überwiegend physiologisches Verständnis von Angst, so versteht er die Angst jetzt als psychologisches Ereignis. Die Angst hat eine Bedeutung im Rahmen der inneren Instanzen: z.B. gibt es die Angst vor einer Strafe durch das Über-Ich.
Behandlungsziel ist das Bewusstmachen verdrängter sexueller Wünsche. Der Umwandlungsprozesses „Libido > Angst“ soll umgekehrt werden, sodass sich die Libido entfalten kann. Es sollen unbewusste Konflikte aus der Kindheit sowie die Kastrationsangst und der Ödipuskomplex aufgedeckt werden.
Melanie Klein (1882-1960)
Die Angst determiniert psychische Erkrankungen. Angst ist der Entwicklungsmotor des Seelenlebens. Das Objekt (= die andere Person) hat bei der Bewältigung der Angst eine entscheidende Bedeutung.
Es gibt eine Verfolgungsangst und eine depressive Angst.
- Verfolgungsangst: Aggressive Impulse werden auf das Objekt projiziert. Dann erfolgt die „Introjektion“ des Objekts (das heißt, das Kind holt das Objekt psychisch sozusagen in sich herein). Daraufhin wird das Objekt im Kind zum verfolgenden inneren Objekt.
- Depressive Angst: Das Kind hat nun Sorge, dem Objekt (sprich der Mutter) Schaden zugefügt zu haben. Es hat Schuldgefühle und ein Bestreben zur Wiedergutmachung.
Psychologische Neuerung: Die Innenwelt bekommt ein Innenleben: Internalisierte Objektbeziehungen führen zu einem inneren Bedeutungsraum, der wiederum nach außen projiziert wird. Die Innenwelt enthält eine innere Beziehungswelt, die als real erlebt wird.
Behandlungsziel ist die Anerkennung von Getrenntheit und Abhängigkeit vom Objekt. Es soll eine Entwicklung hin zur depressiven Position stattfinden.
Die Psyche ist ein Instrument, um emotionale Erfahrungen denken zu können. Es gibt einen Urzustand der Gefühle, also unverdaute emotionale Erfahrungen (Beta-Elemente). Das Kind scheidet diese Beta-Elemente sozusagen aus, indem es die Beta-Elemente durch projektive Identifizierung bei der Mutter unterbringt. Die Mutter funktioniert wie ein „Container“. Sie bewahrt die Projektionen auf, verdaut sie und gibt sie dem Kind später zurück.
Sie transformiert die Beta-Elemente in Alpha-Elemente. Aus einem vormals „n-dimensionalem Angst-Raum“ (enthält traumatische, namenlose Angst, die unverdaulich ist) wird ein dreidimensionaler Raum, in dem das Kind die Mutter als denkendes Objekt in sich aufnimmt (internalisiert). Mangel und Abwesenheit können gedacht werden. Dadurch, dass die Angst eine Bedeutung bekommt, wird sie tolerierbar. Die Angst ist nicht mehr namenlos, sondern erhält eine Signalfunktion (das heißt, sie weist auf etwas hin). Bion liefert also ein Erklärungsmodell zur Entstehung eines inneren Raumes. Es ist ein Modell der Psychisierung.
Je nach Funktionsniveau versteht der Patient die Deutungen des Analytikers entweder konkretistisch oder abstrakt.
Behandlungsziel bei Bion ist die Entwicklung eines psychischen Raumes. Der Patient soll sich die verstehende Funktion des Analytikers zu eigen machen (Internalisierung der Verstehensfunktion). Es entsteht psychische Separation. Der Patient soll befähigt werden, zu triangulieren. Somit kann er relativieren und die Dinge aus einer Meta-Position betrachten.
