
Psychoanalyse ist die ständige Beschäftigung mit dem Aversiven. Um Psychoanalytiker*in zu werden, muss man schon ein großes Interesse daran haben, das Aversive zu untersuchen. Deswegen ist dieser Beruf oft auch so schwierig und deswegen scheuen sich viele Patienten davor, eine Psychoanalyse zu beginnen. In Psychotherapien oder Kliniken, machen die Therapeuten oft Halt, bevor es zu aversiv wird. Rasch schaut man nach den Stärken und Ressourcen – nicht selten deshalb, weil auch der Therapeut Schwierigkeiten hat, das Aversive auszuhalten.
Immer wieder kommt man in der Psychoanalyse zu dem Punkt, an dem man denkt: Das hier ist unaushaltbar. Wenn Patienten die Atmosphäre schaffen, in der sie groß wurden, wenn es um Neid, Hass, Schuld, Ekel, Unfassbares, Verpasstes, um Grausamkeiten und (noch) nicht Benennbares geht, dann ist es oft schwer, das, was da entsteht, auszuhalten.
Lernen, das Aversive zu halten
In der psychoanalytischen Ausbildung lernt man zum Einen, seinen eigenen psychischen Raum zu weiten und das Gefühl des Gehaltenwerdens zu verinnerlichen. Zum Anderen lernt man, die Regressionstiefe eines Patienten zu dosieren. Schweigen bewirkt, dass sich Unbewusstes weiter ausbreitet, Worte können hier wieder mehr Bewusstes mit hineinbringen.
Wer Psychoanalytiker*in werden will, braucht vielleicht eine gewisse „Liebe“ zum Aversiven.
Es ist sinnvoll
Oft jedoch ist es angebracht, mit dem Patienten zusammen das Unaushaltbare auszuhalten und zu erforschen. Durch dieses gemeinsame Erleben hat das Aversive die Chance, anerkannt zu werden und sich möglicherweise auch zu wandeln. Plötzlich wird vielleicht eine psychische Bewegung spürbar. Etwas Grässliches lässt nach oder bekommt einen Namen oder formt sich um. Und manchmal bleibt es auch, um immer wieder nahezu unverändert aufzutauchen.
Häufig gibt es schier Unverdauliches, bei dem der Analytiker und der Patient immer wieder landen. Es gibt Dinge im Leben, die lassen sich nicht bearbeiten und verdauen wie z.B. Folter oder Gewalt in der frühen Kindheit. Man wird sich auch nie daran gewöhnen können. Doch das Aversive lässt sich nach und nach in Zusammenhänge einordnen. Und der Patient kann es endlich teilen.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- System overload (SOL): Das Zuviel in der Psychologie
- Zu viel! Wie gehen wir psychisch mit Überflutung um?
- 96 Wie wird man Psychoanalytiker? Die Toilette des Analytikers
- 98 Was nutzt die emotional korrigierende Erfahrung?
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.2.2020
Aktualisiert am 20.4.2021
Schreibe einen Kommentar