Melanie Klein und die Kleinianer

Melanie Klein (1882-1960) war eine Psychoanalytikerin, die sich besonders mit der Entwicklung des kleinen Kindes beschäftigte. Sie entwickelte eine Form der Psychoanalyse für Kinder. Während die Psychoanalyse des Erwachsenen von Worten und freier Assoziation lebt, erfährt der Therapeut bei Kindern das meiste über ihr Spiel.

Wie ein Kind die Welt erlebt, ist nach Melanie Klein abhängig von seinen frühesten Erfahrungen mit den engsten Bezugspersonen (Primär-Objekten). Die Phantasie des Kindes ist voller innerer Objekte, also Vorstellungen von anderen guten und bösen Bezugspersonen. Zusammen mit Donald Woods Winnicott und William Ronald Dodds Fairbairn begründete sie die Objektbeziehungstheorie.

Die Welt ist so gut oder schlecht wie unsere Beziehungen

Gut und Böse gehören zusammen

Von Melanie Klein stammen die Begriffe paranoid-schizoide und depressive Position des Kindes. Mit dem Begriff „paranoid-schizoide Position“ beschreibt Melanie Klein den seelischen Zustand des Kindes in den ersten sechs Lebensmonaten. Nach ihrer Theorie erlebt das Kind die Mutter einmal als böse und einmal als gut, ohne die beiden Teile zusammenführen zu können.

Nach den ersten sechs Monaten erkenne das Kind die Mutter als ganze Person – mit ihren guten und schlechten Seiten, so Melanie Klein. Das Kind erlebt sich nach dieser Theorie erstmals als getrennt von der Mutter – es ist in der „depressiven Position“. Es ist traurig über die Trennung und besorgt um die Mutter, von der es abhängt.

Bei vielen psychischen Störungen überwiegt die „paranoid-schizoide Position“

Gemäß dieser Theorie stecken Menschen mit einer Borderline- oder schizoiden Störung besonders häufig in der „paranoid-schizoiden Position“ fest, was sich unter anderem darin zeigt, dass die Betroffenen den anderen nicht wirklich sehen.

In angespannten Situationen erscheint der andere nur böse und „Gefühle des Abstands“ wie Reue, Trauer, Mitgefühl, Schuldgefühl oder Gnade sind nicht möglich.

Der andere wird in den Himmel gejubelt oder total vernichtet. Dieser Vorgang wird als „Spaltung“ bezeichnet. Aber auch sich selbst kennt der Betroffene nicht ganz, denn er projiziert seine Gefühle so heftig nach außen, dass er sie quasi im anderen unterbringt. Der andere spürt die Gefühle, die ihm sozusagen untergejubelt werden (projektive Identifizierung). Der andere empfindet dann die Gefühle, die eigentlich zum Betroffenen gehören.

Wir kennen das selbst: In wütenden Situationen gehen wir manchmal mit dem anderen eine Art „Ping-Pong-Spiel“ ein: Wir sind erleichtert, wenn der andere endlich auch wütend wird.

Das Über-Ich als Antwort auf Wünsche der Zerstörung

Melanie Klein vertrat die Meinung, dass Kinder schon vor der ödipalen Phase Phantasien über Sexualität haben können. Bestimmte Vorstellungen sind nach ihrer Meinung angeboren. So wie Tiere einen Instinkt haben und wissen, wie’s geht, kommen Kinder ihrer Meinung nach mit einer Art „Präkonzept“ auf die Welt, sodass sie z.B. Vorstellungen über die Sexualität haben.

Das Über-Ich, also das strenge Gewissen, entsteht nach Melanie Kleins Theorie nicht erst in der ödipalen Phase, so wie Freud es glaubte. Klein vertrat die Theorie, dass das Über-Ich als Reaktion darauf entsteht, dass schon das sehr kleine Kind sadistische Impulse hat.

Wenn das Kind die depressive Position erreicht hat, merkt es, dass es die Mutter nicht nur liebt, sondern oft auch hasst. Sobald das kleine Kind seine Hassgefühle spürt, bekommt es Schuldgefühle. Auf den Wunsch, zu zerstören, folgt der Wunsch, die Dinge wieder gut zu machen. Die Wiedergutmachung spielt in Kleins Theorie eine wichtige Rolle.

