
Stellen Sie sich vor, Ihr Liebster verlässt Sie. Sie trauern darüber, dass die Beziehung zerbrochen ist. Aber Sie genießen es auch, anderen zu erzählen, wie fies Ihr Partner zu Ihnen war. Ihre Darstellungen werden immer dramatischer. In Ihren Träumen stellen Sie sich vor, Sie wären todkrank und Ihr Liebster käme an Ihr Sterbebett und würde seine Taten zutiefst bereuen. Sie gehen vielleicht als „Verlierer“ aus dieser Beziehung hervor, aber Sie können wunderbar „Sieger im Leiden“ sein.
„Ich bin die Ärmste!“
Wer sein Leiden selbst verschlimmert und daraus einen Sieg macht, der feiert einen „masochistischen Triumph“. Anstatt die Aggression gegen den anderen zu richten und ihm die Meinung zu sagen, legt man sich mit gegen sich selbst gerichteten Aggressionen, vielleicht mit Kopfschmerzen, ins Bett.
Oft ist es viel schwieriger, den eigenen Anteil am Leiden zu sehen und einen Weg zum Besseren zu finden, als im Leiden zu verharren und es ein wenig – selbstverständlich vor den Augen der anderen – zu zelebrieren.
So will man sich am Täter rächen. Soll er doch sehen, was er Ihnen angetan hat! Er soll sich so richtig, mächtig schuldig fühlen. Darauf zu verzichten, den anderen an den Pranger zu stellen, kann ein regelrechter Kraftakt sein. Aber es ist auch ein Trennungsschritt, der es ermöglicht, neue Wege zu gehen.
Wer gequält wurde, zeigt durch masochistischen Triumph auch: „Seht her, ich werde gequält!“ Das kann Lust bereiten. Darin kann aber auch die Hoffnung stecken, dass endlich jemand kommt und das Leiden beendet.
Lust am Leiden?
Die „Lust am Leiden“ hat viele Ursachen und Formen. Oft ist masochistisches Verhalten auch der Versuch, schlimmeres, ungesteuertes Leiden zu verhindern – das Leiden ist dann quasi ein „Nebenprodukt“, das bei diesem Versuch entsteht (siehe z.B. Joseph Fernando: The Processes of Defense, 2009). Wer sich intensiv mit diesem Thema beschäftigen möchte, der wird in dem Buch „Das Rätsel des Masochismus“ des Psychoanalytikers Leon Wurmser Antworten auf viele Fragen finden.
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Buchtipp:
Léon Wurmser:
Das Rätsel des Masochismus.
Psychosozial-Verlag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 23.7.2012.
Aktualisiert am 4.10.2021
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