
Kürzlich stieß ich auf den Höhepunkt aller Beiträge zur Begründung, warum hoch gebildete Frauen keinen Partner finden: „Je klüger, desto einsamer: Gebildete Frauen stellen zu hohe Ansprüche bei der Partnerwahl“, femininleben.ch. Die Autorin Linda Leitner schreibt unter anderem: „So sollte die kultivierte Singlefrau von heute bei der Partnerwahl wohl also ein klein bisschen ihrer romantischen Vorstellungen aufgeben und es genießen, dass das angeblich so starke Geschlecht ein Stück weit Männlichkeit opfert, um zu ihr aufzublicken.“
Immer wieder schimmert der leise Vorwurf durch, gebildete Frauen seien einfach zu narzisstisch. „Du hast zu hohe Ansprüche“ ist genau so ein kränkender und unpassender Satz wie „Sie müssen doch mal die Realität sehen!“.
Sich zu bilden ist wie eine lange Reise zu machen
Eine allumfassende Bildung, die auch „Herzensbildung“ mit einschließt, hat mit emotionalen Erfahrungen, Beziehungen zu Vorbildern, guten Bindungen, oftmals mit Disziplin und Arbeiten in Einsamkeit sowie Intuition zu tun. Sich zu bilden heißt, eine lange Reise zu machen. Man findet in der Bildung Trost und innere Weite. Man studiert lange, promoviert, ackert sich durch verschiedene berufliche Positionen, heimst eine Unmenge an Kritik ein und lernt dabei, die Menschen einzuschätzen. Viele Frauen verfolgen mit einem langen Atem ihre Ziele. So manche Frau hat ihre soziale Schicht gewechselt und dabei vielleicht ihre Wurzeln verloren. Sie kennt das Alleinsein.
Bildung heißt, über die Dinge nachdenken und sie aus den verschiedensten Perspektiven betrachten zu können. Mit anderen – auch mit dem Partner – über die Welt nachzudenken, ist wohl allen Menschen wichtig, aber zufrieden machen in der Partnerschaft vielleicht auch ähnliche Arten des Nachdenkens oder ähnliche Ansichten.
„Dein Nachbar ist zwar Handwerker, aber doch ein herzensguter Mensch!“
Der frisch geschiedene Mann von nebenan ist Elektroinstallateur. Er liebt seinen Beruf, ist ein herzensguter Mensch, strahlt Wärme aus. Im Flur kommt ein Gespräch zustande. Im Ort wurde ein Fall von Kindesmissbrauch aufgedeckt. Sein Pauschalurteil: „Diese Kinderschänder sollte man einfach alle gleich kastrieren.“ Welche Erfahrungen er auch immer selbst in seinem Leben gemacht hat, welche starken Gefühle auch immer zu diesem Satz führten, wer auch immer im Stillen so etwas denken mag – solche raschen Pauschalurteile kommen bei Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss seltener vor (siehe GMF-Syndrom = Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In: Auswirkungen von Bildung auf das gesellschaftliche Miteinander, Bundeszentrale für Politische Bildung, 29.6.2007).
„Aber Liebe ist doch Liebe, da ist es doch egal, ob der andere studiert hat!“
Die Vorstellung, dass Liebe unabhängig vom Bildungsstand der Partner ist, teilen vielleicht eher die Menschen miteinander, die keinen langen Bildungsweg gegangen sind. Bildung macht auch körperlich etwas mit uns – zum Beispiel mit unserem Gesicht. So, wie man an der Haut, an den Händen, den Wangen und Augen erkennen kann, ob ein Mensch regelmäßig zu viel Alkohol trinkt, so kann man an den Gesichtszügen und an der Körperhaltung häufig auch den Bildungsstand ablesen.
