
Wenn wir eine strenge Mutter hatten, dann brauchen wir eine weiche Analytikerin, damit wir eine emotional korrigierende Erfahrung machen können und dadurch gesund werden. Meinen wir. Und so ähnlich glauben es auch angehende Psychoanalytiker*innen zu Beginn ihrer Ausbildung. Doch schon bald stellen sie fest: So richtig geht die Rechnung nicht auf.
Wir schenken der „emotional korrigierenden Erfahrung“ so viel Bedeutung, dass wir da meistens richtig hinterher sind – nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch in der Partnerschaft oder Elternschaft.
Bitte sei anders zu mir!
„Mein Vater reagierte an dieser Stelle schon immer so, also brauche ich es unbedingt, dass Du anders reagierst!“, sagen wir. Und damit stressen wir sowohl uns als auch unseren Partner. In der Psychoanalyse-Ausbildung setzen wir uns unter Druck, wenn wir zum Patienten warmherzig und freundlich sein wollen und irgendwann merken: Das führt aber nicht zu dem Ergebnis, das wir uns erhofft hatten.
Unter dem Deckmäntelchen der „emotional korrigierenden Erfahrung“ beginnt so mancher sexueller Missbrauch in der Psychotherapie. „Wenn die Patientin noch nie bedfriedigende Erfahrungen gemacht hat, so will ich ihr geben, was ihr fehlt“, lautet die vereinfachte Gleichung.
Da kannste noch so zugewandt sein …
Der Patient nimmt uns als Analytiker infolge seiner Übertragung anders wahr, als wir sind. Selbst wenn wir noch so freundlich, zugewandt und wohlwollend sind, kann uns der Patient als bösen Angreifer erleben, der nicht ansprechbar ist. Und das ist auch der Sinn der Sache, denn wir wollen ja eben dieses Erleben bearbeiten.
Doch auch, wenn der Patient uns realistischer erlebt, also uns mehr so „gut“ sieht, wie wir vielleicht sind, macht ihn das nicht per se gesund. Denn die alte Wunde bleibt. Oft wird auch durch den Schmerz des Unterschiedes noch einmal richtig klar, unter welch schrecklichen Bedingungen der Patient vielleicht groß wurde.
MIt der Suche nach der emotional korrigierenden Erfahrung laufen wir immer wieder in die Enttäuschung rein. Wir kennen das selbst: „Ich habe es nun schon 100-mal anders erfahren und meine immer noch, dass es so ist wie früher“, sagen wir.
Die korrigierende Erfahrung kommt unmerklich daher
Heilsame emotional korrigierende Erfahrungen kommen meistens nicht offensichtlich daher, sondern sie sind eingebettet in die Gesamtsituation mit dem Analytiker. Die Psychoanalytiker sprechen zum Beispiel von „Erfahrungen mit der besseren Mutter“. Dazu gehört, dass der Analytiker die Dinge vom Patienten aufnehmen, halten und verdauen kann, dass er verlässlich da ist und dass in den Stunden möglichst über alles gesprochen werden kann.
Traumatisierende Erfahrungen bleiben und neue kommen – auch in der Psychoanalyse. Doch wenn das Schlimme gehalten wird und wenn darüber gesprochen werden kann, dann ist es das, was die Veränderung bewirkt. Und eben dies ist eine wirksame neue Erfahrung und geschieht meistens wie selbstverständlich über einen langen Zeitraum.
Die haltende Atmosphäre, in der ich als Patient ernstgenommen werde, ist eine Art korrigierende emotionale Erfahrung, aber sie ist eben anders, als wir sie uns meistens vorstellen. Sie geht in die Breite, dauert lange und hat mehr mit Verstehen zu tun als mit konkreten und willentlich herbeigeführten neuen Erlebnissen.
Dunja Voos meint
Aktuell leider nein, aber wenn ich was sehe, werde ich berichten.
lindareul meint
Haben Sie einen Buchtipp zu dem Thema?
Dunja Voos meint
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, liebe Frau Mertens!
Gabriele Mertens meint
Herzlichen Dank für den Text, insbesondere die letzten beiden Absätze kann ich nur bekräftigen. Ich glaube es in der Analyse auch erlebt zu haben.