„Mein Partner schweigt mich nur noch an – was soll ich tun?“ Angeschwiegen zu werden ist der grösste Schmerz – manchmal hilft nur Trennung

Es fühlt sich unerträglich an, wenn dein Partner/deine Partnerin bei einem Streit ins Schweigen verfällt. Du kannst nichts tun. Wenn du selbst der/die Schweigende bist, kommt der Drang zu sprechen nach einer Weile wieder zurück. Aber der andere soll nicht das Gefühl haben, dass damit alles wieder gut sei. Also schweigst du weiter. Dir ist es wichtig, dass dein Partner weiterhin weiss, dass etwas nicht in Ordnung ist. Als ob er alles sofort wieder vergessen würde.
Ihr leidet beide unter dem Nicht-Sprechen. Wenn du schweigst, wartest du vielleicht auf eine Lösung, die jedoch nicht kommt. Wenn du angeschwiegen wirst, fühlst du dich, als müsstest du vergehen. Du fragst dich vielleicht, wie lange du diese Situation noch aushältst und denkst möglicherweise über eine Trennung nach.
Dein Nicht-Sprechen ähnelt vielleicht dem Gefühl einer körperlichen Starre – jede Bewegung würde dich auch das psychisch durchschütteln. Es bestünde die Gefahr, in Tränen auszubrechen, so deine Sorge – dann wärest du wieder „unten“, so meinst du. Das Erstarren gibt dir vielleicht ein Gefühl von „Sicherer Burg“.
Wenn du hingegen angeschwiegen wirst, fallen dir vielleicht auch Szenen aus deiner Kindheit ein. Wenn du als kleines Kind vor einer depressiven Mutter standest, die zur Strafe oder aus krankhafter Starre heraus nicht mehr geantwortet hat, war das für dich real sehr bedrohlich. Die Gefühle des Unaushaltbaren waren damals wie auch jetzt vielleicht sehr stark. Das „Still-Face-Experiment“ (Youtube) ähnelt der Situation sehr: Wenn die Mutter nicht lächelt, während das Baby lächelt, wird das Baby sehr verzweifelt. Die sogenannte „Synchronisationsverweigerung“ kann uns regelrecht krank machen.
Während des Streits entsteht mitunter ein Schweigen auf beiden Seiten. Die Luft ist dann zum Schneiden. Hier fühlen sich beide wie gelähmt, wie im Bann eingebunden. Beide haben innerlich vielleicht viele Gedanken – oder da ist nur Leere und Ratlosigkeit.
Um aus dem unfreiwilligen Schweigen während des Streits wieder herauszufinden, kann es hilfreich sein, lange gegen Widerstand auszuatmen (Ujjayi-Atmung). Es kann auch helfen, das aktuelle Gefühl genau zu beobachten und zu versuchen, das Gefühl der Verzweiflung für dich selbst zu beschreiben. Hab Mitgefühl mit dir selbst.
Oft gehen beiden Gedanken durch den Kopf wie: „Ist es nicht besser, sich zu trennen?“ Das kann sich ebenfalls bedrohlich anfühlen. Beide seid ihr dann in einer Situation, die ihr eigentlich nicht wollt. Vielleicht denkt ihr beide aber auch schon länger über Trennung nach. Solche starren Situationen können den Weg zur Trennung ebnen. Vielleicht fehlt euch etwas Drittes, dass euch aus dem Bann holt: Eine warmherzige Therapeutin, ein gemeinsames Projekt oder ein Ziel, eine gemeinsame Hoffnung. Vielleicht ist aber eben auch dieses Dritte gerade zu Bruch gegangen.
Sei dir bewusst, dass Streit auch eine Sogwirkung haben kann. Bist du erstmal drin, dann wird auch die Versuchung spürbar, dich da voll und ganz hineinzubegeben.
Der Meditationslehrer Eckhard Tolle fragt in einem seiner Youtube-Videos so schön: „Hast Du jemals versucht, mit einem Menschen zu sprechen, dessen ‚Pain Body‘ (Schmerzkörper) gerade aktiv ist?“ Die Zuschauer lachen, denn es ist klar, dass der Mensch im Streit gerade wie gefesselt ist davon. Eckhard Tolle erklärt es so, dass wir im Streit in einem Zustand sind, in dem bereits frühere Verletzungen wieder aktiv in uns wüten. Unser Pain Body ist dann aktiv am Werk. Wir können nicht aufhören mit dem Streit.
Werde ich noch geliebt?
Bei einem „Schweigestreit“ kommt auch die Frage auf, ob du dich überhaupt noch geliebt fühlst. Wenn du nicht sprichst, scheinst du die Macht zu haben. Wenn du angeschwiegen wirst, kannst du nichts machen. Besonders schmerzhaft ist es, wenn dein schweigender Partner aber weiterhin freundlich mit anderen redet. Das wirkt dann, als ob er einen „Straf-Modus“ angeschaltet hat. Irgendwann denkst du vielleicht: „Mit mir nicht! Ich brauche Respekt!“
Es kann sehr schwierig sein, der Versuchung zu widerstehen, den Anderen um ein Wieder-Sprechen anzuflehen. Durch das Flehen verlierst du immer mehr den Respekt vor dir selbst. „Ich brauche erstmal Zeit“, sagt vielleicht einer von euch beiden und auch das fühlt sich wieder schrecklich an. Wie lange soll das denn sein und was bedeutet das?
Es ist extrem schwierig, den anderen zu lassen, wegzugehen und sich seinen eigenen Wunden und Gefühlen zuzuwenden. Schreiende Wut, Trauer, aber auch Angst, Verzweiflung und Druck können in dir toben. Vielleicht kannst Du spüren, dass es in Dir einen inneren Beobachter gibt, der das Geschehen ansieht. Dieser innere Beobachter ist ein Teil von Dir, der mitunter als erstaunlich ruhig empfunden wird.
Wenn du immerzu schlecht behandelt wirst, dann sinkt dein Selbstwertgefühl. Manchmal hilft es dann nur, sich vom anderen abzuwenden. Dennoch hast du einen Wert in dir, der unabhängig ist vom anderen. Vielleicht hast Du schon einmal erlebt, wie sich bei der Begrüßung jemand respektvoll vor Dir verneigt. Manche Menschen begrüßen das „Göttliche“ in uns. Das ist immer da. Wir bleiben beseelt, auch wenn der andere uns mit Verachtung straft.
Das Problem des Nichtsprechens ist oft sehr groß. Hier hilft oft die eigene Entwicklung, z.B. eine eigene Psychotherapie oder Yoga. Lass den anderen und sprich mit Menschen, die dir gut tun. Die Einsamkeit innerhalb der Beziehung zählt mit zu den schwierigsten Gefühlen. Meistens ist beiden Partnern diese tiefe Einsamkeit gemeinsam. Auch, wenn sich so etwas wie Mitgefühl für den anderen nicht wecken lässt, so kann das Wissen hilfreich sein, dass beide traurig in einem Boot sitzen und nach einem wohlwollenden Dritten, nach Erlösung und Entwicklung Ausschau halten.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 3.6.2023
Aktualisiert am 22.12.2025