Blicke, Mimik, Körperhaltung und Körperduft verändern sich durch Bildung
Eigentlich verliebe man sich ja insbesondere in den Duft, eines Menschen, heißt es oft. Doch auch basale Körpermerkmale wie der Körpergeruch können sich durch Bildung verändern – zum Beispiel allein durch gesündere Ernährung und weniger einer bestimmten Art von Stress (siehe auch: „Losing stinks“, Fialova J. et al., 2020). Doch diese Schicht-Unterschiede werden oft geleugnet. Dabei geht es nicht um „schlechter“ oder „besser“, sondern um gegenseitige Anziehungskraft. „Ich kann nur mit bodenständigen Männern“, sagt die Zahnarzthelferin von nebenan – und verliebt sich in den Handwerker, weil eben beide gut zusammen passen.
Vielen Menschen ist es wichtig, einen Partner aus dem eigenen Kulturkreis zu finden. Bildung kann kulturelle Unterschiede in den Hintergrund treten lassen, weil sie die Menschen auf eine spezielle Art verbindet: Bildung selbst ist eine Art Kultur. Eine gebildete Frau erkennt sehr häufig den gebildeten Mann, egal, aus welchem Land er kommt. Ähnlich wie das Lächeln bei allen Menschen der Welt eben ein „Lächeln“ ist, so sind sehr häufig auch die für Bildung sprechenden Gesichtszüge und Körperhaltungen weltweit erkennbar.
Gebildete Menschen leben oft gesünder und zufriedener. Sie haben oft befriedigendere Beziehungen. Die Folgen unzureichender Bildung für die Gesundheit hat zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung erforscht. Auch hier wieder zeigt sich, dass Bildung und Körperlichkeit stark ineinander greifen.
Frauen mit einem hohen Bildungsgrad werden oft verkannt und fühlen sich dadurch einsam
Gebildete Frauen werden rasch als arrogant abgestempelt. Viele fühlen sich durch die unsäglichen Beiträge über die Gründe für ihr Alleinsein zutiefst missverstanden. Dabei ist es ähnlich wie mit Menschen, die aus einem kleinen Dorf kommen: Wenn sie eine weite Reise über viele Jahre gemacht haben, können sie oft die Enge des Dorfes nicht mehr ertragen. Um sich wohl zu fühlen, brauchen sie den Austausch mit Gleichgesinnten. Sie kehren nicht in ihr Dorf zurück.
Die geistige Welt wird unterschätzt
Zusammen klassische Musik zu machen, Geistreiches zu lesen und darüber zu reden, hat etwas zutiefst Befriedigendes. Nicht jeder hat Sehnsucht danach. Viele Menschen haben solche Welten nie kennengelernt und vermissen sie auch nicht. Wenn eine gebildete Frau einen Partner sucht, der ihr auch vom Bildungsstand ähnlich ist, wird ihr oft „Standesdünkel“ vorgeworfen. Doch sie selbst ist auf der Suche nach dem Gefühl von Gemeinsamkeit und Verbundenheit.
Und nicht zu vergessen – wie mir gerade jemand auf Twitter sagte: „Und hochgebildete Männer auch.“ Auch sie haben es oft schwer, die passende Partnerin zu finden.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Alleinerziehende Akademikerinnen haben ganz eigene Probleme
- Warum es so schwierig ist, die Schicht von unten nach oben zu wechseln
Links:
Khan, Stephen (6.9.2018):
Does being smart and successful lower your chances of getting married?
TheConversation.com
Saner, Emine:
The dating gap: why the odds are stacked against female graduates finding a like-minded man
The Guardian, 10.11.2015
Melani Robinson
What I Know About Being Single Now That I’m In My 50s
www.huffingtonpost.com/melani-robinson/what-i-know-about-being-single-50s_b_4705882.html
Fialova, Jitka et al. (2020):
Losing stinks! The effect of competition outcome on body odour quality
The Royal Society Publishing
Published:20 April 2020https://doi.org/10.1098/rstb.2019.0267
https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rstb.2019.0267
Liuzza, MT et al. (2018):
Body odour disgust sensitivity predicts authoritarian attitudes.
Royal Society Open Science
Published:28 February 2018https://doi.org/10.1098/rsos.171091
https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rsos.171091
Brewer WJ et al. (2007):
Olfactory sensitivity through the course of psychosis: Relationships to olfactory identification, symptomatology and the schizophrenia odour
Psychiatry Research
Volume 149, Issues 1–3, 15 January 2007, Pages 97-104
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0165178106000771
Meyt, Brecht et al. (2019):
Are men intimidated by highly educated women? Undercover on Tinder.
