Der Borderline-Körper – auch nach Vojtatherapie als Kleinkind: die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) lässt sich langsam verstehen
Die Psychoanalytikerin Clara Mucci publicseminar.org beschreibt, wie sie in der psychoanalytischen Ausbildung nicht genügend Handwerkszeug fand, um komplex traumatisierten Menschen zu helfen. Sie beschreibt, dass es sich bei den unerträglichen Zuständen der Betroffenen um eine Art „Erinnerung“ (siehe implizites Gedächtnis) an das handeln könnte, was die Betroffenen in frühester Kindheit erfahren haben.
Du warst Opfer und hast den Angreifer hautnah erlebt. Dein Körper war der „Grund“ für den Angriff. Die Psyche scheint die Erfahrungen in der Form aufzunehmen, dass Du dich hilflos, körperlich schmerzvoll und verfolgt fühlst und gleichzeitig auch dich selbst oder angreifst angreifst, wenn der furchtbare Zustand gerade wieder da ist. Angrenzend an Eckhart Tolles „Pain Body“ hast Du vielleicht einen „Borderline Body“.
Clara Mucci erklärt, dass auf neurobiologischer Ebene die Verbindung zwischen limbischem System (den Gefühlen) und dem präfrontalen Kortex (der Steuerungs-Instanz) beeinträchtigt sei. Man könne dies vergleichen mit einer gestörten Mutter-Kind-Beziehung. Normalerweise beruhigt die Mutter das Kind. Das heißt neurobiologisch, dass sie die Verbindung zwischen dem präfrontalen Kortex (Denken und Verstehen) und dem limbischen System (Emotion) herstellt (Anmerkung Voos: Siehe auch Alpha- und Beta-Elemente nach Bion). In der Therapie gehe es darum, diese Zusammenhänge zu begreifen und mithilfe dieser Erkenntnisse und Theorien den Patienten besser zu verstehen.
Wenn du als kleines Kind die Vojta-Therapie erhalten hast, hast du dies vielleicht wie eine Vergewaltigung erlebt. Du kannst dich vielleicht nicht konkret erinnern, aber dein Körper „erinnert“ sich vielleicht in Form von Anspannung, Schmerzen, Atemnot und Angst. Das Diffuse ist oft schwer erträglich. Vielleicht hast du dich sogar schon einmal selbst verletzt, um diesem Diffusen eine Richtung zu geben. Wichtig ist es, diesen schmerzhaften Anspannungs-Zustand zu erkennen. Dann kann es dir vielleicht helfen, dich bewusst zurückzuziehen: „Ich lege mich dann manchmal mit einer Wärmflasche hin und warte bewusst ab, bis dieser qualvolle Zustand vorbei ist“, sagt eine Betroffene.
Bedrängnis
Häufig entsteht das Gefühl einer furchtbaren Dringlichkeit. Es ist, als müsstest Du sofort etwas tun und du würdest am liebsten andere Menschen anbetteln: „Bitte hilf mir! Bitte antworte mir!“ Dein Gefühl ist vielleicht: „Wenn ich jetzt nichts tue, dann entsteht eine Katastrophe.“ Dieser Spannungszustand ist besonders schwer auszuhalten, doch auch dieser drängende Zustand lässt irgendwann nach. Wenn du schon älter bist, fühlt es sich für dich vielleicht so an, als würdest du einen Herzinfarkt bekommen. Nachts rast das Herz und der Schweiß bricht aus. Wichtig ist es, auch diesen Zustand wiederzuerkennen und – wenn möglich – sich zur Ruhe zu „zwingen“ und zu warten
Wenn du auch nur einmal die Erfahrung machen kannst, dass deine Not wieder abflaut, kann sich dein Gefühl der Hilflosigkeit etwas verringern.
