Scham, Sexualität und Autofahren – wie hängt das zusammen?

Der Führerschein ist da und man rast. „Mann, kann der Auto fahren!“, sollen die Leute denken. Doch es ist nicht die Kunst, aufs Gas zu treten. Es ist die Kunst, die richtige Dosierung zu finden und auf dem verschneiten Berg mit Geschick so anzufahren, dass man den Vordermann nicht berührt. Erst mit der Zeit kommen Gefühl und Erfahrung zusammen, sodass das Fahren geschmeidig wird. Ähnlich ist es mit der Sexualität: Vielen fällt es leicht, mit jemandem „in die Kiste zu springen“. Manche haben kein Problem damit, sich nackt zu zeigen und lieben die „schamlose Provokation“. Doch was Scham bereitet, ist die feine Dosierung.

Die, die „mit jedem ins Bett geht“, hat vielleicht Schwierigkeiten damit, ihre Zärtlichkeit zu zeigen und schämt sich dafür, die Hand des anderen zu halten. Sanfte Worte oder Gesten kommen unbeholfen daher. Emotionale Berührung kann kaum aufgenommen werden, so groß ist die Scham.

Der britische Masseur Mal Weeraratne spricht in einem seiner Videos über die Scham-Probleme in der westlichen Welt. Während er froh sei, in der British School of Yoga eine Ganzkörpermassage erlernt zu haben, die alle Zonen des Körpers einschloss, beklagt er, dass viele Techniken aus den Lehrplänen genommen wurden – unter anderem wegen gehäufter Rechtsstreitereien (Zitat aus der Erinnerung, Quelle verloren). Dabei könnten Brustmassagen z.B. dafür sorgen, dass Bindegewebsflüssigkeiten in Fluss kommen, was möglicherweise vorbeugend gegen Brustkrebs wirkt (siehe Dr. Khalid Mahmud, Keeping Abreast, amazon). Sexuelle Energie wird oft verleugnet, anstatt „umarmt“ (Weeraratne) oder kanalisiert zu werden (siehe auch: Eyal Matsliah: Orgasm unleashed. amazon).

Zu viel und zu wenig

Vielleicht wurden wir in einer übersexualisierten Atmosphäre gross – oder in einer Atmosphäre von Prüderie. Dreckige Witze kamen an den unmöglichsten Stellen vor und Arztbesuche wurden vielleicht ausführlich bis ins kleinste Detail geschildert, wobei die sexuelle, verdrängte, aufdringliche Lust nicht zu überhören war.

Das richtige Maß in der Sexualität ist manchmal nicht so leicht zu finden, weil die Scham einen davon abhält, danach zu suchen. Die entscheidende Frage lautet: Wie gehe ich mit der Scham um, wenn sie auftaucht? Wichtig ist es, sie ernst zu nehmen und sie als Kompass zu nutzen.

Auch, wenn die innere Stimme verzerrt zu sein scheint, so sagt uns das innere Gespür doch oft, was falsch ist und was richtig. Wir wissen, wie schnell wir wo mit dem Auto fahren können, ohne Schaden anzurichten und wo wir die Geschwindigkeit genießen können. Wir müssen nur lernen, in Ruhe auf unser Gefühl zu hören. Kleine Kinder, wenn sie missbraucht werden, spüren oft von Anfang an, dass das nicht richtig ist. Kinder, die man in den 60er Jahren schamfrei erziehen wollte, zeigten – für viele Eltern überraschend – eine natürliche Scham. Das „richtige Maß“ ist – trotz allem, was wir in unserer Kultur oder durch unsere Eltern erfahren haben – irgendwo in uns erhalten.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Literatur:

Helene Deutsch (1884-1982):
The Psychoanalysis of Sexual Functions in Women
Karnac Books 1991
us.karnacbooks.com/…

Estela V. Welldon:
Sex Now, Talk Later
Karnac Books 2016

Dieser Blogbeitrag wurde erstmals veröffentlicht am 2.4.2017
Aktualisiert am 7.12.2024

Schreibe einen Kommentar