Quelle der Zusammenfassung:
Tomas Plänkers: Trieb, Objekt, Raum. Veränderungen im psychoanalytischen Verständnis der Angst
Psyche, 2003, 57(6), 487-522. www.psychosozial-verlag.de/51281
Angstformen nach Tomas Plänkers
Angst ist nicht einfach nur Angst. Während der Eine nur für Augenblicke unter nachvollziehbarer Angst leidet, können andere Menschen über Stunden und Tage schwersten Angstwellen ausgesetzt sein. Was macht den Unterschied zwischen den Ängsten aus? Der Psychoanalytiker Tomas Plänkers, Wikipedia hat verschiedene Aspekte der Angst in einem Beitrag zusammengestellt („Trieb, Objekt, Raum.“ Psyche, 2003).
***Die Psychologen Richard Rink und Johannes Pries haben die Essenzen aus Tomas Plänkers Beitrag in einem Vortrag in der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf im Mai 2017 zusammengetragen. Diesen Blog-Post durfte ich davon ableiten – vielen Dank!***
Neurotische Objektbeziehung: Bei Ängsten auf der neurotischen Ebene kann der Betroffene sich selbst vom anderen gut unterschieden. Es gibt eine gute „Selbst-Objekt-Differenzierung“.
Raum: Es besteht ein triangulärer Selbst-Raum, das heißt, der Betroffene erlebt sich nicht als eingeengt, sondern hat einen inneren Spielraum, in dem er sich beweglich fühlt.
Angst: Auf dieser neurotischen Ebene finden sich: Depressive Angst (Angst vor Verlusten [Verlustangst], Angst vor schlechtem Gewissen [Gewissensangst]), Signalangst, Alpha-Angst: Hier kämpft der Betroffene mit inneren Ängsten, z.B. wenn innere Triebe zu stark werden: „Wenn ich noch wütender werde, schlage ich dem anderen ins Gesicht und schade mir damit selbst.“ Der Betroffene versucht, seine Gefühle abzuwehren. Auch die Kastrationsangst (also Angst vor dem Beschnittenwerden in jeglicher Form) sowie die Angst vor äußeren Gefahren gehören dazu.
Intrusive oder außen anhaftende Objektbeziehung: Besteht eine „intrusive“ oder eine „an der Oberfläche haftende Beziehung“, erlebt der Betroffene sich einerseits so, als sei er nicht vom anderen getrennt. (Anmerkung: Andererseits leidet er oft unter dem Gefühl, gar nicht an den anderen heranzukommen, emotional nicht „in den anderen hinein“ zu kommen.) Diese Form findet man häufig bei der Borderline-Störung, der Perversion und dem Narzissmus.
Raum: Der Betroffene erlebt einen „pseudo-triangulären Nicht-Selbst-Raum“. Beispielsweise befindet sich der Betroffene in der unbewussten Phantasie in einem Raum in der Mutter, einem Klaustrum. Es ist, als gäbe es so etwas wie einen „Beuteltier-Raum“. Der Raum ist zweidimensional (Haut-Ich, Second Skin, Beuteltier-Raum, Adhäsive Identifizierung).
Angst: Ängste äußern sich als Klaustrophobie, Agoraphobie, Verfolgungsangst.
Psychotische Ojbektbeziehung: Bei der psychotischen Objektbeziehung sind das Selbst und das Objekt (also der Betroffene sowie der andere) sozusagen verlorengegangen.
Raum: Die Betroffenen fühlen sich bodenlos, wie im freien Fall, der Raum ist „n-dimensional“.
Angst: Die Angst ist namenlos („Beta-Angst). Es besteht eine psychotische, katastrophische, traumatische Angst, wie sie im Angstanfall bzw. in einer Panikattacke erlebt wird.
Jeder Mensch kann die verschiedenen Ängste erleben. Bei psychischen Erkrankungen können bestimmte Angstformen überwiegen. Die Angst wird in der Psychoanalyse durch den Rahmen abgemildert und durch die Deutung verändert. Dazu brauchen die Betroffenen viel Geduld, doch gerade die „namenlosen Ängste“ können durch eine Psychoanalyse häufig gut beeinflusst werden.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 22.7.2017
Aktualisiert am 20.12.2025