Das Gefühl, gequetscht zu sein
Wenn du die Vojta-Therapie erlebt hast oder sexuell missbraucht wurdest (wobei die Übergänge fließend sind), hast du vielleicht psychisch oder körperlich das Gefühl, „gequetscht“ zu werden. Wirst du unter Druck gesetzt, kann dieses Gefühl des „Gequetschtseins“ wieder auftreten. Es kann hilfreich sein, wenn du dann bewusst Streck- und Dehnübungen machst. Versuche, Worte und eine Sprache zu finden für das, wie es Dir ergeht. Ähnlich, wie sich Gefühle mischen, so können sich auch die Körperzustände mischen. Dieses bewusste Kennenlernen ist unglaublich wertvoll. Allein das Beobachten kann dir helfen – ähnlich wie beim Wetter: Wenn Du gute Wetterkenntnisse hast, kannst du dich besser darauf einstellen.
Wie komme ich aus der Anspannung raus?
Das Gefühl der Anspannung kann so groß sein, dass du meinst, zu zerreißen. Besonders die Spannung im Bauch ist manchmal schwer zu beeinflussen. Wenn dir jemannd rät, auf deine Atmung zu achten, gehst du vielleicht laufen. Vielleicht leidest du auch unter Durchfall und dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Es ist oft leichter zu ertragen, bewusst länger auszuatmen oder zum Beispiel in deinen Ellbogenärmel auszuatmen. Manchmal helfen verschiedene Atemübungen wie z.B. Nadi Shodhana (Anna Trökes auf YogaEasy.de). Es kann auch hilfreich sein, im Sitzen oder Stehen die Schultern etwas vor zu ziehen – so merkst du vielleicht, wie der Bauch etwas geschützter und weicher wird. Und nicht zu unterschätzen ist die gute alte Wärmflasche! Besorge Dir eine schöne Wärmflasche und nimm sie Dir in den Arm, wenn du leidest.
Es kann auch sinnvoll sein, dich deinen „Körper-fernen“ Zonen zuzuwenden, also zum Beispiel im Sitzen deine Füsse auf die Wärmflasche zu stellen.
Wenn du dich deinen unerträglichen Zuständen auseinandersetzt, denkst du vielleicht über eine sehr lange Zeit, dass sich gar nichts tut. Oft ist es auch leichter, „wegzulaufen“ und manchmal ist der Druck so groß, dass es anders nicht gehen mag. Doch zu anderen Gelegenheiten kannst du es wagen, dich deiner Anspannung zuzuwenden und sie zu beobachten. Und irgendwann wird sich eine Wirkung zeigen. Eine Psychoanalyse, Meditation oder Yoga im Einzelunnterricht kann da sehr hilfreich sein.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Links:
A New Way to Heal Borderline Bodies –
An interview with Clara Mucci and Josh Maserow, 12.2.2019
www.publicseminar.org
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 20.3.2019
Aktualisiert am 19.7.2024
One thought on “Der Borderline-Körper – auch nach Vojtatherapie als Kleinkind: die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) lässt sich langsam verstehen”
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Hallo Frau Voos,
bezogen auf das Thema Koerper, empfand ich dieses Buch als lesenswert:
Peter Geißler, Günter Heisterkamp: „Psychoanalyse der Lebensbewegungen: Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie – Ein Lehrbuch“.
Ich denke Koerper im Kontext von Borderline kann auch noch andere Funktionen uebernehmen. Mitunter ist der Koerper eine Objektrepraesentanz des inneren Zustands einer Person. Oder der Koerper wird als Objekt benutzt, um Dinge im aussen, also in der Umwelt zu bewirken. Letztlich ist der Koerper dann Verfuegungsmasse des eigenen Omnipotenzerlebens, ueber den man Kontrolle ausuebt. Wenn man seinen Koerper als blosses Objekt, also abgespalten vom Selbst, wahrnimmt, kann das vielleicht auch darauf hindeuten, wie mit einem in der Kindheit umgesprungen wurde.