Umstrittene Theorien

Melanie Kleins Theorien waren und sind umstritten. Die bekanntesten Gegnerinnen von Melanie Klein waren ihre eigene Tochter, Melitta Schmideberg, und Anna Freud, Tochter von Sigmund Freud. Später war es unter anderem die Psychologin Alice Miller (1923-2010), die sich Kleins Vorstellung vom „bösen Säugling und Kleinkind“ entgegenstellt.

Die Psychoanalytiker, die der Theorie von Melanie Klein anhängen, heißen „Kleinianer“. Bekannte Kleinianerinnen sind zum Beispiel die Psychoanalytikerinnen Betty Joseph und Hanna Segal.

Buchtipp: Das Seelenleben des Kleinkindes

Wenn man Babys schreien hört, könnte man manchmal denken, sie hassten die ganze Welt. „Als würde es sie zerreißen“, sagen die Eltern. Und schon sind wir mitten drin in Melanie Kleins Themen vom (psychischen) Fressen und Gefressen-Werden.

Die Psychoanalytikerin Melanie Klein (geb. 1882 in Wien, gestorben 1960 in London) ist höchst umstritten. Melanie Klein gehört zu den Psychoanalytikern, die die „Objektbeziehungstheorie“ entwickelt haben. Als „Objekte“ bezeichnen Psychoanalytiker „die anderen“, während man selbst das „Subjekt“ ist. Melanie Klein hat ihre Theorien insbesondere aus den Analysen mit Kindern entwickelt. Daher sind ihre Theorien auch für das Verständnis von Psychosen so wichtig.

Bei kleinen Kindern wird besonders deutlich, wie eng die Psyche mit dem Verdauungsapparat zusammenhängt. Die Psyche möchte äußere Objekte wie z.B. Mutter und Vater in sich aufnehmen. Wenn die Psyche eine Vorstellung von Mutter und Vater in sich tragen kann, dann wird es dem Kind möglich, die Trennung von Mutter oder Vater zu ertragen. Im Kind besteht dann eine sogenannte „Objektkonstanz“, das heißt, dass Mutter und Vater als konstante Objekte in der Vorstellung erhalten bleiben.

Die Menschen, die außen bedeutungsvoll sind, nimmt man auch innerlich auf. Sie dienen der eigenen Entwicklung und Emotionsregulation. Wenn das Kind aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten hat, äußere Objekte in seine Psyche aufzunehmen, so kann es gleichzeitig sein, dass sich Essstörungen bemerkbar machen.

Vom Teilobjekt zum ganzen Objekt

Am Anfang des Lebens nimmt das Baby nach der Theorie Kleins nicht das ganze Bild der Mutter auf, sondern nur sogenannte „Teilobjekte“. Ein solches „Teilobjekt“ ist zum Beispiel die Brust. Spürt das Kind Hunger, so spürt es alsbald die Brust an seinem Mund. Die Mutter ist für das Kind (aus Kleins Sicht) zunächst nur die Brust. Das passende dazu liefert die Mutter, die von sich in der Stillzeit sagt: „Ich fühle mich lediglich wie eine Milchkuh.“

Ist die Brust zur rechten Zeit da und nährt sie das Kind gut, so ist die Vorstellung von der Brust im Kind eine gute. Wenn das Kind aber Hunger hat und die Brust bleibt fern, dann erlebt das Kind die abwesende Brust sozusagen als „böse Brust“. Es fühlt sich dann verfolgt. Wir kennen das: Wenn wir Hunger haben und an ein Sandwich denken, dann wird dieses Sandwich in unseren Gedanken immer größer und aufdringlicher, je hungriger wir werden. Schließlich sprechen wir sogar vom „beißenden“ Hunger – der Hunger ist es, der uns beißt, wenn wir nichts zu beißen haben.

Aus „gut“ wird „böse“

Die Brust kann sich also plötzlich von der guten zur bösen Brust verwandeln und das Baby in Gedanken verfolgen. Später, wenn das Kind die Mutter als „ganzen Menschen“ erlebt, verleibt es sich die Mutter auch als „ganze Mutter“ in seine Psyche ein, so Melanie Klein. Doch auch hier bekommt das Kind das Problem, dass sich die „gute Mutter“ rasch in eine „böse Mutter“ verwandeln kann. Das Kind ist sich nicht sicher, ob es die „gute Mutter“ in seiner Psyche als „gut“ bewahren kann.

