Depressionen können das Demenz-Risiko erhöhen – eine grosse kognitive Reserve kann schützen

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Depressionen die Wahrscheinlichkeit, später eine Demenz zu entwickeln, erhöhen. Dabei sei nicht immer ganz klar, ob die Depression bereits ein „Vorreiter“ der Demenz ist oder ob sie die Demenz „bewirkt“ (Byers und Yaffe, 2011). Verschiedene Mechanismen spielen dabei wohl eine Rolle: Wer depressiv ist, zieht sich oft zurück und nimmt am sozialen Leben weniger teil. Er fordert sein Gehirn nicht so heraus und lernt möglicherweise weniger als Menschen, denen es psychisch besser geht. Menschen jedoch, die lebenslang ihr Gehirn fordern, erkranken anscheinend seltener an einer Demenz.

Vielleicht kann man auch sagen: Wer ein Leben lang keine Chance hatte, gute Bindungen aufzubauen und seelische Verletzungen zu verarbeiten, der verdrängt – und verdrängt so lange, bis er schließlich alles vergisst. Viele Menschen mit der Diagnose „Demenz“ sind in Wirklichkeit „nur“ oder „besonders auch“ depressiv – das lässt sich nicht immer so leicht trennen. Bei Neurosen findet man zum Beispiel auch die sogenannte „Pseudo-Demenz“. Die Betroffenen „stellen sich (unbewusst) dumm“, damit Wahrheiten nicht ans Licht kommen.

Stress verändert Hirnstoffwechsel

Forscher vermuten, dass bei den Zusammenhängen von Depression und Demenz auch die „Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse“ (HPA-Achse) eine Rolle spielen könnte. Diese Stoffwechsel-Achse unseres Körpers reagiert sehr empfindlich auf psychischen Stress. Menschen, die unter psychischem Druck leiden, haben auch eine veränderte Stoffwechsellage in ihrer HPA-Achse, mit dem Ergebnis, dass sich die Konzentrationen an körpereigenem Cortisol verschieben, was sich auch auf das Gehirn auswirkt. Die Psychiaterin Amy Byers (Yale Universität, San Francisco) und ihre Kollegin Kristine Yaffe haben zum Thema „Demenz und Depression“ eine ausführliche Studie veröffentlicht (s.u. – Volltext der Studie leider kostenpflichtig).

Solche Studien können nur sehr selten einen direkten Ursache-Wirkungs-Zusammenhang herstellen. Sie können oft nur Zahlen miteinander in Verbindung bringen, sodass man eigentlich nur sagen kann: „Viele Menschen, die eine Depression haben, entwickeln später auch eine Demenz.“ Wer sich mit seinem Leiden jedoch auseinandersetzt, wer den Schmerz anschaut, darüber nachdenkt und – wenn nötig – Hilfe sucht, der lässt nicht einfach alles so mit sich geschehen. Es gibt viele Menschen, die immer wieder an Depressionen leiden, jedoch ohne Demenz sehr alt werden.

Mutmacher

Es bringt nichts, jetzt zu denken: „Ich darf um jeden Preis jetzt nicht länger depressiv sein.“ Depressive Phasen gehören zum Leben der meisten – auch ganz „gesunden“ – Menschen dazu. Das Buch des Psychotherapeuten Josef Giger-Bütler mit dem Titel „Depression ist keine Krankheit“ (Beltz-Verlag, 2012, amazon) will da Mut machen. Es enthält interessante Aspekte, allerdings könnten einige Leser an der Aussage verzweifeln, dass sich jeder selbst aus der Depression befreien könnte. Hier malt der Autor ein einfaches Bild. Das Buch ist verhaltenstherapeutisch orientiert – es geht also um Lernen, um Denkstrukturen und Verhaltensmuster. Doch eine Depression ist natürlich viel mehr: Es geht besonders auch um Bindung in der frühen Kindheit, um Beziehung und viele gemischte Gefühle. Eine Depression tritt selten isoliert auf und ist oft nicht von Trauer, Burnout und Ängsten abzugrenzen. Der Mensch ist eben ein Ganzes. Einfache Aussagen treffen nur selten zu.

Kognitive Reserve schützt vor Demenz

Unter „Kognition“ versteht man grob gesagt die bewusste „Denkfähigkeit“ (lateinisch „cognoscere“ = kennenlernen, erfahren, prüfen, wahrnehmen). Lernen, Schlüsse ziehen, denken, das alles können wir bewusst mit unserem Gehirn „machen“. Vereinfacht kann man sagen: Wer ein gut trainiertes Gehirn hat, dem schadet es nicht, wenn kleine Teile des Gehirns nicht mehr so funktionstüchtig sind. Man hat herausgefunden, dass Menschen, die viel gelernt haben und ein aktives, verantwortungsvolles Leben führen, geschützter vor Demenz sind als andere Menschen (obwohl das natürlich nicht alles ist – auch „schlaue Köpfe“ können an Demenz erkranken). Dieser „Schutzwall“, bestehend aus „gut trainierten“ Teilen des Gehirns, wird als „kognitive Reserve“ bezeichnet.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Depression – alle Beiträge auf einen Blick

Links:

Amy L. Byers & Kristine Yaffe (2011):
Depression and risk of developing dementia
Nature Reviews Neurology 7, 323-331 (June 2011) | doi:10.1038/nrneurol.2011.60
http://www.nature.com/nrneurol/journal/v7/n6/full/nrneurol.2011.60.html

Deborah E. Barnes, PhD, MPH; Kristine Yaffe, MD; Amy L. Byers, PhD, MPH; Mark McCormick, MD; Catherine Schaefer, MD; Rachel A. Whitmer, PhD:
Midlife vs Late-Life Depressive Symptoms and Risk of Dementia
Differential Effects for Alzheimer Disease and Vascular Dementia
Arch Gen Psychiatry. 2012; 69(5): 493-498. doi:10.1001/archgenpsychiatry.2011.1481
http://archpsyc.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=1151485

Deborah E Barnes and Kristine Yaffe (2011):
The projected effect of risk factor reduction on Alzheimer’s disease prevalence
The Lancet Neurology, Volume 10, Issue 9, September 2011, Pages 819–828
http://dx.doi.org/10.1016/S1474-4422(11)70072-2
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1474442211700722

Laura Fratiglioni (Karolinska-Institut Stockholm), Stephanie Paillard-Borg, Bengt Winblad:
An active and socially integrated lifestyle in late life might protect against dementia.
Review
The Lancet Neurology
Volume 3, Issue 6, June 2004, Pages 343-353, http://dx.doi.org/10.1016/S1474-4422, www.sciencedirect.com/…

Tiia Ngandu et al. (Karolinska-Institut Stockholm, Schweden):
Education and dementia – what lies behind the association?
Neurology October 2, 2007, vol. 69 no. 14: 1442-1450
doi: 10.1212/01.wnl.0000277456.29440.16
www.neurology.org/content/69/14/1442.short

Schreibe einen Kommentar