„Blumen auf Granit“ von Dörte von Drigalski – ein Buch, das die Psychoanalyseausbildung kritisiert
Psychoanalyse tut nicht jedem gut. Die Beziehung zum Therapeuten erinnert an eine Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Beziehung. Ähnlich, wie Eltern bei ihren Kindern Einiges „falsch“ machen können, so können auch Psychoanalytiker einen großen negativen Einfluss auf ihre Patienten haben. „Mein Psychoanalytiker hat mich verrückt gemacht“, las ich im Internet.
Ein Leser wies auf den Psychoanalytiker Harold Searles hin, der davon schreibt, dass Psychoanalytiker gelegentlich den unbewussten Wunsch haben, den anderen verrückt zu machen. Die Ärztin Dörte von Drigalski (dr-von-drigalski.de) schreibt in ihrem Buch „Blumen auf Granit“, wie verstörend sie ihre beiden Analysen empfand. Sie brach ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin ab.
Dörte von Drigalski machte ihre Erfahrungen in den 70er Jahren. Ihr Buch erschien erstmals 1980. Ihre Lehranalyse für die Ausbildung bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) absolvierte sie von 1970-1975. Sie bringt eine spürbar bedrückende Atmosphäre herüber, die sie erlebt hat und die sich in einer Psychoanalyse ausbreiten kann. Sie beschreibt sehr gut, in welche emotionalen Zwickmühlen man geraten kann, wie emotional abhängig man sich oft vom Analytiker fühlt und wie verzweifelt man sein kann, wenn man das Gefühl hat: Das, wovon ich dachte, dass es mir hilft, hilft mir nicht.
Dörte von Drigalski schreibt quasi „frei assoziiert“, sodass man beim Lesen vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt. Sie beschreibt auch, wie sehr sich als am Rande stehend erlebte und wie erniedrigend es sich anfühlen kann, wenn man als gestandene Ärztin wieder ganz von vorne anfängt und mit prüfenden Augen angeblickt wird. Bei den anderen Ausbildungskandidaten schien alles zu klappen. Das Gefühl, dass man es selbst schwerer hat als die anderen kennen sicher einige, die eine Psychoanalyse-Ausbildung machen, weil man sich in dieser Zeit sehr mit den eigenen Problemen auseinandersetzt und vielleicht nicht gerne mit anderen darüber spricht.
In den 70ern
Als Leser fühlt man sich gut in die 70er Jahre zurückversetzt: Heute kommt es höchstwahrscheinlich nicht mehr vor, dass sich ein Psychoanalytiker zu Beginn der Stunde eine Zigarette anzündet. Dörte von Drigalskis Buch hat damals Unruhe ausgelöst. Sie schreibt, dass sie von einem DPV-Kongress ausgeschlossen wurde, noch bevor sie sich angemeldet hatte. Sie schreibt aber auch, wie sie selbst dem Psychoanalytiker einen Monat das Honorar verwehren wollte, weil sie seine Arbeit als schlecht empfand.
Dörte von Drigalski wendet sich bei ihrer Suche auch anderen Therapiemethoden zu. Über ihre Erfahrungen in einem Urschreikurs schreibt sie: „Nach diesem Kurs blieb ich lange geschädigt, fühlte mich verletzt, waidwund. Ich beschloss wieder, erst einmal alles ruhen zu lassen; mich langsam ausheilen zu lassen, nicht herumzustochern in meiner Analysewunde. Aus mir floss Vitalität ab; ich verlor.“ (S. 212/213).
Desillusionierung
Wohl jeder Ausbildungskandidat erlebt in der Psychoanalyse-Ausbildung auch eine Desillusionierung. Ähnlich, wie man voller Schwung in einer neuen Firma seine Arbeit aufnimmt und irgendwann merkt: „Hier arbeiten auch nur Menschen“, so erlebt man auch in der Vereinigung und im Ausbildungsinstitut, dass längst nicht alles so golden ist, wie man dachte. Dörte von Drigalski fragt sich: „Warum sind Analysierte nicht eindeutig zufriedener, fröhlicher, nicht schöner auf ihre individuelle Weise als Nichtanalysierte?“
Eine mögliche Antwort auf Drigalskis Frage könnte lauten: Eine Analyse befreit nicht von unangenehmen Gefühlen wie z.B. Neid oder Verachtung. Eine Analyse bewirkt aber, dass man seine Gefühle früher bemerkt, sie benennen und halten kann. Aus meiner Sicht sind „Analysierte“ (wenn man sie denn so zusammenfassen will) Menschen wie andere auch, aber häufig erscheinen sie mir wahrheitsliebender und in besserem Kontakt zu sich selbst zu sein.
Dörte von Drigalski schreibt am Ende (S. 338): „Letztlich fand ich sie (Anm.: die Psychoanalytiker) einzeln und als Gruppe intellektuell desinteressiert, verantwortungslos ihrem Tun und ihren Patienten und ihrem Nachwuchs gegenüber.“ … „Seit längerem wird mir bei dem Thema ‚Psychoanalyse‘ leise übel, ebenso bei Menschen, denen ich anmerke, dass sie in unguter Analyse waren oder sind“ (S. 338).
Das kann ich nachvollziehen, denn Menschen, die in „unguter Analyse“ sind, leiden außerordentlich. Sie sind durch ihr psychisches Leid geschwächt und zweifeln eher an sich selbst als an dem Therapeuten. Dies ist natürlich ein besonderes Problem der Psychoanalyse. Auch in der Körpermedizin vertraut man sein Leben anderen Menschen an, doch wenn der Chirurg das falsche Bein amputiert, kann man sich dagegen auflehnen und hat ein klares Bild. Man kann seiner Wahrnehmung vertrauen. In der Psychoanalyse geht es jedoch um die Psyche. Und da sind die Dinge oft vertrackter und schwieriger. Dörte von Drigalski beendet ihr Buch mit den Worten ihrer hessischen Patentante: „Geh doch gar nit bei se“ (S. 338).
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Links:
Dörte von Drigalski:
Blumen auf Granit
Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse
Aktualisierte Neuausgabe 2003
Berlin, Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag
amazon
»Eine kleine, autonome Kastriermaschine«
Peter Brügge über die Coucherfahrungen der Psycho-Patientin Dörte v. Drigalski
23.03.1980, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 13/1980
https://www.spiegel.de/politik/eine-kleine-autonome-kastriermaschine-a-df1e0dc8-0002-0001-0000-000014321004
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentliht am 3.1.2015
Aktualisiert am 22.11.2025
One thought on “„Blumen auf Granit“ von Dörte von Drigalski – ein Buch, das die Psychoanalyseausbildung kritisiert”
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Tilmann Moser hat zu diesem Buch einen meines Erachtens warmherzigen und klar blickenden Kommentar damals verfasst.
https://www.zeit.de/1980/47/zeit-des-jammerns
Und Frau von Drigalski scheint doch noch einen Weg zur Psychotherapie gefunden zu haben – jedenfalls gibt es eine Praxisadresse von ihr im Netz.