Die ersten inneren Objekte (Primärobjekte), also in der Regel Vater und Mutter, führen nach Klein dazu, dass das Kind ein „Über-Ich“ entwickelt. Je unsicherer und problematischer die Beziehungen zu Mutter und Vater, desto komplizierter ist auch die Innenwelt eines Menschen.

Leben und Tod, Hass und Liebe

So, wie Lebens- und Todestrieb gegeneinander kämpfen können, so können auch Liebe und Hass miteinander kämpfen. Wir kennen die Angst, dass wir unsere Liebe verlieren könnten und dass wir im guten Anderen eines Tages vielleicht nur noch den Bösen sehen. Vielleicht tragen wir innerlich eine „gute Großmutter“ oder einen „guten Analytiker“ mit uns herum. Wir versuchen dann mit aller Macht, die guten Objekte in uns gut zu halten. Keiner darf auch nur die kleinste negative Bemerkung machen.

Wir tragen auch „böse Objekte“ und Hass in uns. Wir können uns vom eigenen Todestrieb verfolgt fühlen. Melanie Klein sagt, dass „das Ich seine guten und bösen Objekte in sich nicht wirklich getrennt halten kann“ und dass „ein Teil der Grausamkeit der bösen Objekte und des Es den guten Objekten zugeschoben“ wird (S. 65), sodass die guten Objekte schließlich als sehr streng und fordernd erlebt werden können.

Man möchte so gut sein wie die guten inneren Objekte, aber wenn man bemerkt, dass man es nicht schafft, dann kommt eine Art Hass auf das ach so perfekte Objekt auf. Das wiederum kann zu „Gewissensbissen“ und Schuldgefühlen führen.

Anstrengend

Dieses Buch ist fast wie ein Film, der einem keine Atempause erlaubt. Vieles erscheint bedrückend: Beispielsweise geht Melanie Klein davon aus, dass das Ausmaß der Liebesfähigkeit und die Neigung zum Hass angeboren sind – auch, wenn sie durch die Beziehungen beeinflusst werden:

„Aber die Grundgefühle – vor allem die Liebesfähigkeit – scheinen angeboren zu sein“ (S. 229).

Diese Ansicht kann leicht so verstanden werden, dass „da nichts zu machen ist“. Wer also viel hasst, der könnte von Natur aus ein Hass-reicher Mensch sein. Aus dem Alltag wissen wir jedoch, wie sehr der Hass von Kindern durch böse Erfahrungen mit den Eltern genährt wird. Auch, wenn dieser Hass noch so hartnäckig ist, so kann er sich in einer Psychoanalyse doch auch erweichen. Melanie Kleins Bilder wirken oft grausam, aber leider doch oft auch wahr:

„Auf unbewusster Stufe ist das Ziel der Gier vor allem, die Brust vollkommen auszuhöhlen, leer zu saugen und zu verschlingen, das heißt, ihr Ziel ist destruktive Introjektion. Neid hingegen strebt nicht nur danach, auf diese Weise auszurauben, sondern auch danach, Böses – vor allem böse Exkremente – und böse Teile von sich selbst, in die Mutter, das heißt in erster Linie in ihre Brust, hineinzutun, um sie zu verderben und zu zerstören.“ (S. 226)

Der Neid auf den Analytiker kann so groß sein, dass der Patient selbst eigene Fortschritte verhindern möchte. Klein schreibt: „Der neidische Patient missgönnt dem Analytiker den Erfolg seiner Arbeit“ (S. 227). Ein Erfolg der Arbeit des Analytiker wäre es, dass es dem Patienten besser geht. Somit kann der neidische Patient seinen eigenen Fortschritten im Wege stehen. Hier bedarf es eines einfühlsamen Analytikers, der zusammen mit dem Patienten die destruktiven Verstrickungen auflösen kann.