Economics of Education Review
Volume 73, December 2019, 101914
https://doi.org/10.1016/j.econedurev.2019.101914
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0272775719301104
Education, Research and Culture:
Educational Level
Statistisches Bundesamt. www.destatis.de
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 18.9.2016
Aktualisiert am 19.9.2021
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hubi meint
wenn man von zwei personen ausgeht, eine person ist sehr feinfühlig (hochsensitiv) und eventuell hochintelligent, mit einer reichen innenwelt – die andere person durchschnittlich intelligent, durchschnittlich feinfühlig („normalsensitiv“):
kann der durchschnittlich intelligente partner den anderen partner überhaupt wirklich sehen und verstehen? er wird nie diese tiefe der gedanken und der gefühle erreichen können. das heißt dieser teil bleibt dem einen partner fremd.. er kann zwar berichtet, aber nicht nachempfunden und somit verstanden werden.
wenn dieser teil nicht mit dem partner gelebt werden kann, kann das ganz schön schmerzhaft sein. es fehlt sozusagen ein wichtiger (eventuell intimer) teil, den man sich wo anders „befriedigen“ muss.
Magret-Rose meint
Liebe Frau Voss,
Ihre Beiträge berühren mein Herz und meinen Inellekt gleichermaßen. Immer wieder nehme ich Anregungungen für mein eigenes Leben aber auch für meine Coaching- und Beratertätigkeit mit. Ihr Blog hilft dabei dem Geheimnis der menschlichen Existenz auf die Spur zu kommen, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen und neue Handlungsansätze zu finden. Vielen Dank, dass es sie gibt! Im Leben sind wir alle Lernende! Magret-Rose
Rose meint
Liebe Dunja,
es stimmt, im Umfeld von Gleichgesinnten fühlt man sich am wohlsten. Dazu gehört nicht nur das Gefühl des Angenommenseins, sondern auch die Reflektions- und Empathiefähigkeit des Gegenübers. Eine intellektuelle Bildung ist hierfür nicht unbedingt die Voraussetzung, jedoch unwidersprochen förderlich.
Wir befinden uns in einem Prozess der Weiterentwicklung, was die Emanzipation der Frauen anbelangt. Authentische Persönlichkeiten, Männer wie Frauen, bewegen sich wieder aufeinander zu. Sie sind dabei, sich der alten Kleider zu entledigen und überkommene Klischees aufzugeben,
Dabei können durchaus auf den ersten Blick „ungewöhnliche“ (weil MAN sich das nicht erklären kann) Konstellationen eines Paares entstehen. Ich denke, dass die Herzensbildung, die Übereinstimmung gemeinsamer Werte und die persönliche Gesinnung, dabei das Ausschlaggebende für das Zustandekommen einer Beziehung ist.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, ist mit einem Elektroinstallateur verheiratet. Gertrud Höhler, Literaturwissenschaftlerin und Unternehmensberaterin, hat sich von ihrem Mann, Akademiker, getrennt, weil er mit ihrem Erfolg nicht zurechtkam. Übrigens hat sie sich auch in ihrem Buch „Das Ende der Schonzeit“ – Alphafrauen an die Macht – , mit der hier angesprochenen Thematik befasst:
https://www.welt.de/wams_print/article2375353/Alphafrauen-Die-grosse-Maennerverunsicherung.html .
Und in dem Film „Love is all you need“, Pierce Brosnan und Trine Dyrholm in den Hauptrollen, finden sich zwei Menschen, die nicht unterschiedlicher vom Bildungsgrad her sein könnten: Er ist Unternehmer, sie ist Friseurin. Sie ist diejenige, die mit ihrer authentischen Persönlichkeit sein Witwerherz berührt und befreit. Dies hatte sie sich jedoch nicht vorgenommen, sondern es war eher so:
Die Ros‘ ist ohn‘ Warum,
sie blühet, weil sie blühet,
sie acht’t nicht ihrer selbst,
fragt nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet.
(Angelus Silesius)