Fette, wenig Bewegung, Rauchen, Stress – diese Faktoren werden als Ursache für hohen Blutdruck (Hypertonie) angesehen. Bei einem chronischen Blutdruck von 160/95 mmHg lautet die Diagnose meistens „essenzielle Hypertonie“. Das bedeutet, dass sich die Ursache nicht wirklich erklären lässt. Doch die Hypertonie zählt auch zu den klassischen psychosomatischen Erkrankungen (Holy Seven). Was hat es damit auf sich?
Unter dem Deckel brodelt es
Bei vielen Menschen mit Bluthochdruck lassen sich ähnliche Mechanismen wiederfinden. Beispielsweise fällt es vielen Patienten schwer, ihrem Ärger in angemessener Form Luft zu machen. Sie halten quasi den Deckel auf dem Kochtopf. Der Druck wird immer höher. Manche Patienten können ihren Ärger gar nicht wahrnehmen. Sie verdrängen ihn, denn sie scheuen sich vielleicht davor, mit Menschen, die in ihnen am Herzen liegen, einen Konflikt auszutragen. Doch das Ergebnis kann auf Dauer ein Spannungszustand sein, der sich als hoher Blutdruck äußert. Daher helfen Entspannungsübungen manchmal nur wenig, wenn die eigentlichen Ursachen, nämlich Ärger, Konflikte, Sorgen und Einsamkeit, nicht aus der Welt geschafft werden können. Bei vielen Patienten bahnt sich der hohe Blutdruck auch schon seit der Kindheit an. Viele Patienten haben eine schwere Kindheit erlebt, in der es viele Strafen und Entbehrungen, aber wenig Liebe gab. Die Folgen: lang anhaltende Spannungszustände, Beziehungsschwierigkeiten und selbstschädigendes Verhalten.
Bereit zu Kampf und Flucht
Viele Hochdruckpatienten sind engagiert im Beruf, haben gerne alles unter Kontrolle, mögen es ordentlich und sind nahezu zwanghaft. Sie fühlen sich schnell schuldig und sind in ständiger Kampfbereitschaft, ohne dass ein effektiver Kampf stattfindet. Es ist, als wäre das sympathische Nervensystem, das uns zu Flucht und Kampf verhilft, die ganze Zeit aktiviert: Weite Pupillen, erhitzter Kopf, schlechte Verdauung und angespannte Muskeln gehören dazu. Der Psychosomatiker Franz Alexander ging davon aus, dass sich die feine Muskulatur, die die Arterien umgibt, ebenfalls anspannt. Die Gefäße werden enger, der Druck erhöht sich. Das Herz muss dagegen anpumpen.
Zurück in die Höhle
Das parasympathische Nervensystem sorgt als Gegenspieler des sympathischen Nervensystems für Entspannung. Es fördert die Verdauung, es weitet die Gefäße und macht müde. Bei schwer lösbaren Konflikten können die beiden Nervensysteme abwechselnd aktiv werden. Das führt zu Rot- und Blasswerden, zu wechselnden Pulsfrequenzen, Schweißausbrüchen, Blutdrucksteigerung und -erniedrigung bis hin zur Ohnmacht, zu Gänsehaut, Harn- und Stuhldrang.
Leistung ist alles
Viele Hochdruckpatienten haben hohe Ansprüche an sich selbst oder arbeiten in Berufen, die hohe Anforderungen stellen. Wer ständig viel leisten muss, ohne dafür ausreichend belohnt zu werden, der ist für den hohen Blutdruck prädestiniert. Oft spielt auch Konkurrenzdenken eine Rolle.
„Ich muss besser sein als der andere“ wird zu „mein Druck ist höher als der des anderen“.
Geld und Gene
Einerseits ist die Hypertonie genetisch bedingt. Andererseits sind Bildung und wirtschaftliche Verhältnisse wichtige Faktoren. Wer ständig Geldsorgen hat, wird selten wirklich entspannt sein. So sterben in den USA beispielsweise besonders häufig schwarze Männer mit niedrigem Bildungsstand an den Folgen des Bluthochdrucks.
Frau oder Mann
Das männliche Hormon Testosteron ist blutdrucksteigernd, das weibliche Östrogen wirkt auf die Gefäße schützend. Dies erklärt unter anderem die höhere Lebenserwartung der Frauen.
Unentschlossenheit
Auch die Schwierigkeit, sich zwischen verschiedenen Lebenssituationen zu entscheiden, kann zu Bluthochdruck führen. Gegenteilige Gefühle „kämpfen“ miteinander, der Ausweg ist vielleicht eine Zeit lang versperrt. Sobald jedoch eine Entscheidung gefallen ist und sich die Dinge in eine eindeutige Richtung entwickeln, kann ein Bluthochdruck zurückgehen.
Therapie
So verschieden die Ursachen des Hochdrucks und die Menschen sind, so verschieden sind auch die Therapieansätze. Medikamente und Blutdruckmessung gehören oft, aber nicht immer dazu. Viel Wissen und Motivation zu gesunder Lebensführung können die Erkrankung im Rahmen halten. Entspannungs- und Feedbackverfahren wirken unterstützend. Oftmals kann eine Psychotherapie hilfreich sein.
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Literatur:
Stephan Ahrens:
Lehrbuch der psychotherapeutischen Medizin.
Schattauer, Stuttgart 1997: 423–429
Dieser Beitrag erschien erstmals am 2.3.2012
Aktualisiert am 27.11.2020
Dunja Voos meint
Liebe GabiMichel,
nur nicht den Mut verlieren – manchmal muss man eben länger nach Lösungen suchen. Es gibt Psychoanalyse, Yoga, Chi-Gong, alles Mögliche. Wenn man hier den richtigen Ansprechpartner findet und es (fast) täglich anwendet, lässt sich viel errreichen. Das dauert jedoch, weil häufig auch die Lebensumstände geändert werden müssen, die so viel Angst machen. Wichtig ist es,nicht den Mut zu verlieren, nach hilfreichen Menschen zu suchen und auf sich selbst zu hören.
Viele Grüße
Dunja Voos
GabiMichel meint
Ich bin zur Zeit in einer psychiatrischen Klinik , weil mein Blutdruck durch eine Angststörung ausgeufert ist.
Es ist ein Teufelskreis aus dem ich nicht rauskomme ……Medikamente nehme ich. …….helfen wenig.
Ich bin nur noch traurig.
Nico Braune meint
Hallo. Ich finde Ihren Blog einfach super. Es gibt leider viel zu viel Ärzte, welche sofort den Rezeptblock zücken und Ihre Patienten mit pharmazeutischen Mitteln teilweise vergiften, ohne alle Faktoren, welche Auslöser sein könnten, überhaupt in Betracht zu ziehen.
Super, weiter so.
Sarah meint
Ich habe noch nie einen Arzt gefunden, der auch nur ansatzweise die psychosomatische Komponente meines hohen Blutdrucks berücksichtigt hätte. Immer nur kurz messen, dann Rezept und Pillen – fertig. Kein Eingehen auf Lebenssituation, Psyche oder Ernährungsgewohnheiten.