Es ist faszinierend, wie selbstverständlich Melanie Klein mit Bildern umgeht. Sie spricht ausführlich von „inneren Verfolgern“, die wir auch als Erwachsene kennen – sie werden uns spätestens dann bewusst, wenn wir wieder im Traum von jemandem verfolgt werden.

Klein zeigt die Nähe der psychischen Vorstellungen zum Körper auf: Gehasste (Teil-)Objekte erscheinen wie Faeces, die ausgeschieden werden wollen.

Ebenso wollen wir den Gedanken an bestimmte Menschen loswerden oder wir projizieren eigene ungeliebte Eigenschaften auf andere Menschen. Wenn wir Verdauungsdruck haben, wollen wir den Stuhl schnell ausscheiden. Wir fühlen uns vom eigenen Körper, vom Darm „verfolgt“, wenn wir zu unpassenden Zeiten zur Toilette müssen oder uns der Durchfall bei einem Termin einen Strich durch die Rechnung macht.

Der psychische Raum, der Bauch und die Angriffe auf innere Objekte

Wie oft haben wir das Gefühl, eine Beziehung kaputtzumachen oder den anderen innerlich „zu verderben“. Wir nehmen eine wichtige Bezugsperson in unsere Psyche auf, werden dann neidisch und spüren, wie diese vormals gute Person, also das gute innere Objekt in uns auf einmal „verdirbt“.

Kleine Kinder phantasieren, dass im Bauch der Mutter nicht nur Exkremente sind, sondern auch kleine Kinder. Sie phantasieren den Penis im Bauch der Mutter. Manchmal phantasieren sie auch sich selbst wieder im Bauch der Mutter, was durch Kinderzeichnungen und Geschichten der Kinder deutlich werden kann. Nicht selten wollen die Kinder in ihrer Wut die Mutter schädigen.

Melanie Klein geht auf den Sadismus des Kindes ein: „Die Frühstadien des Ödipuskonfliktes stehen unter der Vorherrschaft des Sadismus. Sie fallen in eine Entwicklungsphase, die durch den oralen Sadismus eingeleitet wird, zu dem der urethrale Sadismus, der Muskelsadismus und der anale Sadismus sich gesellen, und finden mit der Vorherrschaft des analen Sadismus ihren Abschluss“ (S. 53).

Weitere Themen des Buches sind unter anderem „Neid und Dankbarkeit“, „Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwicklung“ und „Die Trauer und ihre Beziehung zu manisch-depressiven Zuständen“.

Was aus meiner Sicht häufig fehlt, sind genauere Ausführungen und deutlichere Erklärungen, wie Melanie Klein nun auf diese oder jene Idee kommt. Im Text gibt es viel zu viele Substantivierungen, wodurch nicht immer klar ist: „Wer tut was?“ So ist es oft schwer, einzelne Sätze zu verstehen. Schaut man genauer hin, entdeckt man grammatikalische Fehler, sodass es nicht immer an der eigenen Unfähigkeit liegt, wenn man einzelne Sätze nicht versteht.

In Melanie Kleins Texten fehlen mir manchmal Warmherzigkeit, Zuversicht und Verständnis. Die Rolle des Innenlebens des Analytikers kommt aus meiner Sicht viel zu kurz. Sie selbst als Person scheint manchmal gar nicht vorhanden zu sein, während sie die Dinge beim Patienten scharf beobachtet. Schon beim Lesen wird man wahrscheinlich feststellen, dass man einzelne Sätze abwehrt – zu schmerzhaft wäre es, anzuerkennen, dass Klein vielleicht Recht haben könnte. Das liegt aber durchaus auch an der eher trockenen Art, in der sie ihre Theorien vermittelt.

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Links:

Melanie Klein auf www.psychoanalytikerinnen.de
Melanie Klein – Lebenslauf (Quelle: Uni Wien)

Melanie Klein (1962):
Das Seelenleben des Kleinkindes
… und andere Beiträge zur Psychoanalyse
Klett-Cotta, 10. Auflage, 2015

Helen Schoenhals (Frankfurt a. M.), Grosskurth, Phyllis:
Melanie Klein. Ihre Welt und ihr Werk
Heft 7, Juli 1995, 49. Jahrgang, pp 679-684
www.psyche.de/….pdf (kostenpflichtig)

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 26.4.2008
Aktualisiert am 2.